Ein seltsames Lehrstück

Die Berliner Schaubühne diszipliniert einen Schauspieler wegen eines privaten Facebook-Posts

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine höchst seltsame Nachricht, die Ende vergangener Woche vom Lehniner Platz in Berlin-Charlottenburg an die Presse geht. »Stellungnahme der Schaubühne zum Facebook-Post eines Ensemblemitglieds« heißt es im Betreff. Allein das weckt Affekte, die nicht zu den edelsten des Menschen gehören, ahnt man doch, dass hier Dreckwäsche vor Zuschauern gewaschen werden soll. Doch Bühne frei!

Die Leitung des Theaters habe von einer privaten Meinungsäußerung eines Ensemblemitglieds Kenntnis erlangt, so heißt es in der Presseaussendung, die mit der Haltung des Hauses unvereinbar sei. Der Massenmord an der indigenen Bevölkerung in Nordamerika sei verharmlost worden, woraufhin unverzüglich ein Gespräch anberaumt wurde. Der Schauspieler - seit 22 Jahren am Haus angestellt - habe sich entschuldigt, zudem habe er sich entschlossen, an einem Einzelcoaching zum Thema Rassismus und Diversität teilzunehmen. Man fühle sich für die Aussagen des langjährigen Ensemblemitglieds mitverantwortlich, man habe die Aufgabe, inner- und außerhalb des Theaters Rassismus zu bekämpfen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

So weit, was der Presse zuging. Doch fehlt da nicht was? Der Casus knacksus wurde mit keinem Wort erwähnt. Präsentiert wurde die Deutung (Verharmlosung, Rassismus) und das Urteil (Selbstkritik, Besserungsseminar). Die meisten Medien störte das wenig, eifrig wurde die Pressemitteilung verbreitet. Das ist bedauerlicherweise nicht einmal ungewöhnlich, der journalistische Auftrag wird immer öfter als Verteilen und Verstärken aufgefasst, von Einsatzberichten der Polizei bis zu ministerialen Verlautbarungen. Warum noch nachfragen und sich ein eigenes Urteil bilden?

Während überall zu lesen war, wie man den Fall zu beurteilen hat, war dieser nur mühselig in Erfahrung zu bringen. Der Schauspieler selbst war dem Vernehmen nach an noch mehr Öffentlichkeit nicht interessiert. Man kann es ihm kaum verübeln, denn dass die private Meinungsäußerung eines Angestellten von den Dienstherren zum Politikum gemacht wird, dürfte den Bedarf an Rampenlicht selbst für solche Menschen stillen, die das aus beruflichen Gründen gewöhnt sind.

Die seltsame Episode fand ihre Fortsetzung in der Samstagsausgabe der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, in der nun endlich zu lesen war, was in der Presseaussendung ausgespart wurde und zuvor nur als Gerücht zu vernehmen war: Der Schauspieler hatte sich einige ketzerische Gedanken über Geschichte und Gewalt gemacht, die er mit seinen Facebook-Freunden teilen wollte. Die Kolonisierung Nordamerikas habe zur Gründung der Vereinigten Staaten geführt, die wiederum ihren Anteil daran hatten, die Nazis zu besiegen. Hätten die »Indianer« das auch gekonnt, so fragte sich der Schauspieler. Eine absurde Frage, mag man einwenden.

Und auch, dass es jedem Menschen frei stehen sollte, im Privaten unfruchtbare Hypothesen auszubrüten und zu diskutieren. Quentin Tarantino würde daraus vielleicht sogar einen gewitzten Film gemacht haben. Man könnte es auch als Aufgabe für die Dramatik begreifen. In der Weltgeschichte eine Verstrickung von Gewalt, Fortschritt und Rückschritt zu erkennen, ist im Theater nicht ungewöhnlich, man nennt es üblicherweise Tragik.

Seltsam ist, dass eine Theaterleitung sich wegen solcher Äußerungen nicht nur einen ihrer Angestellten disziplinarisch vorknöpft, sondern über die ergriffenen Mittel zur Besserung die Öffentlichkeit informiert. Man wolle klare Leitlinien schaffen, dass bei solchen Vorfällen adäquate Maßnahmen erfolgen, heißt es in der Pressemitteilung zum Schluss. Vorfälle! Maßnahmen! Das Vokabular lässt Zweifel aufkommen, ob in der Schaubühne noch jemand Victor Klemperer oder das »Wörterbuch des Unmenschen« im Regal stehen hat.

Die Frage ist nicht nur, ob man das hätte intern behandeln können, sondern vielmehr, ob man es nicht öffentlich aber künstlerisch hätte verarbeiten können - wenn man schon an einem Theater arbeitet. Das wäre ein Beitrag zur Zivilisierung gewesen. Die Mitteilung der Schaubühne endet mit den Worten, sie sei im Einverständnis mit dem Schauspieler verschickt worden. Ein seltsames Lehrstück vom Einverständnis - nur mit welcher Lehre?

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