- Wirtschaft und Umwelt
- Indonesien
Großbaustelle mitten im Dschungel
Ausgerechnet im Naturparadies Borneo soll Indonesiens künftige Hauptstadt entstehen
Es war die schnellste Gesetzesentscheidung, die das sonst politisch behäbige Indonesien bisher getroffen hat: Lediglich 42 Tage von der ersten Vorlage bis zum finalen Beschluss dauerte es, bis Mitte Januar die Entscheidung im Parlament feststand. Die Mehrheit der hinter Präsident Joko Widodo stehenden Parteienkoalition war dem Vorstoß sicher.
Die neue Hauptstadt mit dem Namen Nusantara soll in der Provinz Kalimantan entstehen, im Grenzbereich der Regionen North Penajam Paser und Kutai Kartanegara, etwas abseits der 700 000-Einwohner-Stadt Balikpapan. 53 Prozent der geschätzten Investitionskosten von umgerechnet bis zu 46 Milliarden US-Dollar sollen aus der Staatskasse kommen, der Rest von privaten Geldgebern eingeholt werden. Ein Megaprojekt dieser Größenordnung hat es in dem südostasiatischen Inselstaat bisher nicht gegeben.
Die ersten konkreten Überlegungen dafür wurden seitens des Staatschefs im August 2019 publik. Der Beginn der Corona-Pandemie verlagerte aber erst einmal die politischen Prioritäten. Es dauerte eine Weile, bis die Planungen vorankamen und mit dem Parlamentsbeschluss sozusagen das formelle Startsignal gegeben wurde. Mit den ersten Bauarbeiten könnte noch dieses Jahr begonnen werden, heißt es jetzt. Der Umzug werde schrittweise ab 2024 erfolgen.
Unstrittig ist: Die bisherige Kapitale Jakarta - zu niederländischen Kolonialzeiten aus einem Fischerdorf zur Stadt Batavia ausgebaut - hat eine Menge großer Probleme, die sich selbst mit viel Geld und moderner Technik nicht so einfach lösen lassen. Unter anderem wegen der übermäßigen Grundwassernutzung sinken die nördlichen Stadtbereiche pro Jahr um bis zu 25 Zentimeter ab. Obwohl es weltweit auch anderswo solche Prozesse gibt - hier geht es besonders schnell. Und weil durch den fortschreitenden Klimawandel gleichzeitig der Meeresspiegel ansteigt, nehmen Überflutungsgefahren rapide zu. Auch bei starken Regenfällen kann das Wasser immer schlechter ablaufen.
Der Verkehrsinfarkt ist eine weitere Sorge: Kaum eine andere Metropole in Asien und im globalen Maßstab ist von übervollen Straßen, wo der Stau eher Regel als Ausnahme ist, stärker geplagt als Jakarta. Selbst die vor Jahren eingeführten separaten Busspuren oder hochgesetzte Schnellstraßen konnten am grundlegend kritischen Zustand wenig ändern. Mit ihren 10 bis 14 Millionen Einwohnern im engeren Stadtbereich und an die 30 Millionen im Ballungsraum stößt die Megacity schon lange an ihre Grenzen.
Eine Verlagerung der Hauptstadtfunktion erscheint somit vernünftig, auch wenn sie in Jakarta selbst nur an manchen Stellen Entspannung verspricht. Doch die Entscheidung, im dünn besiedelten Kalimantan (dem indonesischen Teil der großen Insel Borneo) Ersatz zu schaffen, ist keineswegs unumstritten. Spätestens seit dem Parlamentsbeschluss melden sich Kritiker und Bedenkenträger aus ganz unterschiedlichen Bereichen lautstark zu Wort. Geht es doch nun nicht mehr nur um eine abstrakte Idee, sondern ein konkretes Vorhaben, das mit großer Eile realisiert werden soll.
Der im Raum stehende Einzug von ersten Teilen des Politikbetriebs und Verwaltungsapparats in etwa zweieinhalb Jahren (bis zum Ende des Prozesses 2034 mit etwa 25 000 Beamten zusätzlich pro Jahr) lässt kaum Zeit für genaue Umweltprüfungen. Stattdessen sollen schnellstmöglich die Arbeiten starten und somit Fakten geschaffen werden. Da quasi im »Niemandsland« ganz neu gebaut wird, zeichnen sich in praktisch-technischer Hinsicht eher wenig Probleme ab.
Kritiker verweisen allerdings auf mögliche Langzeitfolgen. Borneo gilt als eines der letzten Naturparadiese Südostasiens. Zwar hat im zu Indonesien gehörenden südlichen Inselteil der Urwald vor allem durch die Anlage von Palmölplantagen schon mehr und größere Lücken als im malaysischen Norden. Doch noch gibt es hier ausgedehnte tropische Primärwaldflächen, die zu den artenreichsten des Planeten gehören, Heimat unter anderem für Orang-Utans. Die größte Gefahr sind dabei nicht die Abholzungen für den Bereich der neuen Hauptstadt, sondern deren perspektivisches Wachstum sowie das Anlegen von Straßen auch im weiteren Umfeld. Schon bald könnte das grüne Paradies irreparabel von asphaltierten Verkehrswegen durchschnitten werden.
Außerdem befürchten die Ethnien der Dayak eine Vertreibung. Viele der indigenen Bewohner der Region verfügen über keine formellen Besitztitel für ihr Land. Pradarm Rumpang, Aktivist des lokalen Anti-Bergbau-Netzwerkes, weist noch auf eine andere große Sorge hin: Die ohnehin schon schwierige Versorgung mit sauberem Frischwasser in der Region drohe sich dann noch zuzuspitzen. Das ist absehbar: Wenn die Hauptstadt umzieht, bringt sie einige ihrer Probleme mit.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.