Werbung

Die Lücke beim Atomausstieg

HEISSE ZEITEN – Die Klimakolumne: Solange in Deutschland Material für AKW produziert wird, ist die Energiewende nicht konsequent

  • Olaf Bandt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Ende dieses Jahres die letzten drei deutschen Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim-2 und Isar-2 vom Netz gehen, ist das einer der größten Erfolge zivilgesellschaftlichen Protests in der Geschichte der Bundesrepublik. Ohne den unermüdlichen Kampf der Anti-Atom-Bewegung wäre Deutschland heute übersät mit Atomkraftwerken. Der Ausstiegsbeschluss nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 wäre ebenfalls nicht denkbar ohne die Großdemonstrationen jener Zeit. Und ohne den Anti-AKW-Protest – auch das ist unbestreitbar – läge der Anteil der Erneuerbaren im deutschen Strommix heute nicht bei über 40 Prozent. Der Atomausstieg war Antriebsmotor der Energiewende. Und der Ausstieg aus der Kohleverstromung wird der nächste Booster sein.

Während Deutschland seine nukleare Stromproduktion beendet, versorgen allerdings zwei Atomfabriken das Ausland weiterhin mit nuklearem Brennstoff. Im westfälischen Gronau steht die zweitgrößte Urananreicherungsanlage der Welt. Im niedersächsischen Lingen wiederum beliefert die Brennelementefabrik des französischen Atomkonzerns Framatome unter anderem europäische Schrottreaktoren und AKWs in Krisengebieten. Deutschland bleibt damit wesentlicher Bestandteil der nuklearen Produktionskette, ist mitverantwortlich für noch mehr Atommüll und das Risiko schwerer Atomkatastrophen. Bislang ist der Betrieb der beiden Brennstoffanlagen vom gesetzlichen Atomausstieg ausgenommen und sogar unbefristet genehmigt. Ein Skandal, denn die neue Bundesregierung ändern muss.

Olaf Bandt
Olaf Bandt ist Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Umweltorganisationen wie der BUND und Anti-Atom-Gruppen fordern seit langem die Stilllegung dieser beiden Atomfabriken. Denn ihr Betrieb steht im völligen Widerspruch zum Atomausstieg. Auch die Grünen und Politiker*innen aus den Reihen der SPD teilen diesen Standpunkt. 2017 gab die damalige Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) daher zwei unabhängige Rechtsgutachten in Auftrag, um die Voraussetzungen für die Stilllegung zu prüfen. Beide Gutachten kamen zu dem Schluss, dass die Entziehung der Betriebsgenehmigungen rechtssicher möglich sei.

Doch dieser Erkenntnis folgten keine Taten, sie blieb folgenlos. Weder Hendricks noch ihre Nachfolgerin Svenja Schulze (SPD) konnten sich offenbar gegen das damals noch von der CDU geführte Bundeswirtschaftsministeriums durchsetzen. Auch ein Vorstoß der Bundestagsfraktion der Grünen 2018 zur Schließung der Atomfabriken scheiterte.
Jetzt sind SPD und Grüne in Regierungsverantwortung und sowohl das Umweltministerium als auch das Wirtschaftsministeriumwerden von den Grünen geführt. Wer aber glaubt, damit sei das Aus für die Urananreicherung und der Brennelemente-Produktion in Deutschland besiegelt, irrt. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht kein einziges Wort zu den Atomfabriken in Gronau und Lingen. Zwar erklärt das Umweltministerium, es halte die Brennstoffproduktion für unvereinbar mit dem Atomausstieg und wolle weitere Schritte prüfen, konkrete Aussagen gibt es aber nicht.

Aktuell besteht eher die Sorge, das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck könnte einem geplanten französisch-russischem Joint-Venture für die Brennelemente-Fertigung im Emsland zustimmen. Eine Tochter des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom hat bereits im vergangenen Jahr die Beteiligung an der Lingener Atomfabrik beantragt. Diese weitreichende Entscheidung könnte noch im Februar fallen.

Sollte Bundesminister Habeck einer Atomunion zwischen Framatome und Rosatom tatsächlich zustimmen, hätte das weitreichende Konsequenzen nicht nur für die Glaubwürdigkeit der Grünen. Die russische Beteiligung würde die wirtschaftlich marode Brennelementefabrik aufwerten und ihren Weiterbetrieb zementieren. Russland würde zudem weiter an Einfluss auf dem europäischen Energiemarkt gewinnen. Kritiker*innen befürchten sogar, das Land könne über seine Beteiligung EU-Sanktionen unterlaufen. Robert Habeck muss diesen Atomdeal verhindern und die Schließung der Atomfabriken vorantreiben – andernfalls wäre der Atomausstieg 2022 eine Mogelpackung.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.