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- Die Linke und der Ukraine-Krieg
»Die Waffen nieder« reicht nicht
Wo linke Antworten auf den Krieg ansetzen können
Wir erleben eine politische Zäsur in Deutschland, die die Handlungsbedingungen aller Akteure im kommenden Jahrzehnt maßgeblich prägen wird. Worin besteht die Zäsur? Nicht darin, dass es Krieg in Europa gibt. Den gab es bekanntlich bereits in den 1990er Jahren in Jugoslawien (bzw. seinen Nachfolgestaaten) und auch schon die letzten acht Jahre im Osten der Ukraine. Dennoch erleben wir ein 9/11-Moment, weil der politische Diskurs einer Großverschiebung unterliegt. Außenministerin Annalena Baerbock spricht im Bundestag von einer Wende der deutschen Außenpolitik »um 180 Grad« und die Ampel-Koalition hat am Sonntag unter Führung von Olaf Scholz beschlossen, dass das massive Aufrüstungsprogramm in Form des 2%-Ziels der NATO bereits dieses Jahr erfüllt und dafür eine Sonderkreditaufnahme in Höhe von 100 Milliarden Euro vorgenommen wird.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.
Es werden unangenehme Zeiten und plötzlich liegt für alle, die daran Zweifel hatten, auf der Hand, warum es eine politische Kraft im Bundestag braucht, die links von SPD und Grünen steht. Mit dem von der Ampel eingeschlagenen Kurs ändert sich die politische Konstellation im Land und auch für die Linke. Der allgemeine Wunsch nach Frieden, die Parole ‚Die Waffen nieder’ und die allgemeine Forderung zur Bekämpfung der Ursachen von Konflikten und Gewalt in der Welt können dabei konkrete Antworten auf den Konflikt nicht ersetzen. Möchte die Linke mit ihren Antworten überzeugen, kann sie nicht am konkreten Konflikt vorbeisprechen. Sie muss die Menschen davon überzeugen, dass der Umgang mit dem Konflikt bei der Linken besser aufgehoben wäre, wäre sie in der Position, das Handeln bestimmen zu können. Nach Lage der Dinge umfasst die Strategie der Bundesregierung in der aktuellen Krise Antworten in (mindestens) diesen vier Bereichen, auf die es von links konkrete Antworten braucht.
1. AufrüstungZunächst muss man die Größenordnung des beschlossenen Aufrüstungsprogramms verstehen. Es geht um 100 Milliarden als Sondervermögen und die Bekräftigung des Versprechens, zukünftig dauerhaft 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ins Militär zu stecken. Zum Vergleich: Die Corona-Sonderzahlung für Pflegekräfte hat ein Volumen von 1 Milliarde. Raul Zelik wies in einem Beitrag auf Twitter darauf hin, dass sich mit dieser Summe der Hunger auf der gesamten Welt bis 2030 abschaffen ließe und somit viel Leid verhindert werden könnte.
Das Aufrüstungsprogramm ist auch deshalb wenig überzeugend, weil es komplett wirkungslos gegenüber der gegenwärtigen oder vergleichbaren Situationen in Zukunft ist. Es ist eine Scheinlösung, an der vor allem Rüstungskonzerne verdienen. Der deutsche Militärhaushalt ist bereits jetzt der siebtgrößte der Welt. Dirk Hierschel, Chef-Ökonom bei ver.di, weist darauf hin, dass die Militärausgaben der NATO-Staaten jetzt schon mehr als 17 mal so hoch wie diejenigen Russlands sind. Und trotzdem hat dies Putin nicht von dem Angriff auf die Ukraine abgehalten.
Die finanzpolitische Konstruktion der Ampel für das Aufrüstungsprogramm ist einen näheren Blick wert. Es handelt sich bei den 100 Milliarden Sondervermögen einerseits und dem Einhalten des 2-Prozent-Ziels andererseits nicht wie zunächst von vielen angenommen, um zwei getrennte Vorgänge. Stattdessen wird das kreditfinanzierte Sondervermögen benutzt, um die Einhaltung des 2-Prozent-Ziels bereits ab diesem Jahr zu sichern. Die Summe von 100 Milliarden erklärt sich so: aktuell liegt der Bundeswehretat bei 50,3 Milliarden (seit 2014 bereits ein Aufwuchs um 55 Prozent, von 32,4 auf 50,3 Milliarden). Nimmt man das BIP 2021 als Grundlage (3.570,6 Milliarden Euro BIP) zur Berechnung des 2-Prozent-Ziels, dann hieße das, dass der Verteidigungshaushalt auf über 71,4 Milliarden anwachsen muss (dies entspräche einer Erhöhung um 41,9 Prozent zum aktuellen Niveau). Es entsteht also eine jährliche »Deckungslücke« von rund 20 Mrd. Diese soll nun, wie Scholz laut Süddeutscher Zeitung am Dienstag den völlig überrumpelten Fraktionen im Bundestag erläuterte, aus dem kreditfinanzierten Sondervermögen in den nächsten fünf Jahren gedeckt werden. Warum fünf Jahre? Das ist der Zeitraum der allgemeinen Haushaltsplanung des Bundestags. Damit sichern Scholz und Lindner ab, dass das Aufrüstungsprogramm nicht zum finanzpolitischen Problem für die Ampel wird – denn die Finanzierung des 2-Prozent-Ziels passiert gewissermaßen außer der Reihe, über Kredite, die parallel zur Schuldenbremse ermöglicht werden.
Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag müssen damit nicht zurückstehen, womit politischer Druck von der Koalition genommen wird. Doch wie wird eine solche Kreditaufnahme trotz Schuldenbremse möglich? Die Antwort ist: indem sie als gleichrangiges Ziel in die Verfassung aufgenommen werden soll. Deshalb muss auch die CDU ins Boot geholt werden. Da das Sondervermögen in fünf Jahren aufgebraucht sein wird, steht die nächste Bundesregierung ab 2027 vor dem Problem, das 2-Prozent-Ziel aus dem regulären Bundeshaushalt zu finanzieren. Damit dürfte einerseits ein wichtiges Thema für den Bundestagswahlkampf 2025 gesetzt sein, andererseits haben sich die Chancen für ein rot-rot-grünes Reformbündnis unter diesen Bedingungen deutlich reduziert. Denn auch wenn linke Ökonom*innen zurecht darauf hinweisen, dass dies kein Naturgesetz ist, so ist unter den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen und Handlungsbedingungen (Schuldenbremse) damit zu rechnen, dass dieses Aufrüstungsprogramm langfristig (ab 2027) zu Einsparungen an anderer Stelle führen wird.
Eine linke Antwort in dieser Auseinandersetzung liegt auf der Hand: Erstens keine Aufrüstung und zweitens muss die Schuldenbremse fallen, nicht zuletzt um die notwendigen Klimainvestitionen (auch ohne Schattenhaushalte) zu ermöglichen.
2. WaffenlieferungenFür einige wird es bei der Frage nach Waffenlieferungen bereits komplizierter. Aus guten Gründen war es bisher Teil der deutschen Außenpolitik, keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern. Die einzige Ausnahme war eine Waffenlieferung an die Peschmerga zur Bekämpfung des IS, um dessen brutales Abschlachten eines Teils der Bevölkerung verhindern zu können. Die jetzige Situation ist nicht vergleichbar. Gregor Gysi argumentiert in seinem öffentlichen Brief an Sahra Wagenknecht und weitere Abgeordnete, dass sich Waffenlieferungen aus Deutschland aufgrund unserer Geschichte verbieten, gegen Waffenlieferungen aus anderen Nationen könne man jedoch nichts einwenden, ohne das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine in Frage zu stellen.
Das Problem, dass dem Land durch die Hochrüstung eine Perspektive wie Syrien droht, das nach über zehn Jahren Bürgerkrieg weitgehend zerstört ist, kann jedoch nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Denn die Waffenlieferungen in die Ukraine, um die es geht, werden den Krieg vielleicht verlängern, aber sicher nicht die militärische Überlegenheit Russlands brechen. Je länger gekämpft wird, desto mehr Schaden wird in der Ukraine angerichtet, desto mehr Zivilist*innen werden ihr Leben verlieren, desto mehr wird Kiew am Ende wie Grozny aussehen. Jan van Aken argumentiert, die Waffenlieferung funktionierten eher auf einer symbolischen Ebene für die westliche Öffentlichkeit, als »Politik-Ersatz«, um sich »ein gutes Gewissen zu erkaufen, statt das zu tun, was der Moskauer Elite wirklich wehtun würde«. Effektiver wären ökonomische Sanktionen, die allerdings auch für die westlichen Ökonomien einen Preis hätten. Ein Teil der klassischen Friedensbewegung lehnt auch wirtschaftliche Sanktionen ab. Diese Position kann sich auf eine Reihe von ökonomisch-politischen Argumenten berufen. Bernd Riexinger argumentiert, warum er sie dennoch für zwingend notwendig hält, wenn die LINKE in der öffentlichen Debatte eine glaubwürdige Position einnehmen möchte.
3. SanktionenVon den bisher erlassenen Sanktionen sind vor allem diejenigen gegen die russische Nationalbank von Bedeutung, weil sie eine hohe Effektivität haben. Hierbei geht es um die Sperrung der Gold- und Devisenreserven. Insgesamt besitzt Russland eine gut gefüllte Schatztruhe in Form von rund 630 Milliarden Dollar Devisenreserven, etwa die Hälfte davon liegt im Ausland, beispielsweise bei der Bundesbank. Es dürfte Teil von Putins Kalkulation gewesen sein, dass er damit ökonomische Sanktionen »aussitzen« kann. Die Reserven reichen aus, um die gesamten Importe Russlands über ein Jahr lang zu bezahlen. Die Sperrung dieser Reserven trifft den russischen Staat und die russische Wirtschaft entsprechend hart. Der Rubel ist bereits abgestürzt, die russische Notenbank musste ihren Leitzins auf einen Schlag auf 20 Prozent heraufsetzen und damit mehr als verdoppeln. Die langfristige Wirkung dieser Maßnahmen bleibt abzuwarten. Der Kurssturz bei russischen Staatsanleihen könnte laut Finanzexpert*innen für den russischen Staat auch eine günstige Gelegenheit sein, die ausgegebenen Anleihen zu den eingebrochenen Kursen in großem Stil zurückzukaufen und sich damit günstig zu entschulden – so wie es dem Kreml 1998 gelang. Sicher scheint bisher: Der Einbruch des Rubels wird die Inflation anheizen und die Situation der breiten Bevölkerung verschlechtern. Ob die damit zu erwartende steigende Unzufriedenheit sich gegen Putin richten wird, ist ungewiss. Festhalten lässt sich, dass die Sanktionen gegen die russische Nationalbank nach derzeitiger Lage effektiv, aber wenig zielgenau sind.
Demgegenüber zu priorisieren wären Sanktionen, die Putins Machtbasis (die reichen Oligarchen des Landes) treffen, statt die russische Bevölkerung. Die Sanktionspolitik der EU packte gerade hier jedoch zunächst die Samthandschuhe aus. So sorgte Italiens Präsident Draghi dafür, dass bestimmte italienische Luxusgüter wie Produkte von Gucci von den Sanktionen ausgenommen werden, die belgische Regierung sorgte dafür, dass die Diamanten-Industrie nicht Teil der Sanktionen wird.
Thomas Piketty argumentiert, wie effektive Sanktionen aussehen könnten und was ihnen derzeit im Weg steht. Piketty schlägt vor, russische Vermögen im Westen von mehr als 10 Millionen Euro einzufrieren und mit einer harten Besteuerung von jährlich 20 Prozent zu belegen (damit würde man 0,02 Prozent der russischen Bevölkerung treffen). Die Aussicht auf den Totalverlust dieser Vermögen in wenigen Jahren würde, so seine Einschätzung, für genügend politischen Druck in Russland sorgen, um Putin zu einer Kurskorrektur zu zwingen.
Auch der Ökonom Paul Krugman argumentiert in diese Richtung und schrieb in einem Kommentar in der New York Times: »Die fortgeschrittenen Demokratien haben eine weitere, mächtige Finanzwaffe gegen das Putin-Regime, wenn sie bereit sind, diese einzusetzen: Sie könnten sich den riesigen Übersee-Reichtum der russischen Oligarchen krallen, die Putin umgeben und ihm helfen, an der Macht zu bleiben«. Die Grundalge für diese Form von Sanktionen sind also die enormen Vermögen russischer Oligarchen in Europa, die in verschiedenen Formen vorliegen. Während Geldvermögen häufig auf Schweizer Konten liegen, wo sie sicher sein dürften, geht es auch um immobiles Vermögen wie etwa Luxusyachten, Luxusvillen in teuren Skigebieten oder Investments in Immobilien auf dem gesamten Kontinent. Und tatsächlich kommt etwas Bewegung in die Sache.
So lässt sich im Focus lesen: »Am Wochenende kündigten die EU, Großbritannien, Kanada und die USA eine 'transatlantische Task Force' an, um Vermögenswerte reicher Russen ermitteln und einfrieren zu können. 'Wir werden ihre Yachten, ihre Luxuswohnungen, ihr Geld (…) jagen', sagte ein Vertreter der US-Regierung.« Während Putins Yacht »Graceful« offenbar in Erwartung solcher Sanktionen bereits Mitte Februar »Hals über Kopf« die Werft in Hamburg verließ, wurde offenbar am Donnerstag in Hamburg die Yacht des russischen Multi-Milliardärs Usmanow beschlagnahmt (Kaufpreis: 600 Millionen Dollar). Auf dem Mittelmeer werden mittlerweile auffällige Schiffsbewegungen gemeldet, weil offenbar aus ganz Europa Luxusyachten Leinen los machen und in Richtung Malediven oder in andere Häfen außerhalb der EU aufbrechen. Aus Angst vor entsprechenden Sanktionen erklärte auch Roman Abramowitsch inzwischen, seinen Fußballclub FC Chelsea samt Stadion verkaufen zu wollen.
All das zeigt, dass man versucht, die bisherigen Routinen des Lifestyles in Saus und Braus für die mit Putin assoziierten Oligarchen zu unterbrechen. Andererseits gibt man ihnen offenbar genügend Zeit, um zumindest ihre mobilen Vermögen in Sicherheit zu bringen. Aber es gibt noch einen wichtigen Grund, warum dies nicht ausreicht: Diese Sanktionsversuche drohen zur spektakulären »Show« zu verkommen, wenn man über diese Lifestylegüter (Yachten, teure Autos, Luxusvillen) hinaus nicht versucht, auch an das tatsächlich wohl sehr viel bedeutsamere geschäftlich geparkte Vermögen heranzukommen. Hier geht es nicht zuletzt um Millionen und Milliarden, die auf dem gesamten Kontinent auf dem Immobilienmarkt investiert sind – häufig diskret über Briefkastenfirmen.
In »Londongrad« ist die (spekulative) Präsenz der Oligarchen auf dem Immobilienmarkt besonders ausgeprägt, aber auch in Kontinentaleuropa sind enorme Summen investiert und tragen ihren Teil zur Mietpreisspirale bei. Die Münchner Luxusimmobilie »Opern-Palais« wird über eine Offshore-Konstruktion von russischem Geld finanziert, der russische Investor Monarch baut am Berliner Alexanderplatz aktuell eines der höchsten Hochhäuser der Stadt mit der Aussicht auf eine Millionenrendite. Das ist aber ganz sicher nur die Spitze des Eisbergs. Wie groß der Anteil von russischem Kapital in deutschem Betongold und dem Mietpreiswahnsinn in deutschen Metropolen tatsächlich ist, weiß niemand so genau. Denn dafür bräuchte es mehr Transparenz auf dem Immobilienmarkt auch gerade mit Blick auf Briefkastenfirmen. Dafür gibt es in Folge einer EU-Regel eigentlich seit 1.1.2020 das so genannte Transparenzregister, in dem die wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen hinterlegt sein müssen.
Wie eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigte, verfehlt das Transparenzregister bisher jedoch seine Funktion, weil es offenbar niemanden gibt, der wirksam auf eine Einhaltung dringt und die Korrektheit der Angaben durchsetzt. Notwendig wären hier etwa hohe Geldstrafen für Falschangaben und eine öffentliche Zugänglichkeit, da es in den letzten Jahren vor allem Journalist*innen waren, die durch ihre Recherchen Missstände aufgedeckt hatten. Ob die Bundesregierung die Strukturen zur Vermögensverschleierung und Geldwäsche so reformieren wird, dass man über die plakative Beschlagnahme von Luxusyachten hinauskommt, darf bezweifelt werden – auch wenn vereinzelte Stimmen innerhalb der Koalition, wie etwa die grüne Finanzexpertin Lisa Paus, sich redlich um Fortschritte in diesem Kontext bemühen.
Insgesamt gilt: Wer wirksame und zielgenaue Sanktionen durchsetzen möchte, braucht mehr Transparenz darüber, wer in Europa zu den Superreichen gehört und welche Vermögenswerte er oder sie besitzt. Dazu müsste das gesamte etablierte und »gut geölte« System der Vermögensverschleierung, etwa durch Briefkasten- bzw. Offshore firmen aufgesprengt werden. Und genau hier liegt das Problem: Diese Transparenz wollen auch die nicht-russischen Superreichen nicht. Das ist skandalös, gehört auf die Tagesordnung der aktuellen Debatten und in jede Talkshow. Denn hier kann man die Leute nachhaltig treffen, auf die Putin hören wird, wenn ihnen die Kriegskosten, die sie selbst zahlen müssen, zu hoch werden.
4. EnergiepolitikDie Energiepolitik erhält angesichts der Situation eine neue Bedeutung. Für die Bundesregierung gilt nun: »Energiepolitik ist Sicherheitspolitik« (Habeck). Hintergrund: Die USA und EU zahlen jeden Tag 350 Millionen Dollar an Russland für importiertes Öl und 250 Millionen für importiertes Gas. Im Jahr 2020 kaufte die EU für 60 Milliarden Euro Erdöl, Gas und Kohle von Russland, wobei Deutschland der größte Abnehmer ist, wie von der FAZ vorgerechnet wird. Das sind 164 Millionen jeden Tag. Damit finanziert Putin den Krieg. Die Abhängigkeit von fossiler Energie führt zu politischen Problemen, was im Grunde genommen keine neue Sache ist, sondern man auch mit Blick auf Saudi-Arabien schon kennt. Die Bundesregierung hat diese Achillesferse mit Blick auf Russland erkannt. Ihr Lösungsversuch scheint aber eher von einem bunten Blumenstrauß von Lobbyinteressen geprägt zu sein. Es zeichnet sich ab, dass Engergiepolitik eben nicht deckungsgleich mit Klimapolitik ist.
Statt dem russischen Erdgas, möchte man nun auf Fracking-Gas (LNG) aus den USA setzen, das ganz erhebliche Umweltprobleme mit sich bringt. Die Neuorientierung auf LNG-Gas wird zur Lösung der aktuellen Krise nicht viel beitragen, das LNG-Terminal in Stade etwa ist laut Betreiber auch frühestens 2026 fertig.
Außerdem möchte die Bundesregierung, dass Deutschland seinen Strom nun doch bereits 2035 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bezieht, was vorher als nicht realistisch eingestuft wurde. Gleichzeitig soll der bisher für 2030 angestrebte Kohleausstieg nach hinten geschoben werden. Es hat seine eigene Ironie, dass diese Option von Anna-Lena-Baerbock an dem Tag ins Spiel gebracht wird, an dem der IPCC seinen neuesten Bericht vorstellt und nochmal eindringlich auf die Gefahren des aktuellen Kurses (geschweige denn einer Verschlechterung) hinweist. Der Grünen Führung ist angesichts der Lage offenbar der Kompass abhandengekommen und es bleibt abzuwarten, wie sich die Partei in Gänze sortiert. Es könnte sein, dass sie bereits mit den jetzigen Beschlüssen in Widerspruch zu einem Teil ihrer gesellschaftlichen Basis geraten. Während Anna-Lena Baerbock eine Verlängerung des Kohle-Ausstiegs als »Preis für die Solidarität mit der Ukraine« bezeichnet, fordert Luisa Neubauers: »eine Antwort auf den Krieg muss ein radikaler Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas sein.« Auch die neue Grünen-Chefin Ricarda-Lang stellte sich gegen diese Pläne und stellte klar: »Wenn wir den Kohleausstieg 2030 aufgeben, geben wir das Pariser Klimaabkommen auf.«
Die Linke hat mit FFF einen wichtigen Bündnispartner, um dem lobbygetriebenen Aufwärmen von umweltschädlichen Technologien eine Absage zu erteilen und eine konsequente Priorisierung der erneuerbaren Energien einzufordern. Mit Blick auf die Kostenverteilung im Rahmen der aktuellen Energiekrise ist es notwendig, die Grundbedarfe für Verbraucher*innen zur Not auch mit staatlichen Preisdeckeln sicherzustellen (wie bereits in Frankreich umgesetzt und auch vom Sozialverband VdK oder der Linksfraktion für Deutschland gefordert und jüngst mit Blick auf den Gaspreis etwa vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung durchgerechnet).
Insgesamt bietet die aktuelle Situation im Bereich der Klima-Transformation die Chance, einen konsequenten Umbau der Gesellschaft zu forcieren. Es dürfte schwer zu argumentieren sein, warum man die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren, jene von z.B. saudi-arabischen Öl (erinnert sei an den völkerrechtswidrigen Krieg im Jemen), aber beibehalten und nicht alle notwendigen Mittel in einen schnellen Ausbau des ÖPNV stecken sollte. Denn die Gigantomanie des aufrüstungspolitischen »Whatever-it-takes« schafft gehörige Legitimationsprobleme für die vermeintliche Nicht-Finanzierbarkeit der notwendigen Umbaumaßnahmen, um die Pariser Klimaziele irgendwie noch einzuhalten.
Den Kopf nicht verlierenPutins Angriffskrieg führt zu einer Zeitenwende, viel spricht dafür, dass Europa gerade sein 9/11 erlebt. In dieser Situation wird es schwierig werden für linke Antworten, denn der Diskurskorridor des Sag- und Diskutierbaren wird kleiner werden. Ein Gefühl dafür gibt der in den letzten Tagen immer wieder in den ARD-Brennpunkten interviewte Professor der Bundeswehrhochschule, Carlo Masala, der bei Markus Lanz einen »mentalen Wandel« einfordert (ab Minute 27:30). Eine der Aufgaben wird sein, überhaupt gesellschaftliche Debatten außerhalb der zugespitzten Konfliktdynamik möglich zu halten und sich nicht von der militärischen Logik auffressen zu lassen. Diese Herausforderung hat Elsa Koester skizziert. Es gibt wirklich keinen Grund für Optimismus. Zu hoffen bleibt, dass sich die Absage der herrschenden Eliten an eine vermeintliche Nicht-Finanzierbarkeit von Strukturveränderungen, die angesichts der gesellschaftlichen Krisen angemessen wären, durch das aktuelle Milliarden-Paket nachhaltig blamiert hat.
Die Linke muss sich auf die neue Konstellation einstellen. Die sehr breit geteilte Ablehnung der Aufrüstung kann eine neue Einheit schaffen. Sie bietet die Chance für eine Neuerfindung der Linken für eine neue Zeit – ohne ‚Putin-Versteher’ und ohne einen durch Geopolitik verstellten Blick für konkrete Konflikte, aber mit einem funktionierenden Kompass für Klimaschutz und Menschenrechte, die Eigentumsfrage und mit einem konsequenten Kurs gegen Aufrüstung und für eine nachhaltige Friedenspolitik. Dafür entsteht im politischen Feld aktuell ein neuer Bedarf, der von keiner anderen im Bundestag vertretenen Partei gedeckt wird.
Für wichtige Anregungen in diesem Text danke ich Benjamin Opratko und Fabian Wisotzky.
Moritz Warnke ist Referent für Soziale Infrastrukturen und verbindende Klassenpolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift LuXemburg Online.
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