Mit großen Schritten rückwärts

Seit Beginn der Pandemie ist es mit den kleinen Fortschritten bei der Arbeitsmarktinklusion schwerbehinderter Menschen vorbei

Menschen mit Behinderung wird es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer gemacht. Und das, obwohl in Deutschland bereits vor rund 13 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten ist. Damit hat sich die Bundesregierung verpflichtet, die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit für Menschen mit Behinderung zu sichern und zu fördern.

Doch statt Fortschritten sind seit Beginn der Corona-Pandemie Rückschritte zu verzeichnen. Aktuell gebe es in Deutschland mehr als 170.000 Schwerbehinderte ohne Beschäftigung, sagte Jürgen Dusel am Dienstag in Berlin. Ihre Jobsituation habe sich deutlich verschlechtert. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen forderte intensive Bemühungen, die Betroffenen in das Arbeitsleben einzubinden. »Es geht letztlich um die Umsetzung fundamentaler Grundrechte.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Im Vergleich zum Jahr 2019, vor Beginn der Corona-Pandemie, sind laut Bundesagentur für Arbeit nun zusätzlich 15.000 Menschen mit Schwerbehinderung arbeitslos. Das sind 11,5 Prozent mehr. Während des ersten Corona-Jahres war die Situation sogar noch schlimmer: Im Januar 2021 waren es im Vergleich zum Vorjahresmonat fast 19.000 Menschen mit Schwerbehinderung mehr.

»Von der Erholung des Arbeitsmarktes nach der Pandemie werden vor allem Menschen mit Schwerbehinderung erst ganz zum Schluss profitieren«, erklärte Dusel. Um gegenzusteuern, müsse noch in dieser Legislaturperiode die Ausgleichsabgabe für Unternehmen erhöht werden, die nicht die vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Der Gesetzgeber schreibt Unternehmen ab einer bestimmten Größe vor, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung bereitzustellen. Aktuell muss ein Unternehmen je unbesetzten Pflichtarbeitsplatz lediglich eine Ausgleichszahlung von höchstens 220 Euro im Jahr zahlen. Darüber hinaus forderte Dusel die schnelle Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichszahlung für jene Unternehmen, die keinen einzige Person mit Behinderung einstellen. In diese Stufe würde dann ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Unternehmen fallen.

Vor Ausbruch der Corona-Pandemie gab es zumindest kleine Fortschritte bei der Jobsituation von schwerbehinderten Menschen. Während beispielsweise im Jahr 2009 die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung bei 14,6 Prozent lag, sank diese bis 2018 auf 11,2 Prozent. Wobei das nicht allein auf positive Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Auch der Abbau von Regelungen, die es älteren Menschen ermöglichen, vorzeitig in Rente zu gehen, hat laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit Einfluss auf die zunehmende Erwerbstätigkeit schwerbehinderter Menschen.

Bezogen auf die Situation während der Coronakrise stellte auch Christina Marx, Sprecherin von Aktion Mensch fest: »Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung stieg in kürzester Zeit auf den höchsten Stand seit 2016.« Für diejenigen, die während der Pandemie ihren Job verloren haben, besteht zudem die Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit. »Diese Menschen werden schlichtweg vergessen und durch strukturelle Barrieren auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt«, sagte Marx bereits Ende 2021. Menschen mit Behinderung sind nicht nur häufiger als andere Menschen arbeitslos, sondern auch länger.

So lag die Zahl der Langzeitarbeitslosen bei schwerbehinderten Menschen im Jahr 2021 bei rund 47 Prozent, die allgemeine Langzeitarbeitslosenquote dagegen nur bei etwa 39 Prozent. Obwohl schwerbehinderte Erwerbslose im Schnitt sogar besser qualifiziert sind als Arbeitslose ohne Beeinträchtigung, betonte Dusel. Es brauche vermehrte Anstrengungen, damit Menschen mit Behinderungen die Chancen erhalten, die sie brauchen. »Es gibt keinen Arbeitsplatz in Deutschland, der nicht durch einen Schwerbehinderten besetzt werden kann, wenn die Voraussetzungen stimmen.«

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!