Regierungsbildung: Das Prinzip Mehrwertsteuer

Die SPD gibt sich in den Verhandlungen mit der Union kämpferisch. Doch Skepsis ist angebracht

Was aus dem Merz-Katalog der Grausamkeiten kann und will Klingbeil verhindern?
Was aus dem Merz-Katalog der Grausamkeiten kann und will Klingbeil verhindern?

Bis Ostern, hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz wohl etwas voreilig angekündigt, bis Ostern solle die neue Regierung stehen. Dass Koalitionsverhandlungen – egal, ob mit der SPD oder den Grünen – kein besinnlicher Osterspaziergang werden würden, konnte ihm schon vor der Wahl klar sein. Inzwischen hat diese Erkenntnis Merz eingeholt; jetzt hört man aus der Union, Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit. Den Druck hat die Union teils sich selbst zu verdanken. Merz und CSU-Chef Markus Söder hatten durch scharfe Wahlkampfpolemik namentlich gegen die Grünen andere mögliche Regierungsvarianten weitgehend torpediert.

Nicht nur deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass die aktuellen Gespräche scheitern. Die staatsbürgerliche Verantwortung für eine stabile Regierung angesichts der erstarkten AfD wirkt in den Reihen der SPD als schier unabweisbares Argument. Ohnehin waren SPD-Generalsekretäre, die aus dem linken Parteiflügel kommen, wie Kevin Kühnert und sein Nachfolger Matthias Miersch, schnell auf Regierungspragmatismus eingenordet. Den Ton geben andere an, allen voran Lars Klingbeil, eigentlich einer der großen Wahlverlierer. Als Ko-Parteichef hat er das historisch schlechte Ergebnis der SPD an führender Stelle zu verantworten; sein Ruf als Wahlkampfstratege, der noch von Olaf Scholz’ überraschendem Wahlsieg 2021 herrührt, ist ruiniert.

Gleichwohl griff er schnell nach den Resten sozialdemokratischer Macht, ließ sich zum Fraktionschef wählen und steht womöglich auf dem Sprung in ein Ministeramt. Interessant ist, dass er sich in jüngeren Jahren dem linken Flügel der SPD zurechnete, sein Aufstieg aber erst nach dem Wechsel zum Seeheimer Kreis, dem Zirkel der SPD-Konservativen, begann: erst Generalsekretär, dann Parteichef.

Merz braucht einen wie Klingbeil, um die SPD in sein neokonservatives Projekt einzubinden. Wenn die Sozialdemokraten dahinter stehen, ist ein erheblicher Teil des Protestpotenzials neutralisiert. Das beginnt bei den gigantischen Rüstungskosten, die zum einen bereits vom alten Bundestag in Kombination mit den 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur beschlossen wurden. Inzwischen wird auf eine weitere Steigerung der Rüstungsausgaben gedrängt.

Merz braucht einen wie Klingbeil, um die SPD in sein neokonservatives Projekt einzubinden.

Union und SPD haben bereits vereinbart, Ausgaben für das Militär »deutlich und stringent zu steigern«, wie es in einem gemeinsamen Papier heißt. 2024 hatte Deutschland nach Jahrzehnten wieder einen Wert der Rüstungsausgaben von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht, wenn man das erste Bundeswehr-Sondervermögen von 2021 einrechnet. Nun fordert die Union ein Bekenntnis der Ausgabenhöhe in Richtung 3,5 Prozent, wie es auch die Nato wünscht. Die SPD will sich bislang nicht konkret festlegen lassen; wohl auch, weil sie diesen Posten noch als Verhandlungsmasse braucht. Klar dürfte aber sein, dass die wachsenden Militäretats – ob im Bundeshaushalt oder über Sondervermögen – den Kürzungsdruck auf andere wichtige Bereiche, etwa im Sozialen, verstärken.

In der Migration ist die SPD der Union schon sehr weit entgegengekommen, etwa im Rahmen des Gemeinsamen Europäische Asylsystems. Dass die Sozialdemokraten sich Ende Januar im Bundestag lautstark gegen Verschärfungen von Migration und Asyl wandten, lag weniger an deren Inhalt, sondern vor allem an der Tatsache, dass Merz dabei auch auf die Stimmen der AfD spekulierte. Inzwischen ist im Bereich Asyl nur noch eine wichtige Frage umstritten: Die Union will Asylbewerber direkt an den deutschen Grenzen zurückweisen, die SPD nicht, auch aus Rücksicht auf die Nachbarstaaten.

Auch in anderen Bereichen hat die Union jede Menge Zumutungen im Köcher. Beispielsweise würde sie gern das Lieferkettengesetz wieder abschaffen – eine echte Errungenschaft, mit der deutsche Firmen verpflichtet werden, auf Menschenrechts-, Arbeits- und soziale Bedingungen bei Zulieferern in anderen Ländern zu achten. Ebenfalls abschaffen will die Union das Informationsfreiheitsgesetz, das Bürgern das Recht zur Einsicht in Dokumente von Behörden gibt und damit deren Arbeit transparenter machen soll. Auch auf der konservativen Abschussliste stehen das Entwicklungsministerium und das Umweltinformationsgesetz, das den freien Zugang zu Umweltdaten ermöglicht und zumindest »verschlankt« werden soll. Das alles könnte man unter der Überschrift »Deutschland und Wirtschaft zuerst« zusammenfassen – was das Gewinnsystem stört (Effizienz!), soll weggehobelt werden.

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Mindestens so interessant wie das, was die SPD an eigenen Punkten durchsetzt, wird sein, welche Forderungen der Union sie verhindern oder wenigstens abschwächen kann. Dabei muss man auf tönende Ankündigungen nicht allzu viel geben. Erinnert sei an den Wahlkampf 2005, als die CDU mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent anstrebte und die SPD das empört ablehnte. Die Union gewann dann knapp die Wahl; es kam zu einer großen Koalition und die SPD stimmte letztlich sogar einer Steigerung um 3 auf 19 Prozent zu.

Diese Episode sollte man im Hinterkopf haben, wenn man die heutigen Koalitionsverhandlungen bewertet. Hinzu kommt: Damals hatte die Union 35 Prozent, die SPD 34 – man konnte also weitgehend auf Augenhöhe verhandeln. Jetzt steht es nach Wahlprozenten 28 zu 16. Insofern ist sehr fraglich, was übrig bleibt von den steuerpolitischen Forderungen der SPD: den Steigerungen beim Spitzensteuersatz, der Reichensteuer auf sehr hohe Vermögen und der Steuer auf Kapitaleinkünfte sowie der Wiederbelebung der Vermögensteuer. Allesamt Ziele, die der Union und wichtigen Teilen ihrer Unterstützer missfallen. Vielleicht greift Klingbeil am Ende auf eine Sentenz des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering zurück. Es sei unfair, sagte der einmal, Parteien an ihren Forderungen aus dem Wahlkampf zu messen.

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