Bewährung für Rechtsextremisten

Hauptverdächtiger der Neuköllner Terrorserie erhält Ersatzstrafe für Angriff auf einen Taxifahrer

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wenn es nicht den Mut und die Courage des Angegriffenen gegeben hätte, muss man davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich davongekommen wären«, sagt Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zu »nd«. Nur weil der Taxifahrer den Angreifern gefolgt ist und sich das Nummernschild gemerkt hat, konnten die Täter ausfindig gemacht und angeklagt werden. Die Attacken haben den Betroffenen sichtlich physisch und psychisch mitgenommen. Ihm war wichtig, dass ihm vor Gericht geglaubt wird, erklärt der MBR-Mitarbeiter.

Drei Monate hat Tilo P. seit seiner Festnahme November 2021 in Untersuchungshaft gesessen. Aber nicht als einer der beiden Hauptverdächtigen der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln, sondern weil der 39-Jährige im November im Stadtteil Steglitz den 56 Jahre alten Taxifahrer beschimpft und geschlagen haben soll. Der 34-jährige Dennis S. soll daran beteiligt gewesen sein. Die Anklage lautete unter anderem auf Beleidigung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung und verbotenes Kraftfahrzeugrennen. P. soll demnach mit seinem Fahrzeug den Weg des Taxifahrers blockiert haben. Als ihn dieser ansprach, sollen ihn die Angeklagten beschimpft haben. Nach den Ermittlungen soll der 39-Jährige den Mann mit einem Schlagstock im Bereich des Oberschenkels geschlagen haben, bevor das Duo seine Fahrt fortsetzte. Kurze Zeit später habe der Taxifahrer den Wagen von Tilo P. im Straßenverkehr entdeckt und verfolgen wollen. Der Angeklagte habe mit überhöhtem Tempo entkommen wollen, dann angehalten und den Taxifahrer mit der Faust geschlagen.

Im Prozess am Amtsgericht Tiergarten ist am Montag nun das Urteil gesprochen worden: ein Jahr und sechs Monate Haft wurden als dreijährige Bewährungsstrafe ausgesetzt, P. muss darüber hinaus für ein Jahr und neun Monate seinen Führerschein abgeben und eine Geldstrafe in Höhe von 1000 Euro an das Opfer zahlen. Tut er das nicht, gilt das als Bewährungsbruch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Sowohl P. als auch S. haben die Tat gestanden und sich bei dem Betroffenen entschuldigt, S. mit dem Satz, es tue ihm leid, P. über seinen Anwalt. Es habe aber wohl im Anschluss an die Plädoyers noch einen Austausch zwischen Tätern und Opfer gegeben. Beide Angeklagten haben darüber hinaus eingeräumt, das Opfer rassistisch beschimpft zu haben, woran sich dieses nicht mehr eindeutig erinnern konnte. P. wurde vom Gericht aus verschiedenen Gründen eine positive Sozialprognose beschieden. Bis dahin waren sowohl P. als auch S. ohne gerichtliche Vorstrafen. P. werde zudem zukünftig in der Baufirma seines Bruders tätig sein. Überdies brachte die Verteidigung eine Verlobte von P. zur Sprache.

Die Gewalttätigkeit und ideologisch-politische Orientierung, über die im Fall des 39-Jährigen zuletzt berichtet wurde und die antifaschistisch Engagierten in Berlin seit Jahren bekannt sind, kamen in der Verhandlung nicht zur Sprache. P. gilt als einer der zwei Hauptverdächtigen im Fall der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln. Das Berliner Landeskriminalamt (LKA) rechnet der Serie mehr als 70 Taten zwischen Juni 2016 und März 2019 zu, darunter viele Brandstiftungen und Sachbeschädigungen. Opfer waren Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. Die beiden Verdächtigen Tilo P. und Sebastian T. waren seit Jahren im Fokus der Polizei. Erst im August 2021 hätten aber die Indizien gereicht, um Anklage in dem Fall zu erheben.

Für Menschen der Zivilgesellschaft, die sich im Bezirk antifaschistisch und antirassistisch betätigen sowie migrantische Menschen stellt sich das zuweilen anders dar. Neonazistische Anschläge und Graffiti, in denen offen zu Mord aufgerufen wird, sind über zehn Jahre kaum ausreichend verfolgt worden. Mutmaßlich rechte Anschläge, aber auch Morde wie der an Burak Bektaş harren ihrer Aufklärung, Ermittlungen enden im Nichts oder werden nicht in nötigem Umfang betrieben. In den »Neukölln-Komplex« sind zudem mutmaßlich auch Sicherheitsbehörden verstrickt. Die Rolle rechter und rechtsextremer Parteien ist offenkundig. So war Tilo P. jahrelang Vorstand im AfD-Bezirksverband. Zuletzt war er mit der Neonazipartei »Der III. Weg« in Zusammenhang gebracht worden.

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