- Politik
- Proteste gegen Corona-Maßnahmen
Von Telegram auf die Straße
Studie macht auf das Gefahrenpotenzial durch Gegner*innen der staatlichen Corona-Maßnahmen aufmerksam
Auch wenn die Politik inzwischen stufenweise Lockerungen der Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie beschlossen hat, gehen weiterhin wöchentlich bundesweit mehrere tausend Menschen gegen die geltenden Restriktionen auf die Straße. Ebenso kommt es bei diesen Protesten im Wochentakt zu Grenzüberschreitungen, zuletzt am vergangenen Montag im sachsen-anhaltischen Halberstadt. Angeführt von einer extrem rechten Vereinigung namens »Harzrevolte« marschierte eine Gruppe mit Fackeln und Trommeln vor dem Privathaus von Halberstadts Oberbürgermeister Daniel Szarata (CDU) auf.
Wie die Regionalzeitung »Volksstimme« berichtet, musste die Polizei mehrere Demonstrant*innen davon abhalten, Szaratas Grundstück zu betreten. Vorfälle und Versuche dieser Art gab es in den vergangenen Monaten wiederholt. Erst Ende Januar rief ein AfD-Politiker dazu auf, eine Demonstration vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) zu veranstalten. Auch hier musste die Polizei das Vorhaben unterbinden. Wenige Wochen vorher ging dies noch anders aus: Im Dezember waren etwa 30 Menschen mit Fackeln vor Köppings Haus aufmarschiert.
Welche Systematik hinter solchen Protesten und Aufmärschen steckt, untersuchen Forscher*innen für das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in einer repräsentativen Studie. Am Donnerstag legten die Wissenschaftler*innen erste Zwischenergebnisse ihrer Erhebung vor. Im Gegensatz zu bisherigen Studien ging es nicht nur darum, ein Protestpotenzial zu erfassen, sondern festzustellen, wer und wie viele Menschen tatsächlich an Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen teilnehmen.
Zwischen der theoretischen Bereitschaft und einer realen Umsetzung klafft eine durchaus erhebliche Lücke, wie aus den Daten hervorgeht: So geben in der Befragung etwas über elf Prozent der Menschen an, sie wären auf jeden Fall oder eher bereit, an diesen Protesten teilzunehmen. Laut eigener Auskunft haben es bisher aber lediglich 4,3 Prozent der Befragten tatsächlich getan.
NS-Verharmlosung und AfD-Affinität
Die Studie untermauert zudem bisherige Annahmen zur Zielgruppe dieser Proteste. Demnach zeigen fast 60 Prozent der befragten AfD-Wähler*innen eine hohe Protestbereitschaft, während es bei Grünen-Wähler*innen lediglich sieben Prozent sind. Unter den Wähler*innen von Linkspartei (17,6 Prozent) und FDP (16,2 Prozent) gibt es ebenfalls deutlich mehr Menschen mit einer hohen Bereitschaft. Die Werte stehen aber in keinem Vergleich zur AfD und der Gruppe mit dem zweithöchsten Potenzial: den Nichtwähler*innen. Hier geben 26,9 Prozent eine hohe Protestbereitschaft an. Tatsächlich bereits mindestens einmal an einem Protest teilgenommen haben laut eigener Auskunft aber vor allem AfD-Wähler*innen. Unter ihnen erklären dies 20 Prozent. Bei allen anderen Parteien sind es lediglich zwischen zwei und drei Prozent.
Wer sich vorstellen kann, an den Protesten teilzunehmen, neigt zudem häufig dazu, gängigen Verschwörungserzählungen über die Pandemie zuzustimmen. Über 43 Prozent der Menschen mit hoher Protestbereitschaft stimmten der Aussage zu, es würde viele Impftote geben, »die von den Eliten systematisch vor der Gesellschaft verheimlicht werden«. Etwas über 37 Prozent geben an, die aktuellen Corona-Maßnahmen seien »mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar«.
Bereit für illegale Aktionen
Welch hohes Gefahrenpotenzial in der Protestbewegung steckt, darauf deuten weitere Erkenntnisse aus der CeMAS-Studie hin. Insgesamt seien 4,3 Prozent aller Befragten »vollkommen oder eher bereit«, auch an illegalen Aktionen teilzunehmen. 13,7 Prozent stimmen sogar vollkommen oder eher der Aussage zu, »die Zeit des friedlichen Widerstandes gegen die Maßnahmen ist vorbei«. Was dies im Einzelnen konkret bedeute, darüber gibt die Erhebung allerdings keine Auskunft. Wenig überraschend ist aber, dass auch hier AfD-Anhänger*innen mit deutlichem Vorsprung bereit scheinen, Grenzen zu übertreten.
Erstmals handfeste Zahlen zur Untermauerung einer weiteren bereits vielfach diskutierten These liefern die Wissenschaftler*innen ebenfalls: Der Nachrichtendienst Telegram ist für die Mobilisierung zu den Anti-Maßnahmen-Protesten von enormer Bedeutung. »Je stärker Menschen insbesondere Telegram als Informationsquelle nutzen, desto eher waren sie auch bereit zu protestieren oder sich illegalen Aktionen anzuschließen«, heißt es in der Studie.
Die Autor*innen warnen auch im Hinblick auf die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht und eine weitere Corona-Welle im Herbst, dass die Protestbewegung noch gefährlicher werden könnte.
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