- Ratgeber
- Pflegereform
Entlastung der Pflegebedürftigen angestrebt
Was die Pflegereform wirklich bringt
Bei genauerer Betrachtung handelt es sich um eine Verteuerung des tatsächlichen Eigenanteils im Pflegeheim und zu Hause erhalten die pflegenden Angehörigen - meist Frauen - auch diesmal nichts. Zudem bringt die Erhöhung der Pflegesachleistungen, die letztmals 2017 angepasst wurde, noch nicht einmal den Inflationsausgleich.
Die andere Seite der Medaille teilen sich die drei Dimensionen:
- Singularisierung der zukünftigen Pflegebedürftigen
- Abnahme von Mitbürgerinnen und Mitbürger im erwerbsfähigen Alter
- Genereller Wandel des familiären Settings (Stichwort Emanzipation und Mobilität)
Welche Änderungen stehen bevor?
1. Erhöhung um 5 Prozent bei Pflegesachleistungen: (36 SGB XI): (1) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Das bedeutet, dass etwas mehr Geld insbesondere für den ambulanten Pflegedienst zur Verfügung steht.
Allerdings für Pflegepersonen, die die häusliche Pflege übernehmen, gibt es keine verbesserte Leistung. Für Ihre vielfältigen Aufgaben häufig rund um die Uhr erhalten Sie beispielsweise in Pflegegrad 2 nach wie vor monatlich 316 Euro. Diese sind lediglich steuerfrei, weil der Gesetzgeber darin die »sittliche Pflicht« sieht.
2. Finanzielle Entlastung der Pflegebedürftigen: Hierbei geht es um die stationären Kosten in einem Pflegeheim ab Pflegegrad 2. Die Kosten für den Pflegebedürftigen setzen sich aus Investitionskosten, Unterkunft und Verpflegung und aus einem Eigenanteil für pflegebedingte Aufwendungen zusammen. Die neuen Regelungen zur finanziellen Entlastung von Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen gelten zudem nur bis zum 31. März.
Die Zahlung des Pflegeunterstützungsgeldes wird wegen der Pandemie von zehn auf 20 Arbeitstage verlängert. Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 können den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro monatlich auch für Hilfen außerhalb der geltenden Regelung einsetzen, um so Corona-bedingte Versorgungsengpässe auszugleichen. Eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst, um die Pflegebedürftigkeit festzustellen, kann ohne Untersuchungen des Versicherten in seinem Wohnbereich erfolgen. Die Einstufung erfolgt dann nach Aktenlage und einer telefonischen Befragung.
Was die höheren Zuschlagszahlungen für Heimbewohner anbelangt, so ist sie abhängig von der Verweildauer. in der stationären Einrichtung und staffelt sich wie folgt:
< bis zu 12 Monate i.H.v. 5 %>/pp mehr als 12 Monate i.H.v. 25 %
< mehr als 24 Monate i.H.v. 45 %>/pp mehr als 36 Monate i.H.v. 70 %
Ein Beispiel: Wie hoch ist die Zuschlagzahlung, wenn mein Heimplatz insgesamt 3000 Euro kostet und ich seit zweieinhalb Jahren mit Pflegegrad 3 im Heim bin?
Das Nachrechnen ist für Betroffene nicht ganz so einfach. Berücksichtigt werden bei der Berechnung ausschließlich die pflegebedingten Aufwendungen, einschließlich der Ausbildungsumlagen. Die teilweise erheblichen Kosten von Unterkunfts- und Investitionskosten bleiben jedoch unter Anderem außen vor. Im benannten Beispiel bedeutet das nach Abzug solcher Kosten einen Betrag von 1916 Euro. Von dieser Zwischensumme erfolgt der Abzug des Leistungsbetrages, den die Pflegekasse zahlt, gestaffelt nach Pflegegrad. In Pflegegrad 3 wird ein Betrag von 1262 Euro abgezogen, so dass ein Eigenanteil von 654 Euro übrigbleibt. Dieser Eigenanteil bildet dann die Grundlage für die Ermittlung des Leistungszuschlages.
Bei einem Pflegegrad 4 sieht dies im Durchschnitt wie folgt aus:
Investitionskosten 458 Euro
Unterkunft und Verpflegung 779 Euro Eigenanteil für pflegebedingte Aufwendungen 831 Euro
Gesamteigenanteil 2068 Euro
Kassenanteil 1775 Euro
Gesamtheimentgelt 3843 Euro
Beim obigen Eigenanteil von 831 Euro sähe der von der Verweildauer abhängige Zuschuss wie folgt aus:
1. Monat 5 % (41,55 Euro)
13. Monat 25 % (207,75 Euro)
25. Monat 45 % (373,95 Euro)
37. Monat 70 % (5814,70 Euro)
Hierzu sollte erwähnt sein, dass die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeheim aktuell sinkt: Waren es 2015 noch 840 Tage so waren es 2018 nur noch 702 Tage, also weniger als 24 Monate. Ergo: Im Durchschnitt erleben die Bewohner der Pflegeheime meist nur die ersten zwei Entlastungsstufen.
3. Bessere Tariflöhne ab 1. September 2022 für Pflegekräfte: Nur noch Einrichtungen, die sich an Tariflöhne halten, können mit der gesetzlichen Pflegeversicherung abrechnen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erwartet dadurch einen Anstieg der monatlichen Pflegekosten von 300 Euro. Die gut ausgebildeten Pflegekräfte sollen künftig Hilfsmittel verordnen und eigenständige Entscheidungen in der häuslichen Pflege treffen dürfen.
Die Forderung nach Tariflöhnen und mehr Verantwortung für die Pflegekräfte ist wichtig, damit überhaupt noch genügend Arbeitnehmer diesen Beruf dauerhaft ausüben. Die erhöhten Kosten werden mit der Erhöhung der Entlastung der Pflegebedürftigen teilweise kompensiert. Pflegebedürftige können sich aber darauf einstellen, dass nach dieser Reform im September 2022 die Zuzahlungen im Pflegeheim steigen.
4. Bundeseinheitlicher Personalschlüssel: Damit soll erreicht werden, dass überall gleich viel Pflegekräfte im Verhältnis zu den Pflegebedürftigen eingesetzt werden. Bisher war dies je nach Bundesland unterschiedlich. Die Reform sieht nun Regelungen zum Schutz vor Fachkräfteabbau vor. Was sich positiv anhört, könnte aber in einigen Bundesländern und Heimen doch zum Abbau von Mitarbeitern führen - zum Nachteil der Pflegebedürftigen.
5. Finanzierung: Ab Januar 2022 zahlen Kinderlose weitere 0,1 Prozentpunkte, also insgesamt 0,35 Prozent Beitrag in die Pflegeversicherung. Der Bund zahlt einen pauschalen Zuschuss in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro an die Pflegeversicherung. Experten schätzen die Kosten auf jährlich 2,5 bis 3 Milliarden Euro. Dem stehen aus der Gegenfinanzierung lediglich 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Es fehlt also eine solide Finanzierung der Reform.
Das Fazit zur Pflegereform
Schon jetzt gibt es zu wenige AltenpflegerInnen, während die Anzahl der Pflegebedürftigen zunimmt, nicht zuletzt wegen der Babyboomer-Generation, die jetzt in Rente geht und den Fachkräftemangel verschärft. Nach dieser Reform ist nicht klar, ob die adäquate Pflege erhalten werden kann. IGB/nd
Die Autorin ist Geschäftsführerin vom Institut GenerationenBeratung (IGB) in Bad Nauheim.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.