- Berlin
- Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften
Wahnsinn und Bauwut
Richtfest für fast 450 städtische Wohnungen in Hellersdorf
»Der einzige Weg, den Markt nachhaltig zu entspannen, ist der Neubau.« Das sagt am Mittwochvormittag Jörg Franzen, Vorstandschef der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau in Hellersdorf. Es wird Richtfest gefeiert für 14 Häuser mit 448 Wohnungen auf der Fläche des ehemaligen Stadtguts Hellersdorf an der Kastanienallee. Insgesamt 1500 Wohnungen sollen dort entstehen, etwa 160 davon sind seit Sommer 2021 fertig.
Eines der Gebäude, für das nun Richtfest gefeiert wird, ist ein Studierendenwohnheim mit 30 Ein-Zimmer-Apartments und zehn Wohngemeinschaften für jeweils drei bis sechs Personen. »Zu jedem WG-Zimmer gibt es einen eigenen Bad- und WC-Bereich«, hebt Franzen den »Luxus« hervor, der auch seinen Preis hat. 440 bis 480 Euro Monatsmiete pro Kopf sollen fällig werden.
In den restlichen Gebäuden entstehen hauptsächlich Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen, 30 Prozent im geförderten Bereich für eine Nettokaltmiete um 6,60 Euro pro Quadratmeter. Wie hoch die Miete beim Rest ausfallen wird, kann Jörg Franzen nicht genau sagen, denn Fertigstellung soll 2023 sein. Derzeit dürfen Landeseigene im sogenannten freifinanzierten Teil des Neubaus laut Kooperationsvereinbarung mit dem Senat im Durchschnitt maximal elf Euro nettokalt pro Quadratmeter nehmen. Angesichts galoppierender Baupreise haben die sechs städtischen Wohnungsunternehmen jedoch bereits Nachverhandlungsbedarf angemeldet.
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) spricht selber das Problem des »sehr angespannten Wohnungsmarktes« an, der angesichts von durchschnittlichen Bestandsmieten von 6,79 Euro pro Quadratmeter hauptsächlich ein Problem sei für jene, die umziehen müssen. Selbst die vergleichsweise preiswerten städtischen Neubauten sind mit zweistelligen Euromieten pro Quadratmeter nahe des Stadtrands für viele von Verdrängung betroffene Haushalte keine Option.
»Neubau allein wird das Problem nicht lösen. Es können kaum so viele bezahlbare Wohnungen neu gebaut werden, wie sie durch Mieterhöhungen aus dem Bestand verschwinden«, sagt Linke-Mietenexperte Niklas Schenker zu »nd«. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen müssen ihre hohen Wiedervermietungsquoten für Menschen mit Anspruch auf Wohnberechtigungsscheine mindestens beibehalten und den Berliner Mietendeckel weiter fortführen, fordert er.
»Wir haben über 55 Prozent einkommensschwache Haushalte in der Stadt, die unsere Unterstützung brauchen«, erinnert Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus. »Einkommensschwach bedeutet meist nicht, dass diese Menschen auch sozial problematisch sind, wie es leider große Teile der SPD und der landeseigenen Unternehmen oft kolportieren«, unterstreicht sie gegenüber »nd«.
»Neubau löst nicht alle Probleme, das ist vollständig klar«, räumt Senator Geisel gegenüber »nd« ein. Angesichts des sehr niedrigen Leerstands habe Neubau aber durchaus einen Effekt, denn »auch dann greifen Marktkräfte, und nicht jede Bruchbude kann zu astronomischen Preisen vermietet werden«.
Der RBB hat Zahlen der Berliner Jobcenter ausgewertet, die zeigen, dass Menschen mit geringem Einkommen aus den Innenstadtbezirken verdrängt werden. Während von 2007 bis 2020 in Mitte die Zahl der Hartz-IV-Beziehenden um über 14 000 abnahm, stieg sie in Marzahn-Hellersdorf um fast 11 000 Menschen. In Friedrichshain-Kreuzberg sank in der gleichen Periode deren Zahl um über 13 600, in Neukölln um über 7200. Im Gegenzug um fast 10 000 deutlich nach oben ging es in Spandau, rund 7700 mehr Leistungsempfänger zählte das Jobcenter in Reinickendorf.
Stadtentwicklungssenator Geisel sagt: »Da darf es nicht nur Wohnungsbau am Rand der Stadt geben, sondern auch in der Mitte der Stadt.« Doch bekanntlich verfügt Berlin dort kaum mehr über eigene Grundstücke, die nicht bebaut sind. Die Lösung, um »nicht am Bedarf der Berlinerinnen und Berliner« vorbeizubauen, ist für ihn das Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten. Mit den Privaten solle »nicht in einem politischen Gegeneinander, sondern indem wir uns unterhaken«, zusammengearbeitet werden.
»Um der sozialen Entmischung entgegenzuwirken, sollten wir über eine Erhöhung der Sozialquoten bei innerstädtischen Bauprojekten auf bis zu 100 Prozent sprechen«, fordert hingegen Linke-Politiker Schenker. »Eine Sozialstrukturanalyse in guten Lagen würde helfen, um zu beurteilen, in welchen Gebieten die landeseigenen Wohnungsunternehmen besonders arme Haushalte wieder vermehrt unterbringen sollten«, sagt Katrin Schmidberger von den Grünen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.