Stolpersteine für den »III. Weg«

Doritta Korte widersetzt sich mit ihrem Verein »Colorido« der teilweisen Vereinnahmung von Plauen durch die Neonazipartei

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 10 Min.

Das Haus in der Pausaer Straße 130, die hinter dem Bahnhof von Plauen mehrspurig aus der Stadt hinaus führt, wirkt unsaniert. Statt Gardinen hängen hinter den Fenstern Plakate, auf denen gegen Ausländer gehetzt wird. Ein Leuchtkasten über der Haustür informiert, dass sich hier ein Stützpunkt der neofaschistischen Kleinstpartei »Der III. Weg« befindet. Auch deren Motto wird verkündet: »National. Revolutionär. Sozialistisch«. Zudem sind die Öffnungszeiten einer Kleiderkammer zu lesen. Sonderlich einladend wirkt das Gebäude nicht. Doch der Eindruck trügt, sagt Doritta Korte. Das »P 130«, wie seine Betreiber das Haus nennen, »zieht viel zu viele Leute an, selbst in der Coronazeit«.

Korte sitzt ein paar Kilometer entfernt in einem Ladenlokal mit Blick auf den Plauener Dittrichplatz. Es ist eine Art Gegenentwurf zum »P 130«: Treffpunkt des Vereins »Colorido«, den Korte und einige Mitstreiter vor fünf Jahren gegründet haben. Als Namen wählten sie das spanische Wort für »bunt«. Ihr Motto lautet: »Demokratie. Lebendig. Gestalten.« Anliegen ist es, den III. Weg aus Plauen zu vertreiben, zumindest aber Bürger und Verwaltungen von Stadt und Landkreis auf ein aus ihrer Sicht großes Problem hinzuweisen. Der Erfolg sei bisher leider mäßig, räumt Korte ein. Ein Vortrag, in dem der Verein über die Aktivitäten der Neonazis informiert, ist in ganz Deutschland gefragt, sagt sie, »nur nicht in unseren Gefilden«. Mancher hoffe offenbar noch, »das Problem klein halten« zu können.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Kortes Sorge ist: Das P 130 könnte eine Partei, die sich in Programm und Ästhetik unverblümt auf den Nationalsozialismus bezieht, attraktiv wirken lassen und ihr Zulauf bescheren. Das Mittel dazu sind Angebote, die zunächst einmal gänzlich unpolitisch wirken. In der Pausaer Straße 130 gibt es Gitarrenunterricht und Kinderdisco, Angelkurse, Wanderungen und Frauenfrühstück. »Die haben dort mehr Angebote als jedes Stadtteilhaus«, sagt Korte. Alle sind zudem kostenlos. Die Ideologie wird unterschwellig vermittelt - etwa, indem die Kleiderkammer »nur für Deutsche« geöffnet wird.

Beobachter von außen teilen Kortes Sorgen. Das »Kulturbüro Sachsen«, das Kommunen und Behörden im Umgang mit Rechtsradikalen berät, weist darauf hin, dass sich der III. Weg in Plauen als »Kümmerer« inszeniert - mit Hintergedanken: »Im Windschatten des sozialen Angebots bietet sich die Möglichkeit, in die extrem rechte Erlebniswelt einzutauchen«, ist in der vom Kulturbüro herausgegebenen Broschüre »Sachsen rechts unten« zu lesen. Die eigene Immobilie biete der Partei dabei ein »vollkommen neues Potenzial an Handlungsfähigkeit« - und das nicht zufällig in einem Stadtteil, in dem man dafür einen fruchtbaren Boden vermutet: Haselbrunn ist ein Viertel, in dem Menschen wohnen, die wenig zum Leben haben. Die Nazipartei schürt dort geschickt soziale Konflikte, die sie »ethnisiert«, wie das Kulturbüro formuliert: Die Schuld an der Schieflage wird Zuwanderern zugewiesen.

Dass die Aktivitäten des III. Weges nicht ungefährlich sind, sieht man auch beim sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz. Die sozialen und Jugendangebote der Partei, von deren bundesweit 600 Mitgliedern knapp ein Viertel in Sachsen aktiv sind, seien Teil einer »Anschlussstrategie an die gesellschaftliche Mitte«, mit der um »neue Mitglieder sowie Akzeptanz in der Bevölkerung« geworben werde. Plauen, betont die Behörde, sei für die Partei ein bundesweiter Modellversuch, das P 130 ein »Vorzeigeobjekt«.

Angesichts solcher Einschätzungen müssten in Plauen alle Alarmglocken läuten, findet Korte. Das ist jedoch nicht der Fall. Als die Partei einmal einen ihrer martialischen Aufzüge mit Fackeln und Trommeln in der Stadt veranstaltete, habe der damalige Rathauschef nicht etwa zum Protest aufgerufen, sondern den Bürgern nur geraten, zu Hause zu bleiben, erinnert sich die Colorido-Chefin. In der Kommunalpolitik genieße die Partei mittlerweile sogar ein »gewisses Ansehen«, seit sie 2019 in Stadtrat und Kreistag gewählt wurde. Im Plauener Stadtparlament wollten den III. Weg 3366 Wähler sehen, das entspricht einem Stimmenanteil von 3,8 Prozent.

Nun sitzt mit Tony Gentsch ein Mann im Rat, der einst führender Kader im neonazistischen »Freien Netz Süd« im bayrischen Franken war. Nach dessen Verbot zog er ins sächsische Vogtland und baute dort rechte Strukturen auf. Nun werde ihm in kommunalen Parlamenten »die Hand geschüttelt und der rote Teppich ausgerollt«, sagt Korte. Ein Beispiel: Als die CDU im April 2021 die städtischen Zuschüsse des lokalen Bündnisses für Demokratie und Toleranz streichen wollte stützte sie sich auf die Stimmen der AfD - und auf die von Gentsch.

Korte und ihre Mitstreiter finden, das so etwas nicht hingenommen werden darf. Man wolle »denen das Leben schwer machen«, sagt sie. Colorido setzt dabei zum einen auf Aufklärung. Es sei »Zeit, dass wir Tacheles reden«, heißt es in einer Broschüre mit dem Titel »Plauen auf dem Holzweg«, die gemeinsam mit der französischen Journalistin Prune Antoine herausgebracht wurde. Antoine hatte Tony Gentsch im Jahr 2020 über mehrere Monate hinweg begleitet. Ihr Bericht ist eine eindringliche Warnung vor der Partei, deren Programm ein »Copy und Paste von Gedankengut des Nationalsozialismus« sei.

Zum anderen setzt der Verein auf eigene Angebote, die - anders als die des »III. Weg« - Menschen nicht aus-, sondern einschließen. Die Zahl der Aktivitäten, die Korte allein für die nächsten Monate aufzählt, ist beeindruckend: eine »Internationale Woche gegen Rassismus« im März, bei der eine Menschenkette organisiert und zusammen mit dem Verein »Romano Sumnal« eine Veranstaltung über und mit Sinti und Roma organisiert wird, von denen in Plauen mehrere Hundert leben - oft am Rand der Gesellschaft und stigmatisiert. Am 1. Mai steht ein Festival mit dem Titel »Don’t be silent« auf dem Programm; zehn Tage später eine Veranstaltung zum Jahrestag der NS-Bücherverbrennung; im Juni ein Kiezfest, das zusammen mit anderen Vereinen auf die Beine gestellt wird und sich nicht zuletzt an migrantische Familien richtet. Dazu kommen Ausstellungen im »Colorido«-Treff oder Vorträge in Kooperation mit der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Mit einem solchen Programm könnte man einen Verein gut beschäftigen, der über etliche fest angestellte Mitarbeiter und eine Geschäftsstelle verfügt. »Colorido« hat weder das eine noch das andere. Stattdessen hat er Doritta Korte. Eine Frau, die als Lehrerin für Deutsch und Gemeinschaftskunde arbeitet, ein fröhliches Energiebündel ist und für ihre Ideale brennt: Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz. Als ihren Leitgedanken zitiert sie ein Motto des Friedensnobelpreisträgers Frederik Willem de Klerk: »All different - all equal«, hatte der südafrikanische Ex-Präsident gesagt, der zur Abschaffung der Apartheid beitrug: Jeder ist anders, aber alle sind gleich.

Korte engagiert sich seit jeher und hält mit ihren Ansichten nicht hinter dem Berg, auch wenn das auf Widerstände stößt. In der Schule habe sie stolz den Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« auf ihrem Parka getragen, der in der DDR indes alles andere als gern gesehen war. Mit dem politischen System des Landes, das für sie ein »Unrechtsstaat« war, konnte sich die Handwerkertochter, die der Jugendweihe die Konfirmation vorzog und beinahe nicht hätte studieren dürfen, nicht arrangieren: Im Herbst 1989 war sie aktiv in Bürgerrechtsgruppen, war dann aber erschüttert, wie schnell der Drang nach Freiheit der Gier nach der D-Mark wich. Den Gesinnungswandel konnte sie den Plakaten auf Demonstrationen entnehmen, die sie als Studentin wissenschaftlich analysierte. »Demokratie spielte auf einmal keine Rolle mehr, die Mehrheit wollte nur noch ›Konsumokratie‹«, sagt sie.

Die kam dann, jedoch mit unerwünschten Begleiterscheinungen: abgewickelte Fabriken, hohe Arbeitslosigkeit. In Plauen, das für die Spitzenerstellung weltweit berühmt war, wurden traditionsreiche Textil- und Maschinenbaubetriebe geschlossen. Viele Menschen waren enttäuscht. Es begann, sagt Korte, »das große Meckern«. Das halte bis heute an, sie beobachte es auch dieser Tage bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen wieder. Ungeniert wird dabei das Erbe vom Herbst 1989 instrumentalisiert, indem die »Spaziergänge« am Wendedenkmal beginnen oder enden. Es erinnert daran, dass in der Stadt im südlichsten Zipfel der DDR am 7. Oktober die erste Großdemonstration des Wendeherbstes stattfand. Dass dieses Ereignis heute vereinnahmt wird, hält Korte für geschmacklos - zumal dabei nennenswerte Teile der Bürgerschaft ohne Hemmungen nicht nur mit der AfD, sondern auch mit den extrem rechten »Freien Sachsen« und sogar dem »III. Weg« gemeinsame Sache machen. »Dass es solchen Zulauf zu Rechtsextremen gibt, hätte ich nie für möglich gehalten«, sagt sie. Es ist ein Phänomen, das ihr Angst macht: »Man weiß, wohin das führt.«

Die Angst führte bei Korte indes nicht zu Lähmung, sondern zu erneutem Engagement. In den 1990er Jahren gründete sie eine Familie und musste erneut studieren, weil ihre DDR-Abschlüsse »immer wieder in Frage gestellt« wurden. Anfang der 2000er begann sie sich wieder einzumischen, wenn auch »zunächst sehr konservativ«, wie sie formuliert. 2014 aber nahm sie an einem »Mahngang Täterspuren« teil, der die NS-Geschichte von Plauen zum Thema hatte. Hier wurde der berüchtigte Gauleiter Martin Mutschmann geboren, und Adolf Hitler trat hier einst vor 8000 fanatischen Anhängern auf. Damals habe sie »erkannt, wofür es sich für mich zu kämpfen lohnt«, sagt Korte.

Also kämpft sie, auch wenn das in der sächsischen Provinz auf erhebliche Widerstände stößt. Ihren Job an einer freien Schule, erzählt sie, habe sie eingebüßt, weil »AfD-Eltern« Anstoß zum Beispiel an Theaterprojekten nahmen, in denen sie sich unter Titeln wie »Ein Morgen vor Lampedusa« mit Migration und der Festung Europa beschäftigte. Die Angelegenheit beschäftigt derzeit Gerichte.

Ihre Arbeit bei »Colorido« wird dagegen subtiler ausgebremst. Der Landrat lässt wissen, man brauche den Verein nicht, weil es ja das Demokratiebündnis gebe - dem der Stadtrat die Mittel entzog. Auch für »Colorido« sind die Finanzen ständig ein schwieriges Thema. Institutionelle Förderung von Stadt oder Landkreis gibt es nicht. Anträge beim Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen« hat der Verein dreimal gestellt. Sie wurden dreimal abgelehnt. Zuschüsse beantragte er auch beim Programm »Demokratie leben«. Dessen Vergabegremium in der Region ist freilich von CDU und AfD dominiert: »Da wird blockiert, wo es nur geht.«

Dennoch halten viele Menschen die Arbeit von »Colorido« für wichtig. Kürzlich startete der Verein ein Crowdfunding auf der Plattform Startnext. Mit den eingeworbenen Spenden solle der Colorido-Treff am Dittrichplatz als ein »Zentrum für ein buntes und soziales Plauen« unterstützt werden, hieß es im Aufruf. Ziel war es, 10 000 Euro für die Miete einzuwerben und für »etwaige Gerichtskosten«, falls die eigene Arbeit vom »III. Weg« juristisch angegriffen wird.

Der Plan ging nicht nur auf, sondern wurde übererfüllt: 204 Unterstützer sorgten für ein Finanzpolster von 14 100 Euro. Doritta Korte ist hocherfreut - auch wenn die Aktion selbst im Nachhinein noch für viel zusätzliche Arbeit sorgt. Manche Spender erhielten im Gegenzug für höhere Beträge die Zusage, dass bei ihnen der Vortrag zum III. Weg gehalten wird: »Da stehen uns noch einige Reisen und Termine bevor«, sagt die Vereinschefin.

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Zudem erhielt »Colorido« im Herbst den Sächsischen Förderpreis für Demokratie. In der Begründung hieß es, der Verein setze »seit Jahren unter schwersten Bedingungen und mit Ausdauer demokratische Projekte in der Region« um. Er stehe damit »beispielhaft für viele Vereine in Sachsen, die auch fernab der Städte Engagement zeigen«. Gewissermaßen ist er damit nun auch ein »Vorzeigeprojekt«: dafür, dass Neonazis in der sächsischen Provinz weiter auf Gegenwehr stoßen.

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