El Salvador bleibt ein dollarisiertes Land

Der Ökonom César Villalona über das Desinteresse der Bevölkerung am neuen gesetzlichen Zahlungsmittel Bitcoin

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat El Salvador zur Aufgabe des Bitcoin als offizielle Landeswährung aufgefordert. Wie reagiert die Regierung, die der Kryptowährung im September 2021 diesen Status eingeräumt hat?

Unaufgeregt. Sie hat bekräftigt, dass sie am Bitcoin festhalten will. Das ist erstaunlich, denn zum einen verhandelt die Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds derzeit über einen 1,3-Milliarden-Dollar-Kredit, auf den sie angewiesen ist. Zum anderen ist das Urteil des IWF für die internationalen Finanzmärkte relevant. Trotzdem scheint die Regierung an ihren Plänen einer Bitcoin-City (der ersten Stadt weltweit, die über die Ausgabe von Bitcoin-Anleihen an internationale Investoren finanziert werden soll; d. Red.) festhalten zu wollen.

Was passiert, wenn der IWF-Kredit platzt?

Der Haushalt für das Jahr 2022 enthält ein Defizit von fast 1300 Millionen US-Dollar, für dessen Deckung der Kredit vorgesehen ist. Bisher gibt es nur Kreditzusagen über 800 Millionen Dollar. Das restliche Geld aufzutreiben wird schwierig, denn die Indikatoren haben sich verschlechtert. El Salvador gilt daher nicht mehr als guter Schuldner.

Die Ratingagentur Moody’s hat die Kreditwürdigkeit El Salvadors Mitte Januar herabgestuft.

Das konnte nicht überraschen. Die Schuldenlast entspricht 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), und laut Prognosen wird sie auf 90 Prozent in diesem Jahr steigen. Das Haushaltsdefizit beträgt sechs Prozent des BIP, die Indikatoren sind eindeutig; und wenn der IWF kein grünes Licht für den Kredit gibt, kann das weitreichende Folgen haben.

Die Einführung des Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel in El Salvador hat international für Aufsehen gesorgt. In dem mittelamerikanischen Land selbst stößt das Projekt von Präsident Nayib Bukele weitgehend auf Ablehnung. Mit César Villalona, Ökonom vom Berufstätigenverband PROES, sprach für »nd« Knut Henkel.
Die Einführung des Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel in El Salvador hat international für Aufsehen gesorgt. In dem mittelamerikanischen Land selbst stößt das Projekt von Präsident Nayib Bukele weitgehend auf Ablehnung. Mit César Villalona, Ökonom vom Berufstätigenverband PROES, sprach für »nd« Knut Henkel.

Welche?

Wenn der IWF keinen Kredit gibt, wird es die Weltbank ebenfalls nicht tun und andere multilaterale Banken eventuell auch nicht. Bleibt die Interamerikanische Entwicklungsbank, aber die vergibt normalerweise keine Großkredite. Die andere Option der Regierung ist es, Schuldscheine auszugeben. Aber das ist kompliziert und hängt auch von den Rückzahlungsmodalitäten ab.

Präsident Nayib Bukele gilt als großer Bitcoin-Fan und hat nach dem Besuch einer Konferenz in Miami im Juni vergangenen Jahres alles auf die Kryptowährung gesetzt. Wenige Tage später lag ein Gesetzentwurf vor, der den Bitcoin zur zweiten Leitwährung neben dem US-Dollar machte. Welche Folgen hatte das?

Der Effekt ist bisher sehr limitiert, zumal der Bitcoin de facto nicht die Kriterien erfüllt, die einer offiziellen Landeswährung laut Gesetz zugeschrieben werden. Eigentlich sollten die Preise in den Geschäften auch in Bitcoin ausgezeichnet sein, außerdem können Löhne, Renten und Steuern in Bitcoin aus- beziehungsweise gezahlt werden, aber das ist nicht der Fall. El Salvador ist ein dollarisiertes Land. Eigentlich erfüllt der Bitcoin nur eine der vier Kernfunktionen einer offiziellen Währung: die des Umtauschs in andere Währungen.

Gespart, eingekauft und bezahlt wird also weiterhin nur in US-Dollar, obwohl diese Funktionen im Bitcoin-Gesetz ausdrücklich erwähnt werden?

Ja, das ist richtig, und das Gesetz wurde nicht modifiziert. Die Menge der zirkulierenden Bitcoin ist daher ausgesprochen gering. Dabei hat die Regierung beziehungsweise die durchführende staatliche Bank mit der Einführung der digitalen Geldbörse, dem Chivo-Wallet, für Anreize gesorgt: Jeder Nutzer und jede Nutzerin erhält automatisch den Gegenwert von 30 US-Dollar in Bitcoin. Das ist viel Geld hier in El Salvador, daher nehmen viele Leute das Geld mit und werden daraufhin als Bitcoin-User von der Regierung bezeichnet. Das sind 1,6 bis 3,1 Millionen je nach Quelle. Doch de facto können sich nur wenige User die neue Währung wirklich leisten.

Warum?

Der wichtigste Grund ist die hohe Volatilität des Bitcoin. Am 9. November lag der Kurs bei 1:68 000 US-Dollar, derzeit kostet ein Bitcoion weniger als 33 000 US-Dollar. Derartige Verluste können nur wenige verkraften, und deshalb sind 90 Prozent der Bitcoin-Aktivitäten rein spekulativer Natur. Die hohe Volatiliät ist ein Risiko für Spareinlagen, Renten und Gehälter. Ohnehin können die Salvadorianer nur 14 Prozent ihres verfügbaren Einkommens sparen. Das Geld legen sie kaum in Bitcoin an, da rund 70 Prozent der Bevölkerung die Kryptowährung ablehnen.

Kann es sich die Regierung da wirklich leisten, den IWF-Appell zu ignorieren?

Nein, eigentlich nicht. Aber der Bitcoin ist ein politisches Projekt des Präsidenten, und da liegt das Problem. Ein Abrücken würde politisches Kapital kosten, daher weigert sich Nayib Bukele bisher, Verhandlungen mit dem IWF aufzunehmen. Auch wenn sein Rückhalt im Land nach wie vor groß ist, nimmt die Kritik zu: von Agrarverbänden, die den Bitcoin kritisch sehen, aber auch von Frauenorganisationen, die auf die hohe Zahl von Femiziden hinweisen. Nayib Bukele hat zwar seine Macht während der Pandemie ausbauen können, aber er ist weit davon entfernt, politische Stabilität geschaffen zu haben.

Könnte der Bitcoin zum Bumerang werden?

Durchaus, denn Bukele hat unrealistische Erwartungen geweckt. Und der Vorwurf, dass der Bitcoin vor allem der Elite als Werkzeug zur Geldwäsche dient, steht im Raum. Das halte auch ich für das zentrale Motiv dafür, dass die Kryptowährung ad hoc eingeführt wurde. Diese ist vor allem ein politisches Tool, und auch die Ankündigung, eine Bitcoin-City zu bauen, geht in diese Richtung.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.