Wie Russlands Schatz verschwand

Im Konflikt um die Ukraine demonstriert der Westen die Macht seines Finanzsystems – auch in Richtung China

Rubel gibt es, Devisen werden knapp: Kunden an Geldautomaten der größten russischen Bank Sberbank in Moskau
Rubel gibt es, Devisen werden knapp: Kunden an Geldautomaten der größten russischen Bank Sberbank in Moskau

Der Westen hat auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine mit Wirtschaftssanktionen reagiert, wie es sie gegen ein so großes Land noch nicht gegeben hat. »Wir werden den Kollaps der russischen Wirtschaft provozieren«, versprach Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Als zentrale Waffe dient den Nato-Staaten dabei das globale Finanzsystem: Russland erhält kaum noch Kredit in Devisen, das Land wird vom grenzüberschreitenden Zahlungssystem teilweise abgeschnitten und sein Auslandsvermögen konfisziert. Betroffen davon ist auch die russische Zentralbank, die darüber den Zugriff auf ihren Staatsschatz verliert. Die Episode zeigt, worauf die Macht des Westens ökonomisch beruht, nämlich auf seinen Weltwährungen Dollar, Euro und Pfund.

Le Maire sprach diese Woche von einem »totalen ökonomischen und finanziellen Krieg gegen Russland«, und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, alle Maßnahmen zusammengenommen würden »Russland ruinieren«. Derzeit scheint es, als könne das gelingen. Der Kurs des Rubel ist abgestürzt, Moskaus Börse ist geschlossen. Vor den Geldautomaten bilden sich lange Schlangen, in einigen Regionen ist von Bank-runs die Rede. Importgüter werden knapp und es wird mit einem drastischen Anziehen der Inflation gerechnet. »Nachhaltige negative Schocks« erwartet das Internationale Bankeninstitut IIF. Für die Ökonomien des Westens besteht laut Experten zunächst keine Gefahr – schließlich macht Russland nur 1,2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aus und bezieht nur knapp drei Prozent der gesamten Exporte der Eurozone – der Wert für die USA liegt noch deutlich niedriger.

Bei den Sanktionen machen sich Europa und die USA zu Nutze, dass die Welt angewiesen ist auf ihre Währungen – vor allem Dollar und auch Euro. Denn nur sie gelten global als verlässliches, gültiges Geld. In ihnen wird grenzüberschreitend gehandelt, gezahlt, geliehen und gespart. So stehen Dollar und Euro laut Daten der Europäischen Zentralbank für über 80 Prozent der internationalen Zahlungen und Kredite, und sie machen 80 Prozent der Devisenreserven aus, die die Zentralbanken der Welt als Schatz halten. Diesen Schatz brauchen alle Länder. Denn während Dollar und Euro – und in geringerem Maße Yen, Pfund und Chinas Renminbi – unmittelbar als Geld anerkannt sind, hängt die Gültigkeit aller anderen Währungen wesentlich davon ab, inwiefern sie in die Weltwährungen umtauschbar sind.

Auch Russland hängt am Dollar- und Euro-Tropf. Im Land selbst wird mit Rubel gezahlt. Russlands Im- und Export dagegen wurde zuletzt zu 55 Prozent in Euro und zu 30 Prozent in Dollar abgewickelt, so das IIF. Wenn ein russisches Unternehmen Güter im Ausland erwerben will, muss es seine Rubel in Dollar tauschen. Und auch die Deviseneinnahmen aus dem Öl- und Gasexport werden umgehend in harter Währung angelegt – meist in der Form, dass sie als Dollar- oder Euro-Kredite an den Westen zurückverliehen werden: Recycling der Petrodollars, heißt dieses Verfahren. Die Devisenreserven der Zentralbank in Moskau bestehen zum größten Teil aus Dollar und Euro, und Unternehmen des Landes wie auch die Regierung nutzen die westlichen Finanzmärkte, um sich mit diesen Geldern zu versorgen.

Der dominierende Status ihrer Währungen macht die EU, Großbritannien und die USA zu den Zentren des Finanzkapitals, bei ihnen finden sich die großen Banken und die Institutionen, die den internationalen Zahlungsverkehr abwickeln. Dies wird nun gegen Russland eingesetzt. Als erstes wurde es westlichen Banken zum Großteil untersagt, Kredite an russische Adressen zu vergeben oder mit den Schuldscheinen des Landes zu handeln. Der Kreditstopp betrifft auch Privatpersonen, die Karten wie Mastercard nicht länger nutzen können.

Als zweiter Schritt wurden 70 Prozent der russischen Banken vom System Swift abgekoppelt, das für die Verarbeitung grenzüberschreitender Transaktionen zwischen Banken unerlässlich ist. Damit können russische Banken kaum noch Geld ins Ausland überweisen oder von dort empfangen – der Öl- und Gashandel ist bislang allerdings davon ausgenommen. Die europäische Tochter der größten russischen Bank Sberbank hat diese Woche wegen Geldabflüssen den Betrieb eingestellt, die Europa-Tochter der zweitgrößten russischen Bank VTB soll kurz davor stehen.

Die Abkopplung von Swift galt lange als »nukleare Option«, um Russland in die Knie zu zwingen. Nun hat der Westen zusätzlich ein noch wirksameres Mittel eingesetzt: den Asset Freeze, das Einfrieren russischer Auslandskonten und -vermögen. Seine Wirkung entfaltet dieses Mittel vor allem, weil im Gegensatz zu früheren Sanktionen nicht nur russische Unternehmen, Banken und Oligarchen davon betroffen sind, sondern die zentrale Finanzinstitution des Landes: die Zentralbank, der Anker des Finanzsystems.

Im Vorfeld des Konflikts hatten Experten darauf hingewiesen, Moskau sei auf Finanzsanktionen des Westens vorbereitet, denn es habe riesige Devisenreserven über umgerechnet 630 Milliarden Dollar angehäuft. Dieser Schatz galt als »finanzielle Rüstung« Russlands. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass die russische Zentralbank kaum über diesen Schatz verfügt. Denn die Milliarden lagerten nicht als Dollar- und Euro-Scheine in ihren Tresoren. Stattdessen waren sie angelegt – vor allem im Westen, also bei Banken in Europa und den USA. Und ihnen wurde in dieser Woche das Geschäft mit der russischen Zentralbank wie auch mit den russischen Staatsfonds und dem Finanzministerium weitgehend untersagt, ausgenommen Ölgeschäfte.

»Ausländische Devisenreserven sind kein ›objektiver Fakt‹«, erklärt Finanzexperte Matt Levine auf dem Nachrichtenportal Bloomberg. Sie sind nur Guthaben, also elektronische Einträge bei Finanzinstitutionen wie Geschäftsbanken, Zentralbanken oder Wertpapierhändlern. In normalen Zeiten lassen sie sich vom Eigentümer zu Geld machen, also abheben oder überweisen. Aber »wenn diese Leute dich von der Liste streichen, kannst du dein Vermögen nicht mehr nutzen. Russlands Devisenschatz wird damit nutzlos.« Vermögen, so Levine, sind also Verhältnisse – Schuldverhältnisse. »Und wenn deine Verhältnisse sich sehr verschlechtern, ist das Geld so gut wie weg.«

Ein Teil des russischen Schatzes, etwa 130 Milliarden Dollar, besteht zwar aus Goldreserven, die Russland als Vorsichtsmaßnahme im Land lagert. Das aber macht es sehr schwierig, sie in großen Mengen zu verkaufen und zu transportieren. Üblicherweise halten Zentralbanken ihr Gold in den Finanzzentren London und New York, weil sie es dadurch leicht zu Geld machen können: Beim Verkauf wechseln Barren einfach den Eigentümer und müssen nicht transportiert werden.

Seiner Reserven weitgehend verlustig gegangen, ist der russische Staat schlechter in der Lage, seine Wirtschaft mit Devisen zu versorgen oder den Absturz des Rubel zu bremsen. Denn für letzteres müsste er Dollar oder Euro gegen Rubel verkaufen, so wie in der Finanzkrise 2008. Dies ist nun nicht mehr möglich. »Mit diesem Wissen dürften Spekulanten versuchen, den Rubel anzugreifen und ihn zu ›brechen‹«, prophezeit Smith. Um ihre Währung zu stabilisieren, hat die Zentralbank daher ihre Leitzinsen von 9,5 auf 20 Prozent erhöht, was der russischen Wirtschaft weiteren Schaden zufügt. Daneben haben die US-Ratingagenturen S&P und Moody’s ihr Rating der Kreditwürdigkeit Russlands diese Woche auf »Schrott«-Status gesenkt. Grund dafür, so S&P am Freitag, sei »die Auferlegung von Maßnahmen, die unserer Meinung nach das Risiko eines Zahlungsausfalls erheblich erhöhen werden«.

Laut Bankeninstitut IIF könnte der Westen die Sanktionsschraube noch weiter drehen, »sollte die geopolitische Situation es nötig machen«. Mit Russland bekommt damit kein hochverschuldeter Staat die Finanzmacht des Westens zu spüren. Sondern ein Gläubigerstaat. Als Geldgeber des Westens bekommt es zu spüren, dass sein Reichtum lediglich aus Rechtstiteln auf Zahlung besteht – aus Guthaben und Schuldscheinen in Dollar und Euro. Diese Rechtstitel aber sind nur so gut sind wie die Macht, das Recht auch durchzusetzen. Diese Botschaft dürfte in anderen Ländern mit hohen Devisenreserven gehört werden: den arabischen Golfstaaten, aber vor allem in China. »Es ist jetzt deutlich, dass der Westen Chinas Devisenschatz über 3300 Milliarden Dollar blockieren kann, sollte es zu einem Krieg um Taiwan kommen«, notiert der britische »Economist«.

Mit der Zunahme finanzieller Sanktionen riskiere der Westen allerdings, dass sich immer mehr Länder darum bemühen werden, sich vom seinem Finanzsystem abzukoppeln. Mittel dazu wären der Aufbau des chinesischen Renminbi als Weltwährung und Alternative zu Dollar und Euro. Das würde die Macht des Westens unterminieren, ebenso wie die vermehrte Nutzung digitaler Gelder oder Kryptowährungen wie Bitcoin, für deren Fluss kein Bankensystem benötigt wird. »Nach seinem Sinkflug kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs ist der Bitcoin in dieser Woche stark gestiegen«, meldet die DZ Bank.

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