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Wer will wirklich Krieg?
Jewgeni Jewtuschenkows berühmtes Antikriegs-Gedicht und Russlands Aggression gegen die Ukraine
Oft, wenn sich Menschen besorgt über den Konflikt in der Ostukraine äußerten – und jetzt über den Krieg Russlands gegen das ganze Land –, wird ein Gedicht zitiert. Auch in Briefen und Mails an das »nd«. »Meinst du, die Russen wollen Krieg?« des sowjetischen Lyrikers Jewgeni Jewtuschenko ist eine ergreifende Beschreibung der Leiden der Sowjetsoldaten, des gesamten sowjetischen Volkes im Zweiten Weltkrieg. Es erinnert daran, was die Welt diesen Menschen maßgeblich zu verdanken hat: die Befreiung vom Hitler-Faschismus.
Jewtuschenko schrieb die Verse 1961, als gerade akute Kriegsgefahr herrschte. Die Sowjetunion hatte Atomraketen auf Kuba stationiert, nachdem die USA Atomwaffen in Italien und der Türkei in Stellung gebracht hatten. US-Präsident Kennedy drohte mit einem Krieg, der unweigerlich ein Weltkrieg geworden wäre. Daraufhin zog die Sowjetunion die Raketen aus Kuba wieder ab.
Damals erlebten Sowjethass und Antikommunismus, die ohnehin nie tot gewesen waren, eine neue Blüte. Jewtuschenko spricht in seinem Gedicht von Russen, weil man sich im Westen nie die Mühe gemacht hatte zu verstehen, dass die Russen nur ein Volk von vielen, wenn auch das größte, in der Sowjetunion waren. Der Russe – das war das Feindbild, im heißen wie im kalten Krieg.
An dieses Gedicht, entstanden in einer konkreten politischen Situation und nur 16 Jahre nach dem Ende des grausamsten Krieges der Weltgeschichte, als nahezu jedem noch die Schrecken dieses globalen Gemetzels gegenwärtig waren, erinnern nun viele Menschen. Die Frage ist, ob es dazu beiträgt, den gegenwärtigen Krieg zu verstehen.
Krieg, das ist keine neue Erkenntnis, soll in aller Regel mit brutalstmöglichen Mitteln Machtinteressen durchsetzen. Es gibt einerseits immer Leute – eine kleine Minderheit –, die am Krieg rasend gut verdienen oder von ihm in irgendeiner Weise profitieren. In vielen Industriestaaten gibt es eine äußerst gewinnträchtige Rüstungsindustrie. Waffenkonzerne sponsern Politiker, von denen sie sich etwas versprechen. Der militärisch-industrielle Komplex ist kein Alleinstellungsmerkmal der USA, wenngleich er dort besonders stark ausgeprägt ist. In einer Fußnote von Marx’ »Kapital« ist das bis heute gültig auf den Punkt gebracht: das Kapital habe »einen Horror vor Abwesenheit von Profit … 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.«
Und es gibt andererseits immer Menschen – die große Masse der Bevölkerung –, die im Krieg nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren haben. Das gilt für alle Staaten und Völker. Die Russen, die einfachen Menschen im russischen Volk, wollen genauso wenig Krieg wie die Amerikaner, die Japaner, die Italiener, die Deutschen oder die Ukrainer. Kein Volk hat ein Kriegsgen oder ein Friedensgen, das es von anderen unterscheiden würde. Immer sind es die wirtschaftlichen und politischen Machtinteressen der wenigen, unter denen die vielen zu leiden haben. Auch dann, wenn sie von nationalistischer Propaganda kriegsbesoffen gemacht wurden.
Jewtuschenkos Gedicht bleibt ein Appell an die Menschlichkeit, eine Friedensmahnung. Und vor allem für die Deutschen eine Erinnerung an die historische Verantwortung, die aus den Verbrechen der faschistischen Wehrmacht in der Sowjetunion – im heutigen Russland genauso wie in der Ukraine – resultiert. Ein politisches Argument für alle Weltlagen ist es nicht und kann es gar nicht sein. Ein Gedicht so zu verstehen, wäre ein allzu plattes Verständnis von Kunst.
Wir leben in einer Welt, in der zwar alle ihre Friedfertigkeit und ihre lauteren Ansichten beteuern, in der aber Militärstrukturen beängstigend hochgerüstet werden. Überall gibt es einflussreiche Leute, die es für opportun halten, ihren Vorteil mit Krieg oder martialischer Kriegsdrohung zu erlangen beziehungsweise zu verteidigen. Die Grenze verläuft nicht zwischen den Russen und anderen Völkern, sondern zwischen den Kriegsprofiteuren und denen, auf deren Kosten diese Profite erzielt werden.
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