Klischee und Nuance

Die US-Linke ist gespalten in der Ukraine-Frage

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die US-amerikanische Linke ist sich uneinig über die Rolle des eigenen Landes in der Ukraine-Krise. So viel lässt sich aus der aktuellen Debatte in den Vereinigten Staaten herauslesen. (Links)liberale US-Medien wie die »New York Times« loben die Biden-Administration: Man habe aus den Fehlern von 2014 im Umgang mit der Krim-Annexion und Jahren russischer Desinformation gelernt und endlich begonnen, im Informationskrieg mitzumischen. Damit beziehen sie sich auf die zurücklegende Serie drastischer Warnungen über mögliche nächste Schritte von Putin von US-Präsident Joe Biden.

Geheimdiensterkenntnisse so oft und vor allem so schnell offen zu legen, dass es schon Kritik aus konservativeren Kreisen der US-Geheimdienstwelt gab, ist, in dieser Lesart von Bidens Handeln, der Versuch, einen Krieg zu verhindern, indem die Welt und die Öffentlichkeit gewarnt werden und Putin die Anwendung seiner Informationskriegsführung erschwert wird. Dass die Geheimdiensterkenntnisse nur in Andeutungen und ohne Belege, vermeintlich um die eigenen Quellen nicht zu gefährden, veröffentlicht werden, lädt zu Vergleichen zu Colin Powells berühmter Präsentation vermeintlicher Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak ein.

Doch anders als die damalige neokonservative Regierung will die angesichts des Afghanistan-Debakels kriegsmüde Biden-Administration keinen Krieg und hat es explizit ausgeschlossen, Truppen zur Unterstützung der Ukraine zu schicken. Damit vertritt das Weiße Haus, dessen Mitarbeiter am Dienstagmorgen das Wort »Invasion« noch nicht in den Mund nehmen wollten, eine vorsichtige Linie. Außenpolitik-Hardliner und Kritiker bei Demokraten und Republikanern forderten Biden schon in Reaktion auf Putins Rede Montagnacht auf, umfangreiche weitere Sanktionen zu verkünden.

Doch eine Mehrheit vertritt die vorsichtigere Linie: Rund 55 Prozent der US-Amerikaner finden laut einer YouGov-Umfrage, die Entsendung von Soldaten in die Ukraine sei eine »schlechte Idee«. Besonders ablehnend zeigen sich laut anderen Umfragen die jüngeren Generationen. Jedoch gibt es Mehrheiten für die aktuelle Position der US-Regierung, die Ukraine mit Waffen und finanziellen Hilfen zu versorgen.

Die Debatten in der US-Linken schwanken derweil zwischen reflexhafter antiimperialistischer Ablehnung der US-Politik etwa bei den Democratic Socialists of America (DSA) und einer nuancierteren Position wie bei Vermonts Senator Bernie Sanders. In einem Statement des Internationalen Komitees der DSA wird dem eigenen Land und der Nato als »US-geführtem Vehikel zur globalen imperialen Dominanz« eine »Destabilisierung« der Ukraine vorgeworfen – mit Verweis auf Militärhilfen in Höhe von rund 2,7 Milliarden Dollar seit 2014 plus aktuell beschlossene weitere Hilfen.

Die Erklärung fordert ein Ende der Sanktionen gegen Russland und die Neutralität der Ukraine, ergo keinen Nato-Beitritt. Was im Aufruf der DSA gegen einen Krieg mit Russland komplett fehle, sei eine Erwähnung der »konsistent aggressiven Aktionen« Russlands sowie des Selbstbestimmungsrechts der Menschen in der Ukraine, kritisiert der Journalist John Ganz. Stattdessen würden Klischees aus dem Kalten Krieg aufgewärmt – nur dass die DSA offenbar die umgekehrten Klischees vertrete als die Angehörigen des US-Sicherheitsestablishments.

Eine differenziertere Position zum Konflikt vertritt Bernie Sanders. Er sieht die Nato-Expansion zwar ebenfalls als problematisch, verweist aber auf das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine in der Frage, mit wem sie sich verbünden wolle. In jedem Falle sei »Wladimir Putin am meisten verantwortlich« für die aktuelle Eskalation, schrieb Sanders jüngst in einem Beitrag für den »Guardian«. Darin sprach er sich für »energische Diplomatie« zur Verhinderung eines Krieges aus, unter dem Menschen überall leiden würden, forderte aber auch »harte Konsequenzen für Putin und seine Oligarchengang«.

Der progressive Stratege Dante Atkins sagt, wenn der Westen Putins »imperialistische Eroberungspolitik« wirklich stoppen wolle, müsse er etwas veranlassen, was auch für die »eigenen Ultrareichen unangenehm ist: größere finanzielle Transparenz«. Sanktionen gegen mit Putin verbündete russische Oligarchen seien wirkungslos, solange diese weiterhin ihr Vermögen über den Kauf von Luxusimmobilien in Miami und New York mittels Briefkastenfirmen in der Karibik in Sicherheit bringen könnten.

Russland als von »Gangstern geführter ethnonationalistischer Ölstaat« könne vom Westen nicht wirksam eingehegt werden angesichts der Interessen der »transnationalen Oligarchie« und solange man nicht die Abhängigkeit von Öl und Gas reduziere.

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