- Kommentare
- CONTRA
Gegen die Fremdbestimmung
Warum die Ukraine selbst über die Möglichkeit eines Nato-Beitritts entscheiden muss
Was macht eigentlich linke Außenpolitik aus? Ist es das Drängen auf Verhandlungen und Frieden um jeden Preis? Wohl kaum! Kein deutscher Politiker redet derzeit ernsthaft einem Krieg mit der Atommacht Russland das Wort. Linke Vorschläge zur Lösung der Ukraine-Krise bedürfen daher dringend einer Ergänzung.
Auf der Suche nach Antworten hilft ein Blick auf die Grundlagen linken Denkens: Gemeinsamer Kern der meisten Theorie- Strömungen ist die Annahme, dass allen Menschen die gleichen Rechte zustehen. Privilegien für bestimmte Klassen oder Individuen sind tabu. Im Gegensatz dazu stehen vor allem Annahmen der extremen Rechten, welche ein Recht des Stärkeren propagiert, Schwachen den Schutz verweigert und Vorrechte für die eigene Gruppe beansprucht.
Diese Überlegungen lassen sich auf die Außenpolitik übertragen: Um ihren ideologischen Grundlagen treu zu bleiben, muss linke Außenpolitik - neben der selbstverständlichen Friedenspräfenz - allen Staaten die gleichen Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten zugestehen. Interessen und Bedürfnisse großer Länder dürfen nicht schwerer wiegen als die kleiner Staaten. Kurzum: Linke Friedenspolitik muss für die Souveränität und außenpolitische Entscheidungsfreiheit aller eintreten - auch und gerade in Osteuropa.
Russland steht ein Sicherheitskorridor zu, findet Daniel Lücking
Wie können linke Politiker daher ernsthaft einen neutralen Status der Ukraine - und anderer Nachbarn Russlands - fordern? Warum loben linke Journalisten eine Finnlandisierung, die Helsinki während des Kalten Krieges jahrzehntelang dazu zwang, im Interesse der Neutralität jeden außenpolitischen Schritt von Moskau abnicken zu lassen? Für viele Finnen steht das Schlagwort für eine Epoche der freiwilligen Selbstzensur, Beschwichtigung des übermächtigen Nachbarn - und für eine Politik, bei der die Sowjetunion sogar bestimmte, was in finnischen Schulbüchern über russische Geschichte stand.
Finnlandisierung und Neutralität sind schwere Beschränkungen der Souveränität und Selbstbestimmung der osteuropäischen Staaten. Beide Ansätze zur Lösung des Ukraine-Konfliktes geben Russlands Sicherheitsinteressen mehr Gewicht als den Bedürfnissen der Ostmitteleuropäer - welche die Neutralität ihrer Staaten auch mit Blick auf Russlands aktuelles Säbelrasseln weit von sich weisen.
Dass sich gerade aus deutscher Perspektive Vorstöße verbieten, welche die Selbstbestimmung der Ukraine und anderer osteuropäischer Staaten zugunsten russischer Sicherheitsinteressen beschränken, zeigt ein Blick auf die leidvolle Geschichte der Region im 20. Jahrhundert. Es waren Berlin und Moskau, die Osteuropa mit dem Hitler-Stalin-Pakt zerrissen. In der Ukraine richteten Wehrmacht und SS die schlimmsten Massaker und Massentötungen von Juden an. Aufgrund der von Moskau vorangetriebenen Kollektivierung der 1930er Jahre und der Holodomor genannten Hungersnot gingen in der Ukraine Millionen zugrunde.
Überlegungen deutscher Linker zu einer Lösung des Ukraine-Konfliktes müssen daher stets die volle Souveränität der Ukraine im Blick haben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.