Palast des Raubguts

Im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss findet sich vieles - nur keine dekoloniale Erinnerungskultur

  • Livia Sarai Lergenmüller, Clara Westendorff und Leonie Fischer
  • Lesedauer: 6 Min.
Disney World in der ehemaligen Reichshauptstadt – das umstrittene Humboldt-Forum in angenehmes Licht getaucht
Disney World in der ehemaligen Reichshauptstadt – das umstrittene Humboldt-Forum in angenehmes Licht getaucht

Seit vergangenem Jahr können die Berliner*innen, inmitten ihrer Stadt, ein Stück preußische Geschichte besichtigen: Im Juli 2021 ist der Humboldt-Forum genannte Stadtschlossnachbau eröffnet worden, fast zwei Jahrzehnte nach einem entsprechenden Baubeschluss des Bundestages.

Ein Koloss aus Beton. Und nicht nur das. »Mit dem Humboldt-Forum wird, in der Mitte Berlins, ein preußisches Walt Disney inszeniert«, sagt Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). »Das immens viele Geld, das in dieses Schloss geflossen ist, hätte man so viel sinnvoller nutzen können - für die Provenienzforschung zum Beispiel«, erklärt Della mit Blick auf die ethnologischen Sammlungen, ein regelrechtes Sammelsurium an Raubgütern aus kolonialen Kontexten. Woher die Objekte stammen, auf welchem Wege sie in den heutigen Besitz geraten sind, durch welchen Kontext und in welchem Zustand: Das alles ist Aufgabe der Provenienzforschung, für die vom Humboldt-Forum gerade mal vier Personen abgestellt sind. Dabei gehören allein rund 75.000 afrikanische Objekte zum Bestand des Hauses, bei vielen von ihnen ist die Herkunft ungewiss.

Der Umgang mit den Raubgütern ist bekanntlich nicht der einzige Kritikpunkt an der Kopie des Preußenschlosses, das - im Zweiten Weltkrieg teilweise ausgebrannt - 1950 auf Beschluss der SED gesprengt worden war. An gleicher Stelle errichtete die DDR-Führung später den Palast des Republik, der nach seiner Eröffnung 1976 als Sitz der Volkskammer und riesiges öffentliches Kulturhaus fungierte. Nach dem Ende der DDR kam bereits Anfang der 90er Jahre erstmals die Idee auf, den Palast abzureißen und stattdessen das preußische Stadtschloss wiederaufzubauen. 1992 gründete sich zu diesem Zweck der Förderverein Berliner Schloss um den Unternehmer Wilhelm von Boddien.

Dass der Verein seinen Willen bekam, ist letztlich einer Art Taschenspielertrick zu verdanken. Der Förderverein initiierte 1993 eine Fassadensimulation, identisch mit dem damaligen Schloss, um so den Berliner*innen den vermeintlichen Verlust ihres historischen Zentrums aufzuzeigen. Was absurd klingt, hatte Erfolg: Nicht unbedingt bei den Berliner*innen, erst recht nicht bei den Ostberliner*innen, aber bei politischen Entscheidungsträger*innen. 2006 begann - begleitet von zahlreichen Protesten - der Abriss dessen, was vom Palast der Republik noch übrig war; 2013 legte Bundespräsident Joachim Gauck den Grundstein für den neuen Schlosskasten, der seit seiner Fertigstellung im Mai 2020 wie ehedem der Palast-Abriss eben immer wieder für kontroverse Diskussionen sorgt.

So auch vor einigen Monaten, als man sich die Namen der Spender*innen für den Neubau in Berlins Mitte mal genauer angeschaut hatte und darunter zahlreiche Akteur*innen der Neuen Rechten entdeckte. Etwa den 2016 verstorbenen Bankier Ehrhardt Bödecker, der zu Lebzeiten durch eine Vielzahl rassistischer und antisemitischer Äußerungen aufgefallen ist. Letztlich bat seine eigene Familie um die Entfernung einer öffentlich ausgestellten Plakette mit Bödeckers Namen - wer mehr als 500 000 Euro für das Humboldt-Forum gespendet hat, wird auf diese Weise geehrt.

Der Stuttgarter Karl-Klaus Dittel gehörte wiederum nicht nur zu den Spender*innen. Dittel soll einem 3Sat-Bericht zufolge auch einer der Gründer des Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten sein, der die AfD in verschiedenen Wahlkämpfen unterstützte. Dittel wäre auch nicht der Einzige mit einer Nähe zur AfD. Auch Thomas Sambuc hat für das Schloss gespendet, 2019 trat er bei den Stuttgarter Gemeinderatswahlen für die AfD an. Der »Preußenabend München« spendete ebenfalls, eine Organisation, zu deren Veranstaltungen laut Bayerischem Rundfunk »sowohl rechtskonservative Akademiker und Vertriebenenfunktionäre als auch AfD-Politiker und Neonazis eingeladen werden«. Zu diesen soll unter anderem der Bundeswehr-Oberleutnant Franco A. gehört haben, der aktuell wegen Terrorverdachts vor Gericht steht. Auch die rechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« spendete für das Schloss. Das Humboldt-Forum bat zwar darum, die Spende zurückzuziehen, aus rechtlichen Gründen soll das aber nicht möglich gewesen sein.

Die deutlich komplexere Kritik gilt heute jedoch nicht mehr dem Gebäude selbst, der Verpackung, sondern seinem Inhalt. Das Universalmuseum beherbergt insgesamt sechs Ausstellungen, darunter die erwähnten ethnologischen Sammlungen. Bereits 2017 hatte die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy den Expert*innenrat des Humboldt-Forums verlassen, dem sie bis dahin angehört hatte. Die Provenienz der Objekte habe in ihren Augen zu wenig Aufmerksamkeit erhalten, zudem schien ihr die Geschichte des Hauses wie auch die der Sammlungen intransparent. Die historiografische, psychologische und politische Übernahme der Verantwortung für die koloniale »Vergangenheit, die nicht vergeht«, gehöre »zu den großen gemeinsamen Herausforderungen Europas« im 21. Jahrhundert, stellte Savoy 2019 in ihrem Buch »Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter« fest. Die Provenienzforschung spiele dabei eine zentrale Rolle und sei vom Humboldt-Forum nicht ausreichend angegangen worden, so schon damals ihr Vorwurf.

Eigentlich sollte das Wissen um die Provenienz der eigenen Objekte zum Standard eines jeden Museums gehören. In Deutschland wurde diese Tradition laut Savoy jedoch in den 80er Jahren im Zuge der ersten Restitutionsdebatte unterbrochen. Man habe sich aktiv dafür entschieden, die Objektlisten nicht mehr aufzusetzen - um Rufe nach etwaigen Rückführungen nicht zu befeuern.

Doch zurück ins Jahr 2022. Die zentrale Frage auch und vor allem im Hinblick auf das Humboldt-Forum ist und bleibt, wie sich Berlin seiner Verantwortung als ehemalige Kolonialmetropole und Reichshauptstadt stellt.

Tahir Della ist neben seinem Engagement für die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland für das Modellprojekt »Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt« tätig, das auf eine Initiative des Vereins Berlin Postkolonial, des Netzwerks Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, des Bildungsvereins Each One Teach One, Dellas ISD und der Senatskulturverwaltung zurückgeht. »Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt« versteht sich als ein »Kulturprojekt zur kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kolonialismus und mit dessen Folgen«. Ziel ist es, Berlin mit seiner Verantwortung als ehemalige Kolonialmetropole und Reichshauptstadt zu konfrontieren und einen Perspektivwechsel in der postkolonialen Erinnerungskultur anzustoßen.

»Nur mit der Aufarbeitung der Vergangenheit können wir die Fragen der Zukunft lösen«, sagt Tahir Della. »Das klingt zwar pathetisch, ist aber wahr: Wir müssen die Verbindungen knüpfen.« Neben künstlerischen Interventionen, eigenen Ausstellungen und einer aufwendigen Kartierung deutscher Kolonialgeschichte berät das Projekt Museen zum Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten. Hier gebe es ein wachsendes Interesse, so Della.

Doch wie funktioniert das? Wichtig sei vor allem die Kooperation mit der kritischen Zivilgesellschaft, erklärt Della. »Runde Tische« und unverbindliche Gesprächsformate reichten nicht. Museen müssten ihre eigenen Sammlungen kritisch in den Blick nehmen, überlegen, wie sie ihre Objekte kommentieren, wie sie in den Dialog gehen. »Dafür vermitteln wir Menschen an Museen, die auf Honorarbasis bei diesen Prozessen unterstützen. Wir bieten außerdem teaminterne Diversity-Trainings an, um überhaupt erst mal ein Bewusstsein für Rassismus und Kolonialgeschichte zu vermitteln.«

Im Jahr 2022 brauche es mehr denn je eine antikoloniale Bewegung, findet Della. »Migration und Flucht, die Klimadebatte und die Toten im Mittelmeer sind als Folge der 500-jährigen Geschichte der europäischen Kolonialaktivität zu betrachten. Erst die Beschäftigung hiermit versetzt uns in die Lage, diese Themen angemessen zu adressieren.«

Klar ist: Die Dekolonialisierung ist nicht damit beendet, dass ehemalige Kolonien ihre Souveränität zurückerlangt haben. Im Gegenteil: Der Prozess läuft bis heute weiter und erfordert nach wie vor eine aktive Überarbeitung der Alltags- und Erinnerungskultur. Vor allem auch hier, in Berlin.

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