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Zurück zu den Wurzeln
Süditalien steht nicht nur ökologisch, sondern auch sozial vor einer Belastungsprobe
Entschlossen steckt Emilia Blasi ihre Hände in den Kompost und prüft mit kritischem Blick seine Qualität. Zwischen ihren Fingern schlängelt sich ein kleiner Regenwurm aus dem noch dampfenden Humus. »Was ich in meinen Händen halte, ist pures Gold«, ruft sie triumphierend. Was bei anderen Ekelgefühle auslösen würde, erfüllt die 42-Jährige mit Stolz. Vor sieben Jahren kehrte sie in ihre Heimatstadt Grottaglie in Apulien zurück und traf dabei eine Entscheidung: Sie übernahm die Farm ihrer Eltern und setzte im Gegensatz zu anderen Landwirtschaftsbetrieben in der Region auf regenerative Anbaumethoden.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
»Das bedeutet, dass ich nicht nur wie bei Bio auf Pestizide und Kunstdünger verzichte, sondern zusätzlich dem Mutterboden helfe, sich selbst zu regulieren«, erklärt die Weinbäuerin. Zum Umdenken hätten sie vor allem die Klimaereignisse der vergangenen Jahre bewegt. Heute ist sie sogar die Erste in Italien, die Tafeltrauben nach Methoden der regenerativen Landwirtschaft anbietet.
Dass aus ihr eine Landwirtin werden könnte, hätte sie bis vor einiger Zeit selbst nicht geahnt. Vor 18 Jahren verließ sie wie viele junge Süditaliener*innen ihre Heimat. »Ich wollte die Welt entdecken und mehr aus meinem Leben machen. Zu Hause schien mir das unmöglich«, erzählt sie. Blasi ging nach Rom, machte ihren Doktor in Politikwissenschaften, fand eine Festanstellung bei einer internationalen Organisation und gründete eine Familie. Obwohl sie in Rom glücklich war, wuchs ihre Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land.
Raus aus der Perspektivlosigkeit
Doch wie rund 134 000 Italiener*innen, die jährlich aus Süditalien abwandern, sei ihr klar gewesen, dass es in Apulien wenig Perspektive gibt: »Es mangelt nicht nur an Arbeitsplätzen, sondern auch an Ressourcen, einer funktionierenden Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen«, erklärt Blasi das Problem. Laut dem italienischen Amt für Statistik verließ - rein rechnerisch - im Jahr 2020 alle zehn Minuten ein unter 30-jähriger Mensch den sogenannten Mezzogiorno. Demnach leben rund 71 Prozent der Gesamtbevölkerung Italiens heute in Städten. Für Blasi steht fest: »Die Massenflucht vom Land lässt ein Territorium, das viel bieten könnte, mehr und mehr verarmen.«
Als ihre Eltern die Familienfarm nicht mehr allein bewirtschaften konnten, kehrte Blasi der Großstadt den Rücken. Kurzentschlossen nahm sie an einem Förderprojekt der Region teil und absolvierte einen Kurs in regenerativer Landwirtschaft. »Dadurch entdeckte ich, dass noch mehr ging als nur Bio«, erklärt sie. »Unsere landwirtschaftlichen Methoden sind so natürlich, dass wir nicht einmal Produkte zur Düngung oder Schädlingsbekämpfung verwenden, die normalerweise für Bio zugelassen sind.« Denn im Gegensatz zum Biolandbau, erklärt Blasi, zielt der regenerative Ackerbau darauf ab, so wenig wie möglich in natürliche Kreisläufe einzugreifen und stattdessen das Ökosystem ins Gleichgewicht zu bringen.
Bemerkenswert sei vor allem, dass der Ansatz viele der landwirtschaftlichen Traditionen aufleben lässt, die bereits ihre Großeltern sowie deren Vorfahren angewandt hatten. »Früher produzierte meine Familie Wein, Oliven und Gemüse allein zur Selbstversorgung. Und wenn man etwas für sich selbst herstellt, dann macht man es meistens gut und gesund«, gibt die zweifache Mutter zu bedenken. Diese große Liebe zum gesunden Essen sei in Italien nicht nur stark verwurzelt, sondern wohl auch ein Grund für die Vorreiterrolle des Mittelmeerstaates im Biolandbau. Laut dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL ist Italien mit 70 561 Betrieben das EU-Land mit den meisten Bioproduzent*innen - Deutschland hat im Vergleich »nur« gut 26 000 - und mit knapp 2,3 Milliarden Euro Exportvolumen der weltweit zweitgrößte Exporteur von biozertifizierten Nahrungsmitteln.
Emilia Blasi ist dabei nicht die einzige Frau in Italien, die dem Trend »Bio made in Italy« folgt. Denn nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF sind es vor allem die Frauen, die den agrarökologischen Wandel auf dem Stiefel vorantreiben. So wird nicht nur jeder dritte landwirtschaftliche Betrieb in Italien von einer Frau geführt, sondern auch knapp 30 Prozent der Bio-Betriebe sind in weiblicher Hand. Insbesondere in sogenannten multifunktionalen Agrarbetrieben, also solchen, die neben der Landwirtschaft auch Ökotourismus sowie soziale und kulturelle Aktivitäten anbieten, geben die italienischen Frauen den Ton an. »Frauen, die einen landwirtschaftlichen Betrieb führen, machen dies meist aus Berufung und nicht nur wegen des Geschäfts«, erklärt Pina Terenzi, Präsidentin des Vereins Donne in Campo, zu Deutsch: Frauen auf dem Feld. Ihrer Meinung nach wollen die meisten von ihnen mit ihrer Arbeit einen Grundstein für eine bessere Zukunft legen. Auch Blasi bietet Workshops und touristische Entdeckungstouren an, um vor allem bei Kindern, aber auch Erwachsenen das Umweltbewusstsein zu schärfen.
Die studierte Politologin weiß, wie schwierig es ist, in einer von Männern dominierten Welt Landwirtin zu sein: »Eines der größten Probleme für mich ist, dass ich eine Frau bin«, gesteht sie. »Viele Männer beäugen dich misstrauisch auf Schritt und Tritt und warten nur darauf, dass du scheiterst. Da müssen sich Frauen ein dickes Fell zulegen.« Dass sie bei der harten Arbeit auf dem Feld dennoch oft an ihre körperlichen Grenzen stößt, streitet sie nicht ab: »Wenn es meinen Vater nicht gäbe, könnte ich einige Dinge nicht machen. Aber ich bin davon überzeugt, dass jeder in etwas anderem gut ist.«
Sie selbst zeichnet sich wohl vor allem durch die Willensstärke aus, mit der sie die Familienfarm umgewandelt hat. Seit nunmehr fünf Jahren hat sie dort das Sagen und kümmert sich mit Unterstützung ihrer Eltern beinahe allein um alle Geschicke. »Nur für große Arbeiten und die Ernte holen wir uns Hilfe. In Zukunft soll sich das aber ändern«, hofft Blasi.
Das erste Produkt, mit dem ihr der Sprung auf den Markt gelungen ist, sind die für Apulien typischen Tafeltrauben. 25 Tonnen habe sie davon im vergangenen Jahr geerntet. Ein enormer Erfolg - insbesondere gegenüber ihren Skeptiker*innen, zu denen anfangs auch ihr Vater gehörte.
Gegen alle Skepsis erfolgreich
»Zwar hatte er nichts dagegen, schon früh der Chemie auf den Feldern zu entsagen. Als ich ihm aber erklärte, dass wir den Boden nicht pflügen dürfen, sondern überall Kräuter säen müssen, die er zuvor als Unkraut jätete, schaute er mich nur ungläubig an«, erzählt Blasi. Heute habe er seine Meinung jedoch revidiert und würde stolz die Früchte der Arbeit ernten.
»Begrünung ist entscheidend, um den Boden mit Mikroorganismen zu nähren, so sein Gleichgewicht wiederherzustellen und die Verwurzelung zu fördern. Dadurch wird er vor Erosion geschützt«, erklärt die Autodidaktin. Das Zauberwort heiße Biodiversität, denn Monokulturen und die maschinenbetriebene Landwirtschaft sorgten seit Jahrzehnten dafür, dass sich Böden verdichteten und schließlich unfruchtbar wurden.
Auch eine Forschungsgruppe der Universität Basel warnt vor dem weltweiten Bodenverlust. So prognostizierte sie einen jährlichen Schwund von bis zu 28 Milliarden Tonnen bis zum Jahr 2070. Das sind zwei Drittel mehr als noch vor fünf Jahren. Vor allem klimatische Extremereignisse wie Starkregen und Trockenheit würden das Risiko erhöhen. Ernteausfälle, eine schleichende Versteppung vieler Gebiete oder verheerende Überschwemmungen seien die Folgen.
Laut dem Joint Research Centre der Europäischen Kommission zählt Italien mit einer Erosion von 33 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche bereits jetzt zu einem der am stärksten betroffenen Länder Europas. In dem Bericht wird deutlich, dass die Schädigung der Bodenstruktur nicht nur gravierende Auswirkungen auf die Umwelt hat, sondern auch wirtschaftliche Folgen: Mit einem jährlichen Verlust von 619 Millionen Euro der landwirtschaftlichen Produktivität zahlt der Staat schon jetzt die höchste Rechnung im europäischen Vergleich. Der Gesamtschaden in der EU beläuft sich jährlich auf rund 1,25 Milliarden Euro.
Doch Ackerbau muss nicht zwangsweise der Umwelt schaden, sondern kann sogar zum Klimaschützer werden. Das weiß auch Emilia Blasi: »Wenn Böden nicht bearbeitet werden und sich stattdessen selbst regulieren, sind sie imstande, riesige Mengen Kohlendioxid zu speichern, die sonst unser Klima belasten würden.« Voraussetzung dafür sei der konsequente Humusaufbau.
»Je mehr Humus ein Boden enthält, desto mehr CO2 kann klimawirksam gespeichert werden«, erklärt die Bio-Expertin. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht sogar davon aus, dass die CO2-Emissionen auf ökologisch bewirtschafteten Flächen um 48 bis 66 Prozent niedriger sind als auf konventionellen.
»Auch wenn ich die Rückkehr aufs Land nie bereut habe, gibt es Momente, in denen ich das Gefühl habe, auf einen Berg zu klettern und plötzlich keine Kraft mehr zu haben«, gibt Blasi zu. Problematisch sei es vor allem, Vertriebsketten aufzubauen und Supermärkte zu finden, die bereit sind, Produkte ohne Bio-Siegel zu vertreiben. »Obwohl wir sogar ökologischer als Bio sind, kommt man ohne Label nicht voran. Doch bis ein Betrieb wie wir biozertifiziert wird, kann es Jahre dauern«, bedauert Blasi. Die Ernte habe aber keine Zeit, auf die Beurteilung nach EU-Richtlinien zu warten. »Gäbe es mehr Betriebe in der regenerativen Landwirtschaft, dann hätten wir auch mehr Verhandlungsstärke«, ist sie überzeugt.
Rettungsmission für biologische Vielfalt - Der Verlust der Biodiversität ist eins der größten Risiken für unseren Planeten.
Dabei wünscht sich die Landwirtin für die Zukunft nicht nur stärkere Netzwerke für die Vermarktung. »Von der Verpackung bis hin zur Logistik stehen viele Kleinbetriebe alleine da. Unterstützung muss jedoch nicht immer monetär sein. Auch der Erfahrungsaustausch oder kostenlose Trainings helfen dabei, sich zu strukturieren.«
Sie selbst schloss sich letztes Jahr mit anderen Entrepreneur*innen aus unterschiedlichen Bereichen unter der regionalen Destinationsmarke »Salento delle Murge« zusammen. Daraus ist die Frauenarbeitsgruppe CREO hervorgegangen, die sich unter der Leitung von Blasi um digitale Strategien für die Marke kümmert. Blasi ist überzeugt: »Frau in der Landwirtschaft zu sein, bedeutet heutzutage, sowohl einen Traktor fahren zu können als auch die Welt mit neuen Ideen ein Stück weit zu revolutionieren.«
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