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- Erneuerbare Energien und Ukrainekrieg
Wann, wenn nicht jetzt?
Clara S. Thompson plädiert für einen sofortigen Importstopp von russischem Erdöl und Erdgas.
Der Krieg tobt in der Ukraine, Zivilisten sterben und Deutschland bezieht trotzdem weiter russisches Erdöl und Erdgas. Jeder Cent, den Deutschland dafür bezahlt, fließt in Putins Krieg und heizt nebenbei das Klima auf.
Langsam aber sicher scheint sich die Bundesregierung des Ausmaßes der Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre in punkto Energiesouveränität bewusst zu werden. Der Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 war ein überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Grünen-Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plant den Ausbau der erneuerbaren Energien als wichtigen Schwerpunkt für die nächsten Jahre ein. Selbst Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP bezeichnet die Erneuerbaren als »Freiheitsenergien« und zeigt damit, welches Potenzial dieses Framing in dieser besonderen Situation entwickeln kann.
Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es nicht trotz offensichtlich klimagerechter Lösungen weiterhin fossile Eigentore schießen würde. Im Namen der »Gewährleistung der Energiesicherheit« meldet sich nun die Kohlelobby zu Wort. Eigentlich sollten alle Ministerpräsident*innen jetzt einstimmig für Wärmepumpen- und Solardachpflicht bei Neubau und Kernsanierungen und den Bau von 3000 neuen Windkraftanlagen plädieren. Stattdessen fordern einige, wie beispielsweise Michael Kretschmer (CDU) aus Sachsen, die Aufhebung des beschlossenen Kohleausstiegs. Auch der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bleibt sturköpfig bei seiner Ablehnung von neuen Windkraftanlagen.
Die deutsche Gesellschaft hat viel zu lange geschlafen, was die überfällige Energiewende in Anbetracht der Klimakrise angeht. Sie war ebenfalls viel zu lange gutgläubig, was Putins Absichten in der Ukraine und in der westlichen Welt angeht. Dass Stimmen in der Politik für die Verlängerung der Kohlekraft in diesen Zeiten wieder laut werden, weckt erstens den Eindruck, dass deutsche Politiker*innen nicht verstanden haben, wie wichtig es für den Frieden ist, langfristig von fossilen Energien wegzukommen. Und zweitens haben sie nicht realisiert, wie es um das globale Klima zur Zeit steht. Der neueste Bericht des Weltklimarats schildert eindrücklich den schlechten Zustand. Es ist kein Zufall, dass Erdölstaaten wie Russland und Saudi-Arabien auch Diktatoren hervorbringen, die sich am Erdöl bereichern und in Nachbarstaaten Krieg führen. Und dabei werden sie oft nicht mal mit ernsthaften Sanktionen konfrontiert, da andere Länder von ihrem Erdöl abhängig sind. Um eine klimagerechte Welt im Frieden zu erreichen, braucht es eine Abkehr von fossilen Energieträgern.
Dafür haben wir jetzt eine historische Chance. Denn der Ausbau von erneuerbaren Energien ermöglicht es uns nicht nur, Putin die finanziellen Mittel für seinen Krieg zu entziehen. Es ist außerdem auch ein überfälliger Schritt in Richtung eines klimaneutralen Deutschlands. Bessere Bedingungen für den Ausbau gab es selten: Der Pull-Faktor, die Ermöglichung von nachhaltiger Energieversorgung in Einklang mit dem globalen Klima, ist so groß wie der Push-Faktor, die Unabhängigkeit von russischem Öl- und Gas. Die einzige Frage ist: wann, wenn nicht jetzt?
Russlands Wirtschaft ist einfacher aufgebaut, als viele glauben mögen: Erdöl und Erdgas machen rund 59 Prozent aller Exporte aus Russland aus. Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seines Gasbedarfs aus Russland – bei Erdöl lag der Anteil an russischem Erdöl im Jahr 2020 bei 42 Prozent. Was es jetzt braucht, um Putins Kriegsmaschine in den Ruin zu schicken, sind effektive Sanktionen wie der Stopp von Ölimporten aus Russland. Der Effekt eines unmittelbaren Importstopps von russischem Erdöl und Erdgas auf die Wirtschaft Russlands darf nicht unterschätzt werden.
Es ist traurig, dass es einen Krieg braucht, damit Deutschland das Potenzial der Erneuerbaren sieht. Aber jetzt kommen klimapolitische Ansprüche und der Wunsch nach Frieden zusammen und zeigen auf das gleiche Ziel: den Ausbau von erneuerbaren Energien. Wir haben jetzt eine historische Chance – und wir sollten sie nutzen.
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