- Berlin
- Rassistische Polizeigewalt
Selbstschutz gegen Willkür
Ein Meldeportal soll Polizeigewalt in Jugendhilfeeinrichtungen dokumentieren
Franziska Dosch hat es schon mehrfach erlebt. »Die Polizei nimmt billigend die Retraumatisierung von Jugendlichen in Kauf«, sagt die Sozialarbeiterin vom Verein Evin, einem freien Jugendhilfeträger aus Kreuzberg zu ihren Erfahrungen mit Berliner Beamt*innen. Diese gehen aus ihrer Sicht immer wieder unrechtmäßig und unverhältnismäßig mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen um, die in stationären Einrichtungen leben, die ihnen vor allem auch als Schutzraum vor Gewalt dienen sollen.
Dosch schildert bei einem gemeinsamen Pressetermin antirassistischer Initiativen und Beratungen am Donnerstag einen Fall aus dem vergangenen Jahr: »Der Jugendliche B. wird am späten Abend an einer U-Bahn-Station von Polizeibeamten festgenommen; sie nehmen ihm seine Papiere ab, fragen, wo er wohnt. B. erklärt, dass er in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung lebt und wo genau sich in der Wohnung sein Zimmer befindet. Gegen drei Uhr in der Nacht dringen dann acht schwer bewaffnete Polizisten in diese Wohnung ein.«
Die studentische Nachtbereitschaft wäre zuvor nur einmal kontaktiert worden, berichtet Dosch, und auch, dass die Beamten, bevor sie das Zimmer von B. durchsucht und verwüstet hätten, zunächst bei Wohnungen anderer Jugendlicher geklingelt und diese geweckt hätten - »obwohl sie wussten zu welcher Wohnung sie wollen«, so Dosch. Die anderen jungen Leute schilderten wiederum, dass sie im Innenhof weitere Beamte gesehen hätten, die gesamte Situation habe sehr bedrohlich und einschüchternd auf sie gewirkt, einzelne Beamte hätten sich zudem über die verängstigten Jugendlichen lustig gemacht, so die Sozialarbeiterin.
»Du wirst sowieso abgeschoben«, zitiert Nora Brezger einen Polizeibeamten, der damit bei einem anderen Einsatz einen Jugendlichen abgefertigt haben soll. Brezger ist Mitarbeiterin des Berliner Flüchtlingsrates. Sie weist darauf hin, dass es sich bei jugendlichen Geflüchteten um eine besonders verletzliche Gruppe handele. Viele seien stark durch Gewalt- und Fluchterfahrungen traumatisiert, würden bei ihrer Ankunft diskriminierende Erfahrungen machen. Ob »diese ihnen überhaupt geglaubt werden«, steht noch mal auf einem anderem Blatt, so Brezger. Einsätze in Jugendhilfeeinrichtungen sind aus ihrer Sicht ein Unding: »Diese Orte sollen Schutzräume für die Jugendlichen sein. Stattdessen werden sie dort angegriffen.«
Auch Parto Tavangar und Biblap Basu vom Verein Reach Out verurteilen den von Dosch geschilderten Einsatz. Es sei aber nur einer von vielen gewesen, die es vor allem seit den Jahren 2015/2016, als sehr viele junge Geflüchtete ohne Familienangehörige nach Berlin gekommen waren, immer wieder gegeben habe, erklärt Tavangar: »Wir sehen, dass es hier zu sehr viel Gewalt kommt.« Sie spricht von »immenser Willkür« im Polizeihandeln, über die dringend gesprochen werden müsse. Ihr Kollege Biblap Basu ergänzt, dass auch Versuche, juristisch gegen die Einsätze vorzugehen, oftmals vor Gericht scheiterten. »In einem Fall von 2017 wurde ein Jugendlicher schwer körperlich verletzt, und dennoch ist das Verfahren gegen beteiligte Beamte eingestellt worden«, kritisiert Basu, der auch für die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) spricht.
Reach Out veröffentlicht an diesem Donnerstag unter anderem zusammen mit dem Berliner Flüchtlingsrat, dem Bildungs- und Beratungszentrum für Beruf und Beschäftigung Berlin (BBZ) und Les Migras, dem Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlins, die Webseite polizeigewalt-melden.de. Diese soll helfen, Erfahrungen mit als rassistisch wahrgenommenem Polizeihandeln in Jugendhilfeeinrichtungen künftig besser und direkter zu dokumentieren. In einfacher Sprache und mehrsprachig werden hier auch Beratungsangebote und Kontaktadressen vermittelt. Der Arbeitskreis, der die Webseite in den vergangenen drei Jahren entwickelt hat, zu dem auch der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gehört, will zudem Mitarbeiter*innen der Jugendhilfe schulen und mehr für das Thema sensibilisieren.
»Gewalt zu dokumentieren, hilft uns bei der Öffentlichkeitsarbeit«, sagt Nora Brezger zu »nd«. Es gebe 250 Jugendhilfeeinrichtungen in Berlin, die zurzeit für mindestens 1500 Jugendliche und junge Erwachsene zuständig sind. Aber nur wenige Träger melden sich im Fall von Erfahrungen wie sie Bewohner*innen und Sozialarbeiter*innen von Evin e. V. machen mussten. Das könne unterschiedliche Gründe haben, so Brezger, aber mit der Webseite könne man unabhängig von den Trägern argumentieren.
»Oft heißt es, es sind nur Einzelfälle«, sagt Franziska Dosch. Aber das stimme nicht.
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