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Was wäre, wenn?
Gedanken über eine andere Gesundheitsversorgung
In der Pandemie wurde Gesundheit scheinbar zum alles bestimmenden Faktor. Doch die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind kein bisschen besser geworden, mehr Geld gab es auch nicht und die Patente für eine gerechte globale Impfstoffverteilung wurden auch nicht ausgesetzt. Was wäre eigentlich, wenn die Gesundheitsversorgung nicht einer kapitalistischen Logik untergeordnet wäre? Vier feministische Utopien.
Das Unmögliche für möglich halten
Wie schreibt man einen utopischen Text in Zeiten der Angst und Aufrüstung, in denen ein Schreckensszenario im Kopf schneller entsteht als die Skizze einer besseren Welt? In Zeiten der Krise zeigt sich aber auch, dass das für unmöglich Gehaltene oft schnell zur Wirklichkeit werden kann. In der Pandemie wird der internationale Reiseverkehr quasi stillgelegt, im Krieg macht Deutschland 100 Milliarden für Militärausgaben locker, Flüchtlinge werden plötzlich ganz selbstverständlich und unbürokratisch aufgenommen. Auf sehr schmerzliche Weise wird deutlich: Eine bessere Welt wäre möglich - wenn denn der Druck und der politische Willen da wären. Es könnte Geld bereitgestellt werden, um die Bedürfnisse aller Menschen zu stillen und dafür zu sorgen, dass eine Gesundheitsversorgung für alle gewährleistet ist. Medikamente könnten auch entwickelt werden, wenn eine Krankheit selten ist und nur wenige Menschen betrifft. Stellen Sie sich nur einmal vor, die Rezepte für Medikamente und Impfungen stünden allen qualifizierten Hersteller*innen zur Verfügung. Vielleicht wäre die Pandemie schon vorbei. Wir denken Gesundheitsversorgung oft so, dass es darum geht, Krankheiten zu verhindern (Prävention) oder zu heilen (Therapie). Derweil sterben Menschen weltweit, einfach weil es in der kapitalistischen Logik niemandem nützt, sie am Leben zu erhalten. Eine globale und feministische Gesundheitspolitik müsste all das mitbedenken. Auch die Verhinderung von Kriegen, Abrüstung - auch an den europäischen Außengrenzen - sind eine Form der Gesundheitsversorgung. Ein Anfang wäre es, im Kleinen dafür zu sorgen, das Wohlergehen eines Menschen nicht höher schätzen als das eines anderen. uwa
Unsichtbare Schmerzen
»Mir tut der Rücken weh.« Drei Jahre lang gibt die Freundin auf »Wie geht es dir?« Auskunft über körperliche Symptome, die ich auch kenne. Müdigkeit, Erschöpfung, Kopfschmerzen. Aber auch wenn sie viel lacht und über zehn Jahre jünger ist als ich - sie hat sie eigentlich immer, wenn wir uns treffen. Ich nur manchmal, ein wenig, wenn ich nicht genug schlafe, zu lange arbeite - nicht so mit den wirklich ständig müden Augen und den tiefen Ringen darunter, nicht mit der starken Blässe und den die Schläfen massierenden Fingern. »Es wird besser werden«, sagt sie. Oft. »Ich gehe zum Arzt.« Schmerzmittel, dann Antidepressiva. Sie zweifelt selbst, ob es das Richtige ist. Ich merke nicht, dass sie eigentlich viel besser und schon längst weiß, dass es damit nicht getan ist. Sie nimmt die Tavor dann nur einmal, weil es sie noch müder macht. Ich weiß nicht, zu welchem Arzt sie geht, frage nicht. Treffe ich sie zusammen mit ihrem Mann, ist sie angespannt. Aber es gibt ihre gemeinsame Art von Ironie und Humor, die für mich alles nach enger, wenn auch unter den Bedingungen von Fluchterfahrung und Alltagsbewältigung, Kinderbetreuung, Arbeitssuche, Pandemie selten leichten Verbindung aussehen lässt. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Innerhalb weniger Wochen bricht sich Bahn, was lange beherrscht wurde: Tränen, Wut, Empörung. Es folgen Trennung, Anzeige, Wegweisung. »Ich habe ein Leben«, sagt sie. Es ist der sprichwörtliche Vorhang, der endlich aufgezogen wird. Den die Frau selbst aufzieht, die häusliche Gewalt erfährt und sexuellen Missbrauch. Weil sie ihre Kinder schützen und nicht mehr hinnehmen will, dass ihre Erfahrungen kein Ende nehmen - worauf sie all die Zeit gehofft hatte. Ich habe all die Jahre nicht die richtigen Fragen gestellt. Aus falscher Diskretion. Der Arzt wohl auch nicht. Es wird mir nicht noch einmal passieren. Zusammen gehen wir zu Beratungen, suchen eine neue Ärztin, eine Anwältin. Es sind noch viele Vorhänge aufzuziehen. In einer utopischen Welt wäre das alles nicht so. clr
In Würde altern
Ich frage mich öfter, was in unserer Gesellschaft wohl schiefgelaufen ist, dass wir alte Menschen in Altersheime stecken, wo sie dann so lange vor sich hingammeln, bis sie eine grausame Krankheit irgendwann aus dem Leben zieht. Das ist vielleicht eine makabere und nicht sehr differenzierte Sicht auf die Dinge, aber eines ist klar: In Würde zu altern ist in Deutschland nicht gerade einfach. Das Problem daran ist oft, dass kranke Menschen zu pflegen, Arbeit ist. Doch diese Form von Arbeit erwirtschaftet keinen Profit, im Gegenteil, sie kostet Geld. Einen Menschen zu pflegen heißt, dass einer anderen Arbeit, Lohnarbeit, oft nur bedingt nachgegangen werden kann. Deshalb bedeutet das für viele pflegende Angehörige - oft weiblich, alt und arm - finanzielle Einbußen. Was aber wäre, wenn der Staat eingreifen und auch seine ältere und schwächere Bevölkerung als vollwertigen Teil der Gesellschaft sehen würde, die es zu schützen gilt? Aus Respekt vor dem Alter, Respekt vor dem Leben. Wenn sozialpolitisch Kosten aufgefangen würden, die a) den zu Pflegenden eine angebrachte Betreuung garantieren und b) die pflegenden Angehörigen nicht in den finanziellen Ruin stürzen? Ja, es geht mal wieder um Umverteilung, so ist es halt. Wenn 100 Milliarden Euro, die wir offenbar haben, in den jahrelang unterfinanzierten Sektor der Pflegearbeit gesteckt werden würden?
Was wäre, wenn das Sorgen für andere Menschen, sowie auch das Gebären von Kindern, als Akt der Aufrechterhaltung der Gesellschaft gesehen werden und entsprechend auch honoriert würden? Es wäre eine gerechtere Welt, eine sanftere, eine glitzerndere Welt, in der es sich zu leben und zu sterben lohnt. Denn sterben werden wir alle, aber hoffentlich in Würde. jtr
Anders krank sein
Auch in einer besseren Gesellschaft wird es Krankheit und Beeinträchtigung geben, wir wollen ja Kommunismus, kein Paradies. Wenn die linken Bewegungen, die das hoffentlich erkämpfen, antiableistisch und antisexistisch sind, wird aber der gesellschaftliche Umgang mit Schwäche, Krankheit und Einschränkungen anders sein.
Vielleicht gibt es dann bessere Behandlungsmöglichkeiten, weil die Forschung anders funktionieren wird, eben nicht mehr vor allem daran ausgerichtet, womit Pharmafirmen am meisten Geld verdienen können. Hoffentlich wären dann die Chancen, lebensgefährliche Krankheiten wie Krebs zu überleben, global gerechter verteilt - ohne die gesetzliche Krankenversicherung hätte ich mir Chemotherapie, Operation und Bestrahlung bei meiner Brustkrebserkrankung im vergangenen Jahr vielleicht nicht leisten können.
Eine Krebsdiagnose ist ziemlich schockierendend und man kann sich wohl kaum auf so etwas vorbereiten. Wenn der Umgang mit Krankheit, Beeinträchtigung und Tod normaler wäre, könnte man aber vielleicht besser damit umgehen. Die bestehenden Unterstützungskonzepte fokussieren vor allem auf die Kernfamilie, Freund*innenschaften oder andere Beziehungskonstruktionen kommen nicht vor. In meiner Utopie wissen zukünftige Generationen nur noch aus Geschichts- und Märchenbüchern, was eine Kernfamilie war.
In der Leistungsgesellschaft gilt es als normal, sich von einer Krankheit so wenig wie möglich anmerken zu lassen: Perücken gegen den Haarausfall, Schminkkurse gegen Blässe und Augenringe, Brustprothesen für das Dekolleté. Dabei ist diese Krankheitszeit sowieso schon anstrengend genug. Wie viel besser wäre es, wenn nicht die meisten Betroffenen aus Angst vor blöden Bemerkungen und schiefen Blicken auch noch so viel Energie dafür aufbringen müssten, möglichst normal zu erscheinen? kia
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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