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  • Ukraine-Krieg und die Paralympics

IPC macht Kehrtwende unter Druck

Russlands Sportler dürfen nun doch nicht bei den Paralympics in Peking starten

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Iwan Zaplin (l.) und Iwan Kodlozerow trainierten am Mittwochmorgen auf den Paralympics-Loipen in Zhangjiakou. Kurz darauf wurde ihr russisches Team ausgeschlossen.
Iwan Zaplin (l.) und Iwan Kodlozerow trainierten am Mittwochmorgen auf den Paralympics-Loipen in Zhangjiakou. Kurz darauf wurde ihr russisches Team ausgeschlossen.

Für viele Sportfunktionäre in den Paralympischen Dörfern muss es eine kurze Nacht gewesen sein. Videotelefonate, das Verfassen von Protestschreiben, die Androhung von Boykotten. Am Donnerstag gab das Internationale Paralympische Komitee dem Druck nach und schloss Sportler aus Russland und Belarus von den Winter-Paralympics in Peking aus. Tags zuvor wollte das IPC jene Athleten noch unter neutraler Flagge außerhalb der Medaillenwertung starten lassen. Die Spiele beginnen an diesem Freitag nun aber doch ohne sie.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

IPC-Präsident Andrew Parsons legte nahe, dass mehrere Teams und Athleten mit einem Boykott gedroht hatten und die Paralympics dadurch in Gefahr geraten waren. Die Situation in den Athletendörfern sei eskaliert und »die Gewährleistung der Sicherheit der Athleten unhaltbar geworden«, hieß es. Zudem hätten einige Regierungen Druck auf ihre Sportler ausgeübt. In zahlreichen Ländern kritisierten Medien die erste Entscheidung des IPC, die hinter einer Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees zurückgeblieben war. Das IOC hatte allen Verbänden den Ausschluss von Sportlern aus Russland und Belarus angeraten. Die am Donnerstag folgende Kehrtwende bezeichnete Russlands Sportminister Oleg Matyzin wiederum als illegal und kündigte eine Klage vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas an.

Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes DBS, bezeichnete die vergangenen Tage als Achterbahn der Gefühle. Beucher und Karl Quade, Chef de Mission des deutschen Teams in Peking, hatten ebenfalls versucht, mit Gesprächen und »Positionspapieren« auf das Führungsgremium des IPC einzuwirken. Ein Boykott der deutschen Sportler sei nicht diskutiert worden, sagte Quade in einer Pressekonferenz. Es sei noch nicht so häufig vorgekommen, dass ein Verband eine solche Entscheidung so schnell zurücknimmt. Aber: »Das IPC hat zurückgefunden in die internationale Sportwelt.« Bereits in der vergangenen Woche hatten deutsche Teammitglieder ihre Unterkünfte mit der ukrainischen Delegation getauscht. Andernfalls hätten die Ukrainer in Nachbarschaft mit der russischen Mannschaft gewohnt.

Seit Langem drückt der Deutsche Behindertensportverband seine Solidarität mit dem Nationalen Paralympischen Komitee der Ukraine aus, vor allem mit dessen Präsidenten Waleri Suskewitsch. Diese Partnerschaft wurde 2014 intensiver, als nach den Olympischen auch die Paralympischen Winterspiele im russischen Sotschi stattfanden. Zu jener Zeit ließ Wladimir Putin die Krim annektieren. Suskewitsch, langjähriges Mitglied des ukrainischen Parlaments, war einer der wenigen Politiker, der sich auf russischem Boden gegen Putin positionierte. Die ukrainischen Athleten starteten in Sotschi und wurden international als Helden gefeiert.

Ähnlich dürfte es auch in den kommenden Tagen aussehen. Auf einer Pressekonferenz in Peking bezeichnete Suskewitsch allein die Teilnahme seines Teams als Wunder: »Der einfachste Weg für uns wäre gewesen, nicht zu den Paralympics zu fahren. Aber für uns ist es eine Frage des Prinzips, hier zu sein. Es ist ein Symbol, das zeigt, dass die Ukraine lebt.« Viele der 20 ukrainischen Sportler seien beim russischen Einmarsch knapp den Bomben entkommen, schilderte Suskewitsch. Andere konnten erst durch lange Autofahrten zum nächsten Flughafen gelangen. Er selbst habe tagelang auf dem Boden eines Busses geschlafen. »Unsere Anwesenheit in Peking ist ein Zeichen dafür, dass die Ukraine ein Land war, ist und bleibt.«

Waleri Suskewitsch hat die ukrainischen Parasportler ins internationale Spitzenfeld geführt. Bei den Winterspielen von Pyeongchang 2018 und im vergangenen Sommer in Tokio belegten sie jeweils Platz sechs des Medaillenspiegels. Dabei ist Suskewitsch, der seit seiner Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, schon oft auf Widerstände gestoßen. Als Jugendlicher hatte er mit dem Schwimmen begonnen. Sein Vater fuhr mit ihm ans Meer, schubste ihn ins Wasser. Später wurde Suskewitsch nicht in die Schwimmhalle gelassen, die Bademeister wollten ihn ins Krankenhaus schicken. Ein Sinnbild für die Ausgrenzung behinderter Menschen in der Sowjetunion. Doch Suskewitsch blieb hartnäckig, wurde sowjetischer Meister im Paraschwimmen.

Später als Politiker und Funktionär warb er in ukrainischen Schulen und Krankenhäusern für den Sport von behinderten Menschen. Er sammelte Geld für barrierefreie Sportanlagen, doch der Krieg warf ihn um Jahre wieder zurück. Ihr Sportzentrum in Yevpatoria auf der Krim mussten die ukrainischen Parasportler nach dem russischen Einmarsch dort aufgeben. Es sind Erfahrungen, die Waleri Suskewitsch geprägt haben. Auf der Pressekonferenz in Peking sagte er: »Es gibt im Moment zwei Fronten. Die eine ist in der Ukraine für unsere Soldaten. Und die andere verläuft hier in Peking.«

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