- Wirtschaft und Umwelt
- Tarifverhandlungen Sozial- und Erziehungsberufe
Die Eingruppierung macht es aus
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert Aufwertung von Sozial- und Erziehungsberufen
Ein Viertel aller Kita-Erzieher*innen schmeißt in den ersten fünf Berufsjahren hin. »Die gehen zum Teil lieber zu Aldi an die Kasse«, erzählt Elke Alsago, die bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zuständig für den Sozial- und Erziehungsdienst ist. Das habe mit den schlechten Arbeitsbedingungen in diesem Bereich zu tun. Corona habe die Lage noch einmal verschärft. Im Grunde gebe es für die Beschäftigten keinen Schutz vor Ansteckung. Das sehe man an den aktuellen Krankenzahlen. »Ein Viertel des Personals ist derzeit krank«, so Alsago.
Die Gewerkschaften fordern deshalb eine Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst. Am Freitag treffen sie sich zu Tarifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in Potsdam. Weitere Verhandlungsrunden sind bereits für März und Mai geplant. Unmittelbar geht es um rund 330 000 Beschäftigte, 245 000 davon arbeiten in der Kindererziehung oder -betreuung, 55 000 in der sozialen Arbeit und 30 000 in der Behindertenbetreuung.
Da die Tarifverträge etwa von der Caritas und anderen Trägern übernommen werden und häufig Grundlage für andere Vergütungssysteme sind, schätzt Verdi, dass letztlich zwei Drittel der 1,66 Millionen sozialversicherungspflichtig und 130 000 geringfügig Beschäftigten in der Branche von dem Abschluss betroffen sind.
Die Tarifverhandlungen wurden bereits im März 2020 begonnen, dann aber wegen der Corona-Pandemie unterbrochen. Dabei soll es nicht um klassische Lohnforderungen gehen, wo am Ende ein bestimmter Prozentsatz herauskommt. Stattdessen um eine allgemeine Aufwertung der betroffenen Berufe. Neben den Themen Fachkräftemangel und Arbeitsbedingungen will Verdi mit dem VKA auch über bessere Eingruppierungen im Entgeltsystem des öffentlichen Dienstes reden. Und das hat natürlich auch finanzielle Auswirkungen für die Beschäftigten.
Eine Aufwertung sei »dringend nötig«, weil die betroffenen Berufe nicht denselben Stellenwert hätten wie männlich dominierte Berufe, sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle am Montag auf einer virtuellen Pressekonferenz. Sie wird zusammen mit Verdi-Chef Frank Werneke für ihre Gewerkschaft die Verhandlungen führen. Behle zufolge sind von den 1,66 Millionen in dem Bereich Beschäftigten 1,4 Millionen Frauen - und Berufsabschlüsse nicht genauso viel wert wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes.
So liegt für Sozialarbeiter*innen mit Hochschulabschluss das Einstiegsgehalt bei 3246,36 Euro im Monat. Bei anderen, von der erforderlichen Qualifizierung her vergleichbaren Jobs greift hingegen die Entgeltgruppe 10 der allgemeinen Tariftabelle im öffentlichen Dienst. Diese sieht ein um 184,15 Euro höheres Einstiegsgehalt von 3430,51 Euro vor.
Für Erzieher*innen zum Beispiel fordert Verdi, dass sie künftig in die Entgeltgruppe S8b statt S8a eingruppiert werden. Dadurch würde sich das Einstiegsgehalt von 2879,77 um 2,2 Prozent auf 2942,66 Euro erhöhen. Für Kinderpfleger*in und Sozialassistent*in soll künftig die Entgeltgruppe S4 statt S3 gelten. Dies bedeutet nach fünf Berufsjahren monatlich 3050,62 Euro statt 2876,92 Euro brutto, also ein Plus von 173,70 Euro beziehungsweise sechs Prozent.
Bei den Arbeitgeber*innen reagiert man angesichts solcher Forderungen eher verschnupft. »Wir müssen auch das Gehaltsgefüge des gesamten kommunalen öffentlichen Dienstes im Blick behalten. Verbesserungen kann es somit nicht mit der Gießkanne geben, sondern dort, wo sie angezeigt sind«, sagte VKA-Hauptgeschäftsführer Niklas Benrath.
Dabei zahlen viele Kommunen bereits jetzt freiwillig mehr Gehalt. Laut Verdi wird zum Beispiel in Mannheim, Hannover, Stuttgart und Bremen statt in die Entgeltgruppe S3 in S4 eingruppiert. Der Grund liegt für die Gewerkschaft auf der Hand: Es mangelt schlicht an Personal. So fehlen in den Kitas derzeit rund 173 000 Fachkräfte. Wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, könnten laut Deutschem Jugendinstitut bis zum Jahr 2025 bis zu 1,2 Millionen Kitaplätze und über 300 000 Fachkräfte fehlen.
Seitens des Beamtenbundes, der ab Freitag mit am Verhandlungstisch sitzt, macht man deshalb auch Druck auf die Ampel-Koalition. »Die Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst führen wir mit den kommunalen Arbeitgebern. Aber: Auch die Bundesregierung steht in der Pflicht«, sagte Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP seien ambitionierte Pläne für die frühkindliche Bildung und soziale Arbeit formuliert worden. »Sollen die auch nur ansatzweise Realität werden, muss der Bund die Kommunen stärker finanziell unterstützen.«
Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, plant Verdi zwei Aktionstage. Einen am 8. März, dem Frauenkampftag, einen am 15. März, dem Weltsozialarbeitstag. Arbeitsniederlegungen solle es zwar erst mal nicht geben. Man werde nur streiken, »wenn es wirklich nicht anders geht«, sagte Verdi-Vize Behle. Doch stellte sie auch klar: »Es gibt viel Wut. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich richtig alleingelassen.«
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