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Post aus Peking
Kaum Feierlaune in der Hauptstadt
Es scheint fast, als seien die Olympischen Winterspiele in Peking eine Sache der Ausländer. Denn wer die Wettkämpfe beim gemeinsamen Public Viewing schauen möchte, muss entweder die Irish Pubs aufsuchen oder aber in eine der Botschaften ziehen.
Am Sonntagmorgen lud die österreichische Vertretung in ihr »Winterwunderland«. Der Hintergarten des an sich schmucklosen, 60er-Jahre-Bungalowbaus wurde in eine urige Après-Ski-Landschaft verwandelt: aufgehäufter Kunstschnee, kleine Lagerfeuer und gemütliche Holzhütten, die mit Punsch und hochprozentigem Wodka-»Red Bull« die Menge warmhielten. Dass am Ende die Herren-Abfahrt abgesagt und verschoben wurde, war dann fast schon Nebensache: Im Pekinger Botschaftsviertel strahlte die Februarsonne.
Die Chinesen hatten schließlich bereits am Vorabend ihren Grund zum Jubeln. »China, Nummer eins!«, ruft der junge Kellner in unserer Stammkneipe »Jing A«, während er in seiner Hand drei proppenvolle Biergläser auf den Tisch knallt. Mit einem breiten Grinsen, das trotz der babyblauen Maske übers ganze Gesicht strahlt, zeigt er auf den Fernseher, der in der Ecke des Raumes scheinbar unbemerkt läuft. Dort, im Staatsfernsehen CCTV5, jubelt Chinas gemischte Staffel im Shorttrack über die erste Goldmedaille für die Gastgebernation. Und für die Gäste im »Jing A« bedeutet das: eine Lokalrunde frei Haus!
Doch im Vergleich zu den Sommerspielen vor 14 Jahren ist das Olympia-Fieber in Peking noch nicht so recht ausgebrochen. Damals zogen die Leute feiernd auf die Straßen und jubelten ihren Athletinnen und Athleten lautstark zu. Dieser Tage wirkt solch ungezügelte Freude im öffentlichen Raum wie ein Relikt aus einer längst abgeschlossenen Vergangenheit. Denn die Hauptstadt ist zur spaßbefreiten Zone geworden: Die einstigen Hutong-Bars, in denen nach Mitternacht auf den Tischen getanzt wurde, sind geschlossen; die einstigen Techno-Clubs sind in die Untergeschosse steriler Einkaufszentren umgezogen und die Museen von gesellschaftskritischer Avantgarde wieder auf »sozialistischen Realismus« umgestiegen.
Beim Sport hingegen entlocken derzeit vor allem die chinesischen Fußballerinnen den Fans unkontrollierte Freudenschreie. Denn das Nationalteam gewann am Sonntag im fulminanten Finale der Asienmeisterschaft gegen den Erzrivalen Südkorea. Damit stellten die Frauen die verlorene »Fußballehre« wieder her, die das Männer-Team erst kürzlich mit einer schmachvollen Niederlage gegen Vietnam beschädigt hatte. Chinas Jugend reagierte online mit einer Mischung aus Häme und Emanzipation: Millionen junger Internet-Userinnen debattierten, warum die sportlich deutlich überlegene Frauen-Mannschaft noch immer nur einen Bruchteil dessen bekommt, was männliche Sportler verdienen.
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