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»Hier gibt’s nichts zu sehen«

Peng Shuai erklärt bei Olympia, sie habe keine Missbrauchsvorwürfe erhoben

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Die neuen Aussagen der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai erinnern stark an eine Szene des Slapstick-Klassikers »Die nackte Kanone«. Darin beobachtet eine schaulustige Meute ein brennendes Einfamilienhaus, dessen Ziegeldach in Dutzenden Explosionen in die Luft fliegt. Doch Polizeiinspektor Frank Drebin, gespielt von Leslie Nielsen, stellt sich nur winkend vor den Mob und ruft mit bierernster Miene: »Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!«

Genau diese Botschaft versucht nun auch die chinesische Athletin zu vermitteln. In einem Interview mit der französischen Zeitung »L’Equipe« spricht sie erstmals seit Beginn der Causa mit einem unabhängigen westlichen Medium. Doch ihre Aussagen wirken mehr als befremdlich: Peng Shuai sagt, sie habe niemals Vorwürfe gegen ein Politbüromitglied wegen sexuellen Missbrauchs erhoben. Dies sei ein »Missverständnis«. Mehr noch: Ihren zensierten Post habe sie selbst gelöscht, und auch verschwunden sei sie keinesfalls. »Warum diese Besorgnis?«, fragt die 35-Jährige.

Die Antwort liegt in den Geschehnissen: Im Dezember hatte die Sportlerin in einem Posting auf der Onlineplattform Weibo ausführlich über eine Affäre mit Zhang Gaoli, ehemaliger Vizepremier des Landes, berichtet. »Du hast mit mir gespielt, und als du mich nicht mehr wolltest, hast du mich weggeworfen«, schrieb Peng. Der Text ließ tief blicken in eine Welt, in der ein älterer, hochrangiger Politkader eine junge Athletin manipuliert und als Mätresse hält. Strafrechtlich relevant ist im Text jedoch nur ein einziger Satz, den einige Medien als Vergewaltigungsvorwurf verstanden haben. Tatsächlich aber, so bemängeln es Kritiker, hätten diese Medien linguistische Nuancen unbeachtet gelassen: Ob Peng Shuais Aussagen bedeuten, sie sei zum Sex »gedrängt« oder »gezwungen« worden, ist selbst unter Muttersprachlern umstritten.

Fakt ist hingegen: Peng Shuai war nach ihrem Post wochenlang nicht kontaktierbar, auch nicht für die Spielerinnenvereinigung WTA. Nach dem Skandal inszenierten Staatsmedien eine leicht durchschaubare Propagandakampagne, die von gestellten Screenshots über fingierte E-Mails bis hin zu einem sehr inszeniert wirkenden »Spontaninterview« mit Peng Shuai reichten.

Das neue Interview in der »L’Equipe« hat am Wissensstand in der Affäre im Grunde genommen nichts geändert. Die französische Sporttageszeitung jedenfalls zweifelt die Aussagekraft von Peng Shuais Interviewaussagen an: Die Fragen hatte der Reporter im Voraus einreichen müssen. Zudem wurde Peng Shuai von einem chinesischen Offiziellen begleitet: Wang Kan, Stabschef des Nationalen Olympischen Komitees Chinas, der Peng Shuais Antworten auch »übersetzte«. Dabei zeigt ein Blick auf Youtube, dass die Chinesin sehr wohl fließend Englisch spricht.

In Pekings Sicherheitsapparat ist es eine unrühmliche Tradition, unliebsamen Personen Geständnisse abzuringen und diese im Staatsfernsehen auszustrahlen. Ein Beispiel ist der schwedische Menschenrechtsaktivist Peter Dahlin, der nach 23 Tagen im Gefängnis ein Schuldeingeständnis vor laufender Kamera verlesen musste. Dahlin selbst wertet den Fall Peng Shuai dementsprechend als Farce, wie er zynisch auf Twitter kommentierte: »Natürlich spricht Peng Shuai vollkommen frei - so frei wie ich damals, als ich mich dafür entschuldigte, die ›Gefühle des chinesischen Volkes‹ verletzt zu haben.«

Doch streng genommen lässt die Faktenlage - trotz der fragwürdigen Details - nicht den Rückschluss zu, dass die chinesische Tennisspielerin ihre Aussagen unter Zwang tätigt. Fakt ist nämlich auch, dass Peng Shuai als Patriotin gilt, die sich in ihren Beiträgen auf Weibo in der Vergangenheit immer wieder stolz über die Regierung der Volksrepublik geäußert hat. Von daher wäre durchaus denkbar, dass sie nun den von ihr entfachten Imageschaden gegenüber ihrem Heimatland abwenden möchte.

Doch all das ist reine Spekulation. Kurzum lässt sich der Fall zusammenfassen: Wir wissen es schlicht nicht. Dementsprechend sollte sich auch IOC-Chef Thomas Bach, der Peng Shuai ebenfalls am Samstag getroffen hat, mit seinen Interpretationen des Falls zurückhalten. Der deutsche Weltsportführer hat schließlich in Sachen kritischer Umgang mit dem chinesischen Staat in den vergangenen Jahren sämtliche Glaubwürdigkeit verloren. Und schon im letzten Jahr urteilte Bach nach einem kontrollierten Videogespräch mit Peng Shuai womöglich vorschnell, dass angeblich alles in Ordnung sei.

Ob sich der 68-Jährige damals absichtlich als Helfer des chinesischen Propaganda-Apparats einspannen ließ? Zumindest hätte er besser wissen müssen, dass es mit Gewissheiten in solchen Fällen schwierig ist.

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