Jung, migrantisch und gewollt kinderlos

Es gibt viele Gründe, keine Kinder zu wollen. Rassismus steht für Sabina Derendelic ganz oben auf der Liste

  • Sabina Derendelic
  • Lesedauer: 5 Min.
Nicht jede*r möchte Kinder bekommen. Doch nicht jede*r kann das so leicht akzeptieren.
Nicht jede*r möchte Kinder bekommen. Doch nicht jede*r kann das so leicht akzeptieren.

Deutschland und andere reiche Nationen beklagen stetig die abfallende Geburtenrate. Trotz gefühltem »Babyboom« während der letzten beiden Jahre mit Quarantänen und Homeoffice – mehr und mehr Menschen entscheiden sich bewusst dagegen, sich fortzupflanzen. Im Englischen gibt es dafür den Begriff »childfree« in Abgrenzung zu »childless« für Menschen, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen können. Gewollt kinderlos zu bleiben ist zwar kein Tabuthema mehr, aber besonders Frauen, die sich für ein Leben ohne (leibliche) Kinder entscheiden, erwartet ein lebenslanges Verhör: Bist du eine Kinderhasserin? Wie willst du jemals Erfüllung finden?

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Ich bin 31 Jahre alt, cis-weiblich, hetero, Millennial, im statistischen Durchschnittsalter für Erstgebärende in Deutschland und – migrantisch. Und ich zweifle mehr und mehr an dem migrantischen Status Quo bei der Frage des Kinderkriegens. Will ich das wirklich?

In migrantischen Communities existiert die Idee des »kindsfrei« Bleibens in der Regel nicht. Keine Kinder zu haben, gilt als herber Schicksalsschlag. Dass diese gewünscht wären, steht außer Frage. Die Familie bietet einen sicheren Zufluchtsort für diejenigen von uns, die im Alltag immer in gewissem Ausmaß die »Ausländer« bleiben. Sie ist die kleinste Art der Verbundenheit zur Heimat, zu den Wurzeln. Die Tradition und Geschichte werden der nächsten Generation weitergegeben. Kinder von Gastarbeiter*innen werden wohl auch in der dritten und vierten Generation keine Namen wie Leni oder Maximilian tragen.

Viele Gründe, die für das »childfree« Sein sprechen, gelten universell: Großkonzerne hören nicht auf, die Umwelt zu zerstören, die Lebenskosten steigen, der Job nimmt bereits viel Zeit in Anspruch. Zudem bergen Schwangerschaften große Risiken und Menschen finden ihre Erfüllung auch abseits des Eltern-Daseins. Doch für mich und ähnlich sozialisierte Personen kommen bei dem Thema zusätzlich noch andere Perspektiven dazu.

Ganz oben auf der Liste steht der Rassismus. Diesen Monat jährt sich zum zweiten Mal der rassistische Anschlag von Hanau. Neun als migrantisch gelesene Menschen wurden Opfer rechter Gewalt. Das Trauma sitzt tief und die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Laut einer Statistik des sogenannten Heimatministeriums stieg die Zahl rechter Gewalttaten im Jahr 2020 um circa elf Prozent. Der Nachwuchs soll es leichter und besser im Leben haben, so das Ziel aller migrantischen Eltern. Das könnte ich als Mutter beim Thema Rassismus nicht garantieren.

Deutschland lernt aus Hanau - Serpil Unvar hat ihren Sohn Ferhat bei dem rassistischen Anschlag vor zwei Jahren verloren. Sie kämpft dafür, dass so etwas nicht wieder passiert.

Andererseits hätten meine Kinder es leichter in der Schule als ich. Wer Akademiker*in in erster Generation ist, weiß, was ich meine. Bildungsgleichheit ist und bleibt zwar ein Mythos, aber zumindest könnte ich meinem Kind bei jedem Schritt, vom Kindergarten bis zum Uni-Abschluss, mit meiner Erfahrung beistehen. Migrant*innen- und Arbeiter*innenkinder stehen meist ohne jegliche Unterstützung bei der Studienplatzsuche oder dem BAföG-Antrag da.

Vielleicht nehme ich mir aber auch die Freiheit zu sagen, ich möchte mich nicht durch Schwangerschaften und Kinder im Leben einschränken lassen. Oft fällt etwa auf Instagram Seiten, die sich teils humorvoll dem kinderlos Sein widmen, das Beispiel des Verreisens. Mit Kindern wird das Ganze teurer und aufwändig bis unmöglich. Für mich war das Reisen für den Großteil meines Lebens keine Option – als geduldete Geflüchtete durften meine Familie und ich nicht einmal das Bundesland verlassen. Später war ich auf teure Visaanträge angewiesen, bis ich mir aus Frust die deutsche Staatsangehörigkeit erkämpfte. An der finanziellen Reisefreiheit arbeite ich noch – möchte ich mich an diesem Punkt denn schon wieder einschränken lassen?

Auch die Partnersuche kann durch den Standpunkt, keine Kinder zu wollen, erschwert werden. Möchte ich etwa einen Partner, mit dem ich kulturell und unsere Sozialisation betreffend auf einer Wellenlänge bin, ist die Wahrscheinlichkeit gering, jemanden zu finden, der eben diesen Standpunkt teilt. Natürlich ist die Kinderfrage keine für das erste Date, aber mit zunehmendem Alter wird es ein Thema – und kann letztendlich zum Ausschlusskriterium werden.

Da wäre noch der Glaube, Kinder zu bekommen, wäre Teil der eigenen Alterssicherung. Dieser ist bei vielen Menschen verankert, unabhängig vom kulturellen Hintergrund. Was in migrantischen Kreisen oft dazu kommt, ist das religiös oder kulturell bedingte Pflichtgefühl den Eltern gegenüber, welches die Gefahr der gesellschaftlichen Scham mit sich bringt. Du hast dich um deine kranken und alternden Eltern zu kümmern, schließlich haben sie alles für dich getan. Optionen wie Altenheime sind ein Tabu, ein Zeugnis des Scheiterns als Kind – als Mensch. Ich möchte niemandem eine solche Bürde aufbinden, sollte es denn angesichts der stetig wachsenden Unbewohnbarkeit der Erde überhaupt dazu kommen, dass meine Generation »alt« wird.

In geselliger Familienrunde oder bei Festen unserer Gemeinde würde ich all diese Dinge eher nicht ansprechen, wenn mal wieder die Frage nach Ehe und Kindern fällt. Auch wenn meine Entscheidung für oder gegen Kinder nicht felsenfest steht, würden allein meine Zweifel bereits skeptisch beäugt werden. Egoistisch sei ich, und verwestlicht, weil ich mein Leben hauptsächlich mir selbst widmen will. Wie frivol! Auch wenn ich entgegne, dass meiner Ansicht nach eher das Kinderkriegen egoistisch ist – siehe Alterssicherung – werde ich so schnell keine Diskussion dieser Art gewinnen. Für meinen Seelenfrieden weiche ich den nett gemeinten Fragen lieber mit einem Lächeln aus.

Was, wenn ich es irgendwann bereue, kinderlos geblieben zu sein? Ich fände es erheblich schlimmer, ein Kind zu bereuen – egal aus welchen Gründen.

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