• Politik
  • Repression in der Türkei

Prozess wegen Protesten an Istanbuler Uni

Angeklagte Studierende verteidigen ihre Aktion vor Gericht und sehen eine politische Motivation

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Freitag startete der Prozess gegen 14 Studierende der Boğaziçi-Universität in Istanbul. Vorgeworfen wird ihnen unter anderem die Teilnahme an illegalen Versammlungen, Freiheitsberaubung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Behinderung eines Fahrzeugs. Die geforderten Strafen liegen zwischen fünf und 25 Jahren Freiheitsentzug.

Seit über einem Jahr finden an der prestigeträchtigen Boğaziçi-Universität Proteste statt. Auslöser dafür war die Einsetzung des Rektors Melih Bulu durch ein Dekret von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Januar letzten Jahres. Die Studierenden sahen die Einsetzung eines regierungsnahen Rektors als Gefahr für die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit auf ihrem Campus. Die Proteste weiteten sich in die Innenstadt Istanbuls aus und wurden zu einem hoffnungsvollen Symbol für die organisierte Linke und demokratische Oppositionelle.

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Studierende verloren Stipendien

Im August wurde Bulu dann - ebenfalls durch ein Präsidialdekret - über Nacht durch Professor Mehmet Naci İnci ersetzt. Was kurz für einen Sieg der Protestierenden gehalten wurde, stellte sich jedoch als Verschärfung der Lage heraus. Vielmehr musste Bulu sein Amt räumen, da er aus Sicht der Regierung nicht hart genug gegen die Studierenden vorgegangen war. Im Laufe der anhaltenden Proteste wurden bisher rund 1000 Studierende verhaftet, Hunderte verloren ihre Stipendien. Ebenso wurden der Koordinator für Prävention von sexueller Belästigung, der Herausgeber des Universitätsverlages und der Verantwortliche für den LGBT-Club der Universität entlassen, weil sie sich mit den Protesten solidarisiert hatten.

Die 14 Angeklagten wurden Anfang Oktober festgenommen, Ersin Berke Gök und Caner Perit Özen befanden sich seitdem in Untersuchungshaft. Präsident Erdogan hatte die Protestierenden im Allgemeinen und Gök explizit in einer Rede als »Terroristen« bezeichnet, die gar keine Studierenden seien, sondern sich in die Universität eingeschlichen hätten. Gök ging in seiner Verteidigungsrede vor Gericht auf diese Äußerung des Präsidenten ein, die er für ausschlaggebend für seine Verhaftung hält. »Jemand schickte mir einen Link zu einem Artikel. Dort nannte Erdoğan mich einen Terroristen. Anschließend klingelte mein Telefon ununterbrochen, ›Wahrscheinlich wirst du verhaftet‹, sagte man mir.« Danach hätten Zivilpolizisten ihn auf dem Campus verfolgt und ihn festgenommen. »›Schulter an Schulter gegen den Faschismus‹ riefen wir, danach kamen wir in Untersuchungshaft. Weil ich dagegen protestierte, dass Menschen andere Menschen erniedrigen?«

Auch Özen verteidigte sich und seine politische Ansicht vor Gericht. »Ich habe den Kampf an der Boğaziçi von Anfang an unterstützt und tue dies auch immer noch. Unser Ziel ist eine freie und unabhängige Universität.« Seine Anklage nahm er mit Humor: »Am Abend erhielt ich die Anklageschrift und habe bis zum Morgen gelacht. Dafür möchte ich mich bei der Staatsanwaltschaft bedanken.« Für Özen ist die Haft politisch motiviert. »Wir sind nicht nur ein paar arme Studierende, denen das Recht auf Bildung genommen wurde, wie führen einen Kampf. Über uns hält niemand die schützende Hand, aber wir sind auch niemandem unterstellt.«

Aus Untersuchungshaft entlassen

Neben internationalen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichte eine Gruppe von Abgeordneten aus dem EU-Parlament, darunter Özlem Alev Demirel von der Linken, ein Statement zum Prozessauftakt. Darin heißt es, die Protestierenden an der Bogazici-Universität würden aktuell einen hohen Preis dafür zahlen, dass sie von ihren grundlegenden Rechten Gebrauch machten. Die europäische Öffentlichkeit dürfe die Aggressionen und Willkür von staatlicher Seite nicht akzeptieren, wovon Gök und Özen die jüngsten Opfer geworden seien. Die Unterzeichner*innen forderten die umgehende Freilassung der beiden, sowie ein Ende jeglicher Einschränkungen für Menschenrechtsaktivist*innen in der Türkei.

Nach der ersten Verhandlung wurden Gök und Özen mit Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Prozess wird am 21. März fortgesetzt.

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