Kriegsgefahr führt Linke zusammen

Zahlreiche Prominente unterzeichnen Appell der Friedensbewegung zur Krise in der Ukraine

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Aktivisten der Friedensbewegung haben gemeinsam mit 200 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie sich für Deeskalation und Entspannung im Konflikt um die Ukraine einsetzen. »Eine einseitige Schuldzuweisung an Russland, wie sie von einigen westlichen Regierungen und in den großen Medien vorgenommen wird, ist nicht gerechtfertigt und nimmt zunehmend den Charakter von Kriegspropaganda an«, heißt es in dem Text. Die Unterzeichner gehen davon aus, dass die russische Regierung trotz des derzeitigen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine »kein Interesse an einem Krieg« habe. Ähnlich viele Soldaten würden auf der ukrainischen Seite stehen und die von pro-russischen Rebellen kontrollierten Gebiete in der Ostukraine bedrohen. Wenn die Osterweiterung der Nato auf die Ukraine ausgedehnt werde, würde das die Vorwarnzeit für Moskau bei einem Angriff mit Atomraketen auf fünf Minuten verkürzen, warnen die Friedensaktivisten. Die Wurzeln des Konflikts würden im Anspruch der USA liegen, die Welt zu führen. So hatte es Präsident Joe Biden formuliert.

Als erste Schritte werden in dem Aufruf eine Demilitarisierung entlang der russisch-ukrainischen Grenze und an den Grenzen zwischen Russland und der Nato verlangt. Außerdem drängen die Unterzeichner auf die Umsetzung des Abkommens Minsk II. Dieses sieht einen Waffenstillstand vor, Dialog der Konfliktparteien und einen Sonderstatus der Regionen Donezk und Luhansk innerhalb der Ukraine. Die Umsetzung werde jedoch hauptsächlich von der Ukraine blockiert.

Der Friedensaktivist und frühere Linke-Abgeordnete im hessischen Landtag, Willi van Ooyen, teilte dem »nd« zur derzeitigen Krisendiplomatie der Bundesregierung mit, dass die aktuellen Gespräche und die intensive Reisetätigkeit ein Hoffnungsschimmer seien. So besucht Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dieser Tage die Ukraine. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz traf sich mit Joe Biden. »Dennoch ist die Begleitmusik eher von Drohungen und künftigen Sanktionen bestimmt statt von klaren friedenspolitischen Initiativen«, kritisierte van Ooyen. In diesem Zusammenhang nannte er Demilitarisierung, Abrüstung, Kooperation und die schon seit 1975 in der Helsinki-Schlussakte geforderte »gemeinsame Sicherheit«.

Auffällig an dem Aufruf ist, dass dieser auch von zahlreichen Politikern der Linkspartei unterzeichnet wurde, die in der jüngeren Vergangenheit zum Teil nicht gut aufeinander zu sprechen waren. So finden sich in der Liste sowohl die frühere Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihre Genossin Sevim Dagdelen als auch der Linke-Abgeordnete Gregor Gysi und seine Fraktionskollegin Kathrin Vogler. Gysi und Vogler hatten in der Vergangenheit etwa die von Wagenknecht gegründete Bewegung Aufstehen kritisiert, in der sich unterschiedliche Linke zusammenfinden sollten. Sie sahen die Gefahr, dass eine Bewegung neben der Linkspartei organisiert werden sollte. Nun scheinen sich einige Politiker der Partei wieder auf Gemeinsamkeiten zu besinnen, auch wenn sie unterschiedlichen Flügeln und Strömungen angehören. Unter den Unterzeichnern des Appells ist auch der Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Martin Schirdewan, der in der Linkspartei den Reformern zugerechnet wird.

Sorge wegen Truppenbewegungen in Richtung Osten

»Wir haben den Aufruf mit aktiven Freunden aus der Friedensbewegung spontan entwickelt, weil wir glauben, dass eine klare Aussage in der aktuellen Situation uns voranbringen wird«, erklärte van Ooyen. Wenn der Aufruf den Effekt habe, in der Linken das Friedensthema wieder zur zentralen politischen Aufgabe zu machen, sei das ein guter Nebeneffekt. Van Ooyen kritisierte, dass dieses Thema in letzter Zeit den wahltaktischen Optionen geopfert worden sei.

Allerdings drehten sich die friedenspolitischen Debatten in der Linkspartei vor der Bundestagswahl nicht nur um die Frage, inwieweit man Positionen räumen sollte, etwa die konsequente Ablehnung von Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, um ein erhofftes Zusammengehen mit SPD und Grünen zu ermöglichen. Nicht wenige Akteure in der Linken wollen außerdem eine andere Haltung ihrer Partei gegenüber China und Russland erreichen. So hatte der sachsen-anhaltische Linke-Politiker Wulf Gallert kürzlich in einem Beitrag für das »nd« einen kritischeren Blick auf die russische Außenpolitik angemahnt. Gallert warf Moskau unter anderem vor, mit der Intervention im syrischen Krieg einer »eiskalten Machtlogik« zu folgen, »die sich in nichts von der in Ankara oder Washington unterscheidet. Es geht um strategischen Einfluss in der Region.«

In dem nun veröffentlichten Aufruf der Friedensbewegung heißt es: »Kräfte, die mit aggressivem Nationalismus und Revanchismus die Spannungen anheizen, müssen auf allen Seiten zurückgedrängt werden.« Auf die Frage, ob auch die russische Regierung zu diesen Kräften gezählt werden solle, sagte van Ooyen: »Ich nehme wahr, dass Russland in den letzten Jahrzehnten immer weiter verbal und militärisch bedroht wurde und alle Versuche, bestehende Rüstungskontrollverträge einzuhalten und weitere Abrüstungsschritte zu verhandeln, vom Westen, besonders durch die USA verhindert wurden.« Deshalb sollte aus seiner Sicht das Thema Abrüsten und Entspannungspolitik in ganz Europa wieder auf der Tagesordnung stehen.

Van Ooyen und seine Mitstreiter planen eine Online-Aktionskonferenz am 26. Februar. »Wir wissen, dass es vielfältige Erklärungen – auch in Vorbereitung der Ostermärsche – zur aktuellen politischen Situation gibt. Wir glauben, dass eine solche Aktionskonferenz die Bereitschaft zu vielfältigen, dezentralen Aktionen in den nächsten Wochen verstärken wird«, sagte der Aktivist dem »nd«. Dabei spielten die neuen militärischen Drohungen sicherlich eine große Rolle. Van Ooyen bezog sich unter anderem auf die Reaktivierung des US-Armee-Großverbands »56th Field Artillery Command« in Wiesbaden, der bereits in den 1980er Jahren für die Pershing II-Raketen zuständig war, und die weitere Verlagerung militärischer Formationen nach Osten.

Schnelle Truppenbewegungen werden bei Manövern geprobt. Das gilt auch für »Defender Europe 22«. Dieses Manöver soll im Mai beginnen und bis Mitte Juni andauern. Dabei wollen die USA und ihre Verbündeten zeigen, inwieweit sie in der Lage sind, im arktischen Norden, im Ostseeraum, im Westbalkan und in der Schwarzmeerregion zu operieren. Diese Regionen sind fast alle nicht weit von der Grenze zu Russland entfernt.

https://nie-wieder-krieg.org/

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