- Wirtschaft und Umwelt
- Lebensmittelpreise und Ukraine
Krieg macht Lebensmittel noch teurer
Massive Preissteigerungen für Weizen, Mais und Gerste erwartet - drohende Hungerkrisen weltweit
Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland und Belarus haben massive Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion. So warnt der Branchendienst »Agrar heute«: »Die Auswirkungen für das weltweite Angebot bei Weizen, Mais und Gerste sind angesichts des Gewichts beider Länder auf diesen Märkten erheblich.« Denn auf den fruchtbaren Schwarzerdeböden der Ukraine und Russlands wird mehr als ein Drittel der Welternte an Weizen eingefahren. Sollte die Ukraine in diesem Jahr als Exporteur ausfallen, drohen weltweit Versorgungsengpässe.
Für Deutschland bestünde laut Deutschem Bauernverband (DBV) dann allerdings die Möglichkeit, Sommerweizen anzubauen. »Dieser liegt jedoch im Ertrag deutlich unter dem des Winterweizens und hat auch hohe Anforderungen an den Standort. Insofern ist eine Ausweitung in Anbau und Ertrag nur begrenzt möglich«, räumt Johann Meierhöfer vom DBV ein.
Auch bei Sonnenblumen komme die Standortfrage noch mehr zum Tragen, da diese hohe Ansprüche an die Temperatur haben. Aber hier sei eine Ausweitung des bisherigen Anbauumfangs möglich. »Bei beiden Fruchtarten kann es aber zu Problemen bei der Saatgutverfügbarkeit kommen, denn dieses ist der durchschnittlichen Nachfrage angepasst. Ein weiteres Problem bei Sonnenblumen könnte die Verarbeitungskapazität sein«, erläutert Meierhöfer.
Auf jeden Fall werden die Preise etwa für Weizen massiv steigen. Bereits jetzt kostet eine Tonne Weizen an den Börsen fast 360 Euro und damit ein Drittel mehr als noch vor einem Monat. Deutschland produziert zwar mehr Weizen, als es verbraucht. Doch wenn die Preise weltweit steigen, ziehen diese auch in Deutschland an. Fakt ist: Derzeit müssten in der Ukraine die Vorbereitungen für die Aussaat laufen, doch der Krieg macht das nahezu unmöglich. So ist der für Traktoren so wichtige Diesel in der Ukraine streng rationiert und der Armee vorbehalten.
Doch der deutschen Lebensmittelindustrie machen nicht nur die steigenden Preise für Weizen Sorgen. Ein viel größeres Problem sind die explodierenden Energiepreise, heißt es von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Seit 2021 sei eine ausgeprägte Preisdynamik bei Strom, Gas, Heizöl sowie anderen fossilen Energieträgern zu verzeichnen, die allein im vergangenen Jahr die Energiepreise um 25 Prozent in die Höhe getrieben habe. »Der fortgesetzte Anstieg der Energiepreise belastet die Ertragssituation unserer Branche in dramatischer Weise«, so der stellvertretende BVE-Hauptgeschäftsführer Peter Feller. Der Krieg in der Ukraine macht Öl und Gas noch teurer und wahrscheinlich bald auch knapper.
Auch die Bauern leiden unter den hohen Energiepreisen. Erschwerend hinzu kommt, dass die Preise für Düngemittel durch die Decke schießen, auch weil Russland einer der größten Exporteure von Düngemitteln ist. Bereits vor dem Einmarsch in die Ukraine explodierten die Preise, weil Russland Anfang Februar überraschend ein zweimonatiges Ausfuhrverbot für Ammoniumnitrat beschlossen hatte. Das Salz gilt neben Harnstoff als wichtigster Dünger weltweit. Wie und ob die Ausfälle langfristig kompensiert werden können, ist noch offen.
Der DBV macht zwar deutlich, dass die hohen Düngerpreise natürlich eine Belastung für die Ackerbaubetriebe seien. »Aber solange die Erzeugerpreise auch auf einem hohen Niveau bleiben, hält sich das die Waage. Gleichzeitig muss aber betont werden, dass die Ackerbauern eben genau aus diesem Grund keine Profiteure der Situation sind«, so Meierhöfer.
Auch Kali-Dünger ist deutlich teurer geworden. Hier machen sich die Sanktionen gegen Belarus bemerkbar. Der Staatskonzern Belruskali ist einer der größten Kaliexporteure der Welt und produziert 15 Prozent des weltweiten Bedarfs an Kalidünger. Die Krise verschärft sich, weil China ein temporäres Exportverbot für Düngemittel verhängt hat, das vorläufig bis Mai dieses Jahres gelten soll. Da Erdgas für die Produktion von stickstoffhaltigem Dünger unerlässlich ist, werden sich die steigenden Preise für die Bauern zusätzlich bemerkbar machen. Ganz zu schweigen von den Dieselpreisen, die innerhalb eines Jahres um mehr als 50 Prozent zugelegt haben. Die Landwirte müssen also versuchen, die gestiegenen Produktionskosten weiterzugeben.
Deshalb werden die Lebensmittelpreise also weiter kräftig anziehen. Leidtragende sind vor allem jene, die wenig haben: Hartz-IV-Bezieher und Geringverdienende. Dabei stellte der Paritätische Gesamtverband bereits 2020 in einer Studie fest, dass einem Paar mit zwei Kindern in Hartz-IV-Bezug monatlich 123 Euro für Lebensmittel fehlten, um sich gesund ernähren zu können. Bei einem allein lebenden Mann lag die Differenz schon damals bei 45 Euro.
In der Coronakrise legten die Verbraucherpreise für Lebensmittel aber schon um fast 10 Prozent zu. »Ich muss pro Monat ungefähr 30 Euro mehr für Essen ausgeben als noch vor einem Jahr«, so ein Hartz-IV-Bezieher gegenüber »nd«. Doch die ohnehin zu knapp kalkulierten Regelsätze stiegen in diesem Jahr lediglich um 3 Euro.
In der Ukraine selbst spitzt sich nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) die Versorgungslage der Zivilbevölkerung mittlerweile dramatisch zu. »Gerade aus Kiew und Charkiw erreichen uns Berichte, dass Nahrungsmittel ausgehen und Trinkwasser knapp wird«, sagte der Direktor des WFP in Deutschland, Martin Frick, am Wochenende. Die Priorität der UN-Organisation sei es jetzt, Versorgungswege nach Kiew und in die Epizentren des Konflikts zu etablieren, bevor die Kämpfe weiter eskalieren. Das WFP baue seine Präsenz in der ganzen Region aus, aber es sei ein Wettlauf gegen die Zeit.
Ein internationales Team sei bereits in der Ukraine und den Nachbarstaaten, um Hilfe zu koordinieren. Lkw mit 400 Tonnen Nahrungsmitteln seien aus der Türkei unterwegs. »Kampfhandlungen und Fluchtbewegungen im ganzen Land machen die Lage aber auch für Helferinnen und Helfer unübersichtlich«, so Frick.
Nach Einschätzung des WFP droht wegen des Ukraine-Krieges auch eine Verschärfung von Hungerkrisen weltweit. In einem Jahr, in dem die Welt bereits mit einem »noch nie dagewesenen Ausmaß an Hunger konfrontiert« sei, sei es besonders tragisch, wenn der Hunger nun ausgerechnet Europas Kornkammer erreiche, erklärte WFP-Exekutivdirektor David Beasley. Mit Agenturen
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