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Türkische Frauen kämpfen nicht nur am 14. Februar
Der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention hat die Frauenbewegung noch gestärkt
Auf der Suche nach Aktionen, die im Kontext des »One Billion Rising« - Aktionstages (Eine Milliarde steht auf) in der Türkei stattfinden werden, wird man auf den ersten Blick nicht fündig. Die Ländersuche auf der Webseite der Veranstalter*innen zeigt, dass in den vergangenen Jahren zwar One-Billion-Rising-Aktivitäten organisiert wurden, von Stadtverwaltungen, Universitäten und Frauenorganisationen, doch in diesem Jahr ist die Karte leer. Hat der globale Aufruf, sich öffentlich für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen einzusetzen, in der Türkei keine Relevanz?
Im Gegenteil. Nicht erst seit dem Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention im März 2021 ist Gewalt gegen Frauen und die Einschränkung von körperlicher Selbstbestimmung ein Problem. Die konservative Politik der regierenden AKP hat zu einem massiven Anstieg von Frauenmorden geführt, verfestigte die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt sowie die patriarchalen Familienverhältnisse. Dagegen protestieren in diesen Tagen Frauen in Istanbul, die sich in dem Bündnis »Frauen sind zusammen stark« (Kadınlar Birlikte Güçlü, KBG) organisieren.
Den Auftakt machte eine Kundgebung am Hafen von Kadiköy, auf der asiatischen Seite Istanbuls. Rund 60 Frauen demonstrierten hier gegen die geplante Reformierung der Unterhaltsregelungen für Frauen nach einer Scheidung. Laut dem Gesetzesvorschlag aus dem Justizministerium sollen Frauen nur so lange Unterhalt beziehen, wie die Ehe andauerte. Frauenorganisationen sehen darin die Gefahr, dass weniger Frauen die ohnehin schon schwierige Entscheidung einer Scheidung treffen würden, aus Angst, sich und ihre Kinder nicht alleine finanzieren zu können. Gerade Frauen, die keiner Lohnarbeit nachgehen, sondern unbezahlte Hausarbeit verrichten, seien hiervon betroffen. Bei einer Mehrheit der Unterhaltsverhandlungen vor Gericht spiele außerdem häusliche Gewalt eine Rolle, vor der Frauen sich noch schwerer schützen könnten, wenn ihr Recht auf Unterhalt entfiele.
Merve Şanlıdağ ist Mitglied der Organisation »Frauensolidarität« (Kadın Dayanışması), die selbst ein Teil von KBG ist. Die 2014 gegründete, sozialistisch-feministische Gruppe versteht den Kampf von Frauen für gesellschaftliche Gleichberechtigung, gegen männliche und staatliche Gewalt sowie gegen Homo- und Transphobie als Teil eines antikapitalistischen Widerstands. »Wir sind der Überzeugung, dass das Bündnis von Frauenorganisationen am Arbeitsplatz, an den Schulen und Universitäten und auf der Straße vertreten sein und permanente Arbeit leisten muss. Ein symbolischer Tag reicht dafür nicht aus«, erklärt Şanlıdağ. Die Protestform von One Billion Rising, einen Tanz aufzuführen, findet sie nicht grundlegend falsch. »Was mir aber besser gefallen hat, war die Choreographie des chilenischen Kollektivs Las Tesis vor einigen Jahren. Denn dort wurde auch die staatliche Verantwortung deutlich gemacht.« Bei der 2020 aufgeführten Performance »Der Vergewaltiger bist du« wurden neben männlicher Gewalt auch die politischen Strukturen dahinter kritisiert. Schnell verbreitete sich die Choreographie international und wurde auch von Frauen in der Türkei aufgeführt.
An der Kundgebung nimmt auch Irem Kayıkcı von der Organisation »Lila Solidarität« (Mor Dayanışma) teil. Direkt im Anschluss werde sie die nächste KBG-Aktion am Montag vorbereiten, erzählt Kayıkcı. »Am Valentinstag verteilen wir aus Papier geformte Äpfel, in denen wir kleine Botschaften versteckt haben. Seit fünf Jahren organisieren wir ähnliche Aktion, das diesjährige Motto lautet ›Liebe ist eine alte Lüge, die uns unsere Arbeitskraft klaut‹«, erklärt sie. Mit den Äpfeln, eine Anspielung auf die verbotene Frucht von Eva und Adam, möchte KBG in diesem Jahr vor allem auf unbezahlte und unsichtbare Hausarbeit aufmerksam machen, die meistens von Frauen verrichtet und in patriarchalen Beziehungen als selbstverständlich betrachtet wird. »Unser Protest findet in einer Zeit statt, in der Frauen besonders unter Druck stehen. Mit der Begründung, nationale und religiöse Werte seien verletzt worden, wurde die Sängerin Sezen Aksu öffentlich bedroht und die HDP-Abgeordnete Aysel Tuğluk sitzt trotz schwerer Demenz-Erkrankung nach wie vor in Haft«, sagt Kayıkcı.
Die Frauenbewegung in der Türkei, so sagen viele, wurde durch den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention noch einmal stärker mobilisiert. Internationale Verbindungen, beispielsweise zu polnischen Frauenorganisationen, bestehen bereits und so scheint ein einzelner symbolischer Aktionstag ein überholtes Konzept zu sein.
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