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Boarden für Beginner
Als Skifahrer auf dem Brett: Man lernt schnell, scheitert aber am Snowboard-Slang
Goofy ist das erste Wort dieser fremden Sprache, das man zu hören kriegt. Denn eines ist schnell klar, wenn man sich als halbwegs guter Skifahrer erstmals aufs Board wagt: Snowboard-Schwünge kriegt man relativ schnell hin, aber Snowboard-Slang wird für immer ein Rätsel bleiben. Den Goofy-Titel erwirbt man bereits auf den ersten Metern und behält ihn sein Leben lang. Er gilt für jene, die mit dem rechten Fuß voraus auf dem Brett stehen. Die Normalen dürfen sich »Regular« nennen. Und schon fühlt man sich als Außenseiter. Dabei wollte man doch einmal zur hippen Szene dazugehören und sich wieder ein bisschen jünger fühlen. Es war der Grund für die Reise ins Kaunertal, dem Snowboard-Hotspot in Tirol. Skifahrer sind hier in der Minderzahl. »Goofys« aber auch.
Dass ein »Goofy« kein Doofi ist, muss man auf dem Brett beweisen. Gleichgewicht und Gefühl für den Schnee bringt man als Skifahrer mit, dazu noch ein bisschen Mut, und die erste Übung klappt ganz gut: Man fährt im Flachstück mit nur einem Fuß in der Bindung, das ist wie Rollerfahren im Schnee. Wenn beide Stiefel fest mit dem Brett verbunden sind, wagt man, auf die Zehenseite zu kippen und weiter zu cruisen und wechselt zu den Fersen. Erfolg stellt sich erstaunlich schnell ein - auch dank Skatebord-Erfahrung in der Jugend. Man muss aber offen zugeben: So viele Stürze wie in den ersten zwei Snowboard-Stunden hat man in seiner kompletten Skikarriere nicht hingelegt. Nach dem Vormittag muss dann aber Schluss sein mit Babyhang. Und siehe da: Es gelingen auch auf der Piste flüssige Abfahrten.
Verbesserungswürdig bleiben die Performance im Schlepplift (zwei Stürze) und die Haltungsnoten im steilen Gelände, wo das Ganze mehr Abrutschen als Fahren ist. Hingegen kann man die eine oder andere unfreiwillige Einlage sogar als Erfolg verkaufen: dass es nach dem Aufstehen plötzlich rücklings den Berg hinabgeht, war nicht gewollt. Aber wenn man sich das kräftige Armrudern wegdenkt, bleibt unterm Strich immerhin der erste Fakie, also die erste offizielle Rückwärtsfahrt des Snowboard-Neulings.
Auf jeden Fall hat man nach dem ersten Tag genug Selbstvertrauen getankt, um sich höheren Aufgaben zu widmen. Schließlich will auch ein Frischling in den Snowpark. Also schnell auf dem Smartphone gecheckt, was einen erwartet: Die Szene jubelt über neue Obstacles und man versteht nur Bahnhof. Vielleicht doch besser erst Mittagspause machen? Passt, denn zwei Boarder unterhalten sich über Chicken Salad, Roast Beef und Beef Curtains. Dann merkt man aber, dass das in keiner Hütte im Kaunertal auf der Karte steht und lernt: Lecker Essen kann man auch springen. Danach trauen wir uns sogar an die Mini-Kicker - was jetzt absolut nichts mit Nachwuchsfußballern zu tun hat. Das sind kleine Schanzen, mit denen auch blutige Anfänger klarkommen, weil man nur kurz in der Luft ist und das Board gleich wieder im Schnee landet. Unsere Flugphase dauert einen Wimpernschlag, aber immerhin stehen wir das Ding. Die Checker schweben und wirbeln derweil über unseren Helm. Der eigene Kopf schwirrt angesichts der waghalsigen Tricks. Man traut sich nicht, nach Tipps für Beginner zu fragen, schließlich haben die echten Boarder eher mitleidige Blicke für uns übrig. Was nicht an unserer Park-Performance liegt, sondern eher am Outfit. Streng genommen ist hier No-Go-Area für Skihosen. Wer dazugehören will, trägt Marken wie Maui Wowie, Billabong oder Dope in XXL-Version.
Snowboard-Mode ist so ein Thema. Wenn man die Jungs und Mädels anschaut, die über die Halfpipes wirbeln, liegt der Verdacht nahe, dass es auch kleidungstechnisch vor allem darum geht, sich von den Old-School-Wintersportlern, sprich Skifahrern, am Berg abzuheben. Karomuster und Jacken im Holzfällerstyle sind schon seit längerer Zeit angesagt, aber eigentlich kein Fort- sondern ein Rückschritt. Die meisten Snowboarder sind nur so jung, dass sie ihre Vorfahren nie in derartig gemusterten Hemden und Röcken gesehen haben. Auch Taillierung und körpernahe Schnitte scheinen nichts für jugendliche Boarder zu sein. Groß ist immer noch nicht groß genug und so schlabbern Hosen und Pullis oft im Fahrtwind. Auch Brillen und Kapuzen sollten möglichst überdimensioniert sein und die Kopfgröße mindestens verdoppeln. Aber in manchen Punkten geht Funktion auch vor Form: Am Allerwertesten sind gerne besonders dicke Polster vernäht. Das hilft zwar nicht, einen bösen »Slam« (Sturz) abzufedern. Aber der Snowboarder sitzt naturgemäß häufiger im Schnee als ein Skifahrer, um sich zum Beispiel nach der Liftfahrt das freie Bein wieder ans Brett zu schnallen. Und da tut ein Popo-Wärmer ganz gut.
Solche Szenen und Modeerscheinungen lassen sich im Kaunertal deswegen so häufig beobachten, weil es als Entstehungsort der Snowboard-Szene in Österreich gilt und die Einbrett-Fahrer oft in der Überzahl sind. Das Gletscherskigebiet ist in den 1980er-Jahren mit den Boardern groß geworden - oder umgekehrt. Im Oktober, wenn man Corona mal ausblendet, gibt es jedes Jahr ein Mega-Opening. Die »Spring Classics« erstrecken sich von Anfang April bis Ende Mai und haben Kultstatus in der Szene. Junge Väter mit Board und Familie im Schlepptau sind keine Seltenheit. Das Kaunertal hat sich die Jugendlichkeit streng verordnet, man vermarktet sich als »Tirols jüngster Gletscher«. Aber wehe, wenn der bei starkem Wind und Lawinengefahr nicht mitspielt und geschlossen wird. Es gibt kein zweites Skigebiet, dafür ist das Kaunertal schlichtweg zu eng. Als Ausweichmanöver muss man eine lange Busfahrt ins Inntal in Kauf nehmen, um in der Region Ried/Fendels das Board anzuschnallen.
Die Einheimischen haben dieses Problem auf ihre Weise gelöst und das Dorf zum Snowpark umfunktioniert. Kein Heustadel und keine Treppe sind sicher, wenn Mary und Fabian aufkreuzen. Was sie machen, ist wie Skateboarden, nur ohne Rollen, dafür mit Schnee. Ein Hindernis ist kein Hindernis, kein Hindernis ist aber ein Hindernis für die beiden Streetboarder. Was Mary und Fabian machen, ist die Steigerung von Freestyle-Snowboard. Im Kaunertal gab es sogar mal entsprechende Wettbewerbe, aber man kann sich vorstellen, dass das nicht alle (Politiker) unterstützt haben. Das junge Duo hat heute einen Traforaum im Örtchen Feichten auserkoren. Anlauf vom steilen Hügel, Abheben, Trick, Landung. Blaue Flecken gibt es wahlweise vom Gartenzaun, der mal im Weg sein kann, oder vom Holzprügel, den ihnen ein verärgerter Anwohner nachwirft. »Meinen Hintern muss ich jeden Tag trainieren«, sagt Mary. In der Szene aber genießen sie und Fabian höchstes Ansehen. Sie lassen sich filmen, um Youtube-Stars zu werden und erobern mit spektakulären Fotos die Cover von Boarder-Magazinen in aller Welt. Sie sind beide so bekannt und auch bei Events erfolgreich, dass sie von Sponsoren durch den Winter gefüttert werden. Trotzdem kein Anreiz für uns, auf das Mitmachangebot von Mary einzugehen: »Komm schon, du musst dich nur trauen!«
Die 30-Jährige, die auch einen Schweizer Pass hat, weil ihre Großeltern vom Wallis nach Österreich ausgewandert sind, weiß nicht, dass man vor zwei Tagen noch Snowboard-Jungfrau war. In der Zwischenzeit haben sich Zuschauer angesammelt. Es ist ein belebtes Eck, hinterm Hügel rauscht ein bekannter Wasserfall, dem man einen Meditationsplatz spendiert hat. Zuerst hebt Mary ab und posaunt durchs Kaunertal: »Yeah, Stalefish!« Fabian ruft ihr zu: »Cooler Grab!« Seinen eigenen Sprung kommentiert er noch in der Luft: »Melon, Melon!« Die Winterwanderer blicken sich verdutzt an: »In welcher Sprache unterhalten sich die beiden?«
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