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Gas und Kernkraft sind nicht grün
Mit dem Taxonomie-Beschluss der EU-Kommission steht die europäische Energiewende auf der Kippe, meint Anna Deparnay-Grunenberg.
Dass die EU-Kommission Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen möchte, wirft viele Fragen auf und ist mehr als besorgniserregend. Damit verpasst die EU wahrscheinlich die Chance, die Energiewende in Richtung 100 Prozent Erneuerbare zeitnah umzusetzen.
Mit der EU-Taxonomie sollten eigentlich nachhaltige Investitionen in Europa gefördert und erleichtert werden. Für die EU ist die Taxonomie (seit dem 1. Januar in Kraft) ein Meilenstein, denn endlich gibt es ein europaweites nachhaltiges Finanzlabel. Doch die zusätzliche Aufnahme von Atomenergie und Gas stellt den Sinn und Zweck des Labels komplett in Frage.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Wie es dazu kam? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – unterstützt von der starken französischen Pro-Atom-Lobby – sieht in der EU-Taxonomie eine Chance, die negative Bilanz der Atomenergie in Frankreich aufzuwerten. Erst vor wenigen Tagen stellte er seinen Fahrplan für die »Renaissance der Atomkraft« vor und kündigte den Bau von 14 neuen Atomkraftwerken (AKW) an. Inmitten der Klimakrise präsentiert er seinen europäischen Partnerländern die Atomkraft als Scheinlösung für den Klimaschutz. Dass die Atomkraft in der EU-Taxonomie fehl am Platz ist und Macron aus reinem Eigeninteresse handelt, wird an folgenden Punkten deutlich:
1. Atomenergie ist nicht grün – auch nicht in Frankreich: Aus den französischen Green Finance Labels ist die Atomkraft ausdrücklich ausgeschlossen. Die Begründung: AKW stellen ein großes Risiko dar.
2. Erneuerbare Energien bleiben Nebensache: Rund 70 Prozent des französischen Energiebedarfs werden mit Atomkraft abgedeckt – der höchste Anteil weltweit. Frankreich ist das einzige EU-Land, das seine Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien bisher nicht erfüllt hat.
3. Atomkraft ist nicht rentabel – auch nicht in Frankreich: Das große französische Energieunternehmen EDF (zu 83,4 Prozent in Staatsbesitz) ist mit 42 Milliarden Euro stark verschuldet (2021). Die Kosten für das AKW Flamanville, das seit 15 Jahren gebaut wird, haben sich inzwischen mehr als verdreifacht (aktuell: 19 Milliarden Euro). Macron möchte diese Defizite mit Hilfe neuer Investitionen ausgleichen, was ihm die EU-Taxonomie ermöglichen würde.
Frankreichs Präsident stellt sich immer als Vorzeige-Europäer dar, insbesondere jetzt vor den Präsidentschaftswahlen. Nun setzt er mit seinem Wahn der nachhaltigen Atomkraft nicht nur sein Image, sondern auch die Glaubwürdigkeit der EU und des Green Deals aufs Spiel. Denn es war der Druck Frankreichs, der die EU-Kommission veranlasste, Atomkraft und Gas Anfang Februar als nachhaltig einzustufen. Allein schon der Prozess, der zu dieser Entscheidung führte, ist demokratisch gesehen höchst kritisch. Entscheidungen mit solcher Tragweite sollten in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren – statt eines Hintertürdeals und verpackt in einem »Delegierten Rechtsakt« – entschieden werden. Jetzt wird die EU-Taxonomie unglaubwürdig und konterkariert die notwendige Energiewende. Auch Deutschland, die Merkel-Bundesregierung, trägt eine Mitschuld am Taxonomie-Desaster: Diese hatte nämlich dem »Deal mit Frankreich« stillschweigend zugestimmt; im Austausch für die Aufnahme von Erdgas (nicht weniger problematisch), von dem wir weiterhin viel zu abhängig sind.
Wie geht es weiter? Die neue Ampel-Bundesregierung äußert Bedenken, doch diese kommen zu spät. Die Gelegenheit, im EU-Ministerrat ein Veto einzulegen, ist verpasst: 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten müssten den Vorschlag dort ablehnen. Das ist leider unwahrscheinlich. Doch im EU-Parlament besteht die Möglichkeit, die Kommissionsentscheidung im Frühjahr noch zu kippen. Das gibt uns Grünen Hoffnung, das Blatt noch zu wenden, und wir setzen nun alle Hebel in Bewegung, um eine Mehrheit für die Ablehnung zu erreichen.
Ein letzter Ausweg wäre eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Österreich und Luxemburg haben diesen Weg bereits in Aussicht gestellt. Die deutsche Bundesregierung hält sich diese Option ebenfalls offen. Die deutsche Abhängigkeit vom Erdgas führt jedoch zum Zögern. Dabei könnten wir den Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare – mit einer Taxonomie ohne Gas und Atom – viel schneller erreichen.
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