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»Das Entlastungspaket wird nicht ausreichen«
Ökonom Sebastian Dullien über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die hiesige Konjunktur
Kann man bereits abschätzen, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine für die Wirtschaft in Deutschland haben könnte?
Es ist derzeit schwierig, seriöse Aussagen zu machen, wie sich die Lage entwickelt. Es gibt keinerlei Hoffnung mehr, dass sich der Konflikt schnell auf diplomatischem Wege lösen lässt, wie man es vor einer Woche noch hätte hoffen können. Und es gibt auch kein vergleichbares Ereignis aus der Vergangenheit, das man als Ökonom heranziehen kann, um abschätzen zu können, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf Deutschland haben wird. Das ist auch nicht mit dem Irak-Krieg vergleichbar. Der Konflikt ist viel näher und birgt die reale Gefahr einer Unterbrechung der Gasversorgung aus Russland.
Deutschland ist zu rund der Hälfte von russischem Gas abhängig. Ist die Versorgung noch gesichert oder kann es zu Ausfällen kommen?
Das Risiko, dass das Gas knapp wird, ist gegeben. Es ist aber zumindest kurzfristig überschaubar. Zwar ist das russische Gas nicht so einfach und schnell durch Flüssiggasimporte ersetzbar, da dafür die technischen Voraussetzungen nur bedingt gegeben sind. Andererseits sind die Gasspeicher derzeit ausreichend gefüllt – auch weil der Februar sehr mild war. Bis zum Ende der Heizperiode dürfte es deswegen zu keinen ernsthaften Knappheiten kommen. Schwieriger ist die Frage, was ab dem Herbst passiert.
Die Energiepreise sind bereits in den vergangenen Wochen massiv gestiegen. Werden sie jetzt durch die Decke gehen?
Die Endverbraucherpreise werden sicherlich noch ein ganzes Stück zulegen. Anfang der Woche lagen die Gas-Großhandelspreise bei 70 Euro pro Megawattstunde. Am Donnerstagabend lagen sie schon bei 130 Euro, sind allerdings danach wieder etwas gefallen. Das ist ein massiver Preisanstieg. Im vergangenen Jahr lagen die Preise noch bei knapp 20 Euro. Dies wird letztlich auch an die Verbraucher weitergegeben und die Inflationsrate weiter nach oben drücken.
Die Bundesregierung hat vergangene Woche wegen der hohen Energiepreise ein Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Reichen die Maßnahmen aus oder muss angesichts der Ukraine-Krise nachgebessert werden?
Es ist gut, dass es das Entlastungspaket gibt, aber es wird nicht ausreichen. Vor allem geht die Bundesregierung nicht das spezielle Problem der Gaspreise an. Diese werden weitaus stärker steigen als die anderen Energiepreise und zu einem echten Problem werden für Haushalte, die mit Gas heizen. Wenn die Gaspreise im Großhandel dauerhaft auch nur bei 70 Euro pro Megawattstunde bleiben, ist mit einer Verdopplung der Endpreise für Privathaushalte zu rechnen. Für eine durchschnittliche Familie wären das leicht 100 Euro Mehrbelastung im Monat.
Was wäre eine geeignete Gegenmaßnahme?
Ein Gaspreisdeckel wäre eine geeignete Maßnahme. Der Staat sollte den Gaspreis für eine Grundversorgung pro Haushalt auf 7,5 Cent pro Kilowattstunde begrenzen und die Versorger dafür entschädigen. Das hätte zwei Vorteile: Erstens würde es gezielt die Haushalte entlasten, die mit Gas heizen. Zweitens würde es einen Anreiz geben, Energie zu sparen, da sich die Subvention auf einen Grundverbrauch begrenzen würde und dadurch die Haushalte prozentual mehr entlastet würden, die wenig Energie verbrauchen.
Ist bereits absehbar, wie viel die höheren Energiepreise die Inflation beschleunigen werden?
Genau kann man das derzeit noch nicht abschätzen. Das hängt davon ab, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt. Geht man von den gegenwärtigen Energiepreisen aus, wird die Inflation in Deutschland 2022 auch in der zweiten Jahreshälfte vermutlich deutlich über vier Prozent liegen.
Macht das eine rasche Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) wahrscheinlicher?
Es wird eine Diskussion geben, wie die EZB auf den Ukraine-Krieg reagieren soll. Für die sie ist die Lage aber kompliziert, da es sowohl einen Angebot- als auch einen Nachfrageschock gibt. Die Preise steigen, gleichzeitig werden die Unsicherheit und die sinkenden Realeinkommen die Nachfrage dämpfen. Insofern ist es für die EZB nicht leicht, auf die gegenwärtige Situation zu reagieren.
Ursprünglich war man für dieses Jahr mit dem Ausklingen der Corona-Pandemie von einem kräftigen konjunkturellen Aufschwung ausgegangen. Kommt jetzt stattdessen die nächste wirtschaftliche Krise?
Eigentlich liegen alle Elemente für einen Aufschwung vor: Die Industrie hat volle Auftragsbücher, die Haushalte haben viel Geld zurückgelegt, und der Arbeitsmarkt ist recht robust. Auch die Probleme bei den Lieferketten lösen sich langsam auf. Gleichzeitig ist der Ukraine-Krieg natürlich ein massiver Schock, der sowohl die Angebot- als auch die Nachfrageseite trifft. Allein schon wegen der großen Unsicherheit werden sich Unternehmen mit neuen Investitionen zurückhalten. Insofern wird die Erholung in diesem Jahr deutlich gedämpfter ausfallen als ursprünglich angenommen. Je nachdem, wie der Konflikt noch eskaliert und welche Sanktionen und Gegensanktionen folgen, ist auch eine neue Rezession nicht ausgeschlossen.
Inwiefern werden die Sanktionen gegen Russland auch die hiesige Exportwirtschaft treffen?
Der Anteil der russische Anteil am deutschen Außenhandel beträgt lediglich 2,3 Prozent. Insofern werden die direkten Auswirkungen gering sein. Ein viel größeres Risiko ist, dass die Sanktionen einen Effekt auf die Energiepreise haben. Auch darf man nicht vergessen, das Russland zum Beispiel auch ein sehr wichtiger Lieferant von Palladium ist, das für die Herstellung von Katalysatoren benötigt wird. Auch werden in der Ukraine Vorprodukte etwa für die Automobilindustrie gefertigt. Insofern könnte es neben dem Energiepreisproblem auch bei einigen Produkten wieder zu Lieferkettenproblemen kommen.
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