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Hauptfeind, ich brauche dich!
BallHaus Ost: Wenn dem Fan(atiker) der Antagonist abhanden kommt
Es ist eine Menge passiert. Putins Truppen sind in der Ukraine einmarschiert. Dagegen formte sich in vielen Fanszenen am Wochenende Protest - weil Fußball Politik ist. In Berlin ist Ende Januar Manne Willfarth gestorben. Er war einer der vielen Ehrenamtlichen, die unseren Sport groß machten. Manne wurde 76 Jahre alt, er war viele Jahre Vorsitzender des Berliner Vereins SV Blau Weiss Berolina Mitte. Manne, nun stehst du als guter Geist am Platz, du immer freundlicher Mensch der leisen Worte. Manne, wir behalten dich und all die anderen von deinem Schlag beständig im Gedächtnis!
In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Alle Texte finden sie unter dasnd.de/ballhaus
In der Regionalliga fliegen uns wieder die Bälle um die Ohren. Zisch, baut sich der BFC ein kleines Polster auf. Wie kürzlich von mir an dieser Stelle vorhergesagt, sind einzig Lok Leipzig und Energie Cottbus noch ernsthaft an der Meisterschaft interessiert.
Über 2000 erhitzte Berliner Gemüter trafen sich am Freitag zum Stadtduell im Zoschke-Stadion des SV Lichtenberg 47. Es regnete, es war bitterkalt. Ideales Fußballwetter für ein fieses Kampfspiel. Indes die Ballartisten sich unterm nagelneuen Flutlicht übten, orientierte ich mich Richtung Vereinsheim, um im warmen Rund meine menschlichen Werte zu schulen. Es galt einem jungen Mann die Hand zu reichen, um ihm die Schönheit des ganzen Geraffels zu offerieren.
Während draußen der Regen prasselte und sich die ungeschützten Zuschauer fast den Tod holten, blickte er aus dem Fenster des Klubheims und sah, oh glücklicher Moment, sein erstes Fußballspiel. Wir drückten beim Bier die Daumen, mochte der Bessere gewinnen. Nun gut, der Bessere gewann nicht, aber wohl die Mannschaft mit dem größeren Willen? Das, was zuletzt den BFC auszeichnete, wurde ihm beim Bezirksnachbarn zum Verhängnis. Der BFC wollte ein bisschen, Lichtenberg wollte alles. Zack, stand es plötzlich 1:0 für Lichtenberg. Und dabei blieb es.
Uns blieb nach dem Spiel die Aufgabe, den anwesenden Lichtenbergern erst ordentlich den Kopf zu waschen und sogleich liebevoll zu fönen. Glück ist nur ein Schmetterling, sangen wir. Heute du, morgen sie, jodelten wir. Ich wünsch euch Fußball ohne Leiden, und einen Beck, der Tore schießt, grölten wir (angeblich). Ob es half? Ganz bestimmt! Der Restabend liegt im Dunkel.
Doch nicht jeder Tag ist ein böser Tag. Ich wache auf und die Sonne lacht mir ins Gesicht. Der Kaffee dampft, du hast Blumen im Haar und die Liebe senkt sich über alles Leid. Aber was? Ja, was nur? Etwas fehlt in meinem Leben! Phantomschmerzen durchfluten meinen Körper. Na klar! Man lässt mich nicht nach Lichterfelde, Corona heißt der böse Geist, dem wieder mal ein Spiel meiner Jenaer zum Opfer fällt.
Gelangweilt scrolle ich nun durch die Ergebnisse der NOFV-Oberliga Süd. Dort kickt seit einigen Jahren mein Hauptfeind, die rot-weiße Naht (thüringisch für Aasgeier) aus der Stadt mit Krämerbrücke. Die Krämerbrückenmannschaft ist insolvent, kaputtgemacht von lokalen Eierdieben, ein schreckliches Fußballschicksal. Die ersten paar Jahre konnte ich mich noch freuen, doch inzwischen blicke ich voll Mitleid an die Gera und weine beinahe. Denn was kann es für einen Fanatiker Schlimmeres geben, als den Verlust des Hauptfeindes?
Geliebter = verhasster Hauptfeind, wo bist du, wenn ich dich nachts rufe? Ich brauche dich für Alb- wie Freudenträume gleichermaßen. Du bist der Quell unendlichen Neuglücks, wenn es wieder darum geht, Thüringens mürbe Krone zu verteidigen. Ich suche dich, ich brauche dich, was nützt mir das Gerede von alberner Tradition, wenn zum Traditionsduell der Gegner fehlt! Wie kann ich dich sachgemäß schmähen, wenn du im Keller versinkst? Rot-Weiß Erfurt, komm endlich zurück!
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