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  • »Die Lage« am Hans-Otto-Theater Potsdam

Systemsprenger im Luxussegment

Mittelschicht am Rande der Hysterie: Am Hans-Otto-Theater Potsdam wird Thomas Melles »Die Lage« gezeigt

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 7 Min.
In »Die Lage« am Potsdamer Hans-Otto-Theater dreht sich alles um die Maklerin, die als einzige die Wünsche zu erfüllen vermag.
In »Die Lage« am Potsdamer Hans-Otto-Theater dreht sich alles um die Maklerin, die als einzige die Wünsche zu erfüllen vermag.

Einst konnte man von den Mühen der Ebene hören. Das war, als man noch mit dem real existierenden Sozialismus rechnen musste. Kein Gebirgsmassiv liegt zwischen uns und der lichten Zukunft!, so die krampfhaft aufrechterhaltene Suggestion. Wer dabei war, weiß jedoch, dass eine Ebene sich schier endlos weiten kann. Vergebliche Mühen also.

Für Wohnungen gab es in der DDR keinen Markt, sondern Berechtigungsscheine vom Wohnungsamt. Das war wie eine Lotterie. Was man zugeteilt bekam, war immer billig, oft auch eine Reminiszenz ans Zille-Berlin: baufälliger Hinterhof von vor 1900 mit Außentoilette. Den Makler möchte ich sehen, wie dieser das heute anpreist! Aber vermutlich würde sie im Segment »seltene Retro-Wohnung« einen Liebhaberpreis erzielen. Denn der Markt funktioniert nach eigenen Gesetzen. Natürlich auch im Osten, erst recht in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam, wo diverse Prominenz und Ministerialbürokratie um bevorzugte Lagen konkurriert.

Markt und Manipulation sind bekanntlich zwei Seiten einer Medaille. Denn womit kann man heute noch viel Geld verdienen? Mit Arbeit nicht, mit Sparen sowieso nicht, Aktien sind auch gerade schlecht: Es bleiben Drogen-, Waffen- und Immobilienhandel. Für eine Randgruppe vielleicht noch der Kunsthandel. Doch eines wird zum Rettungsanker für eine ganze Generation von ewigen Studenten und Praktikanten: Sie haben geerbt.

Das ist auch der Ausgangspunkt für Thomas Melles Stück »Die Lage« am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Uraufgeführt wurde es bereits in Stuttgart, aber natürlich würde es auch in Berlin oder Hamburg die Lage vor Ort beschreiben. Wohnen ist Luxus geworden, hat in den Großstädten das Auto als Statussymbol längst abgelöst.

Autor Thomas Melle sieht im Wohnungsmangel die zunehmende Reduktion der eigenen illusorisch gewordenen Ansprüche auf einen gerade noch bezahlbaren Schlafplatz. In Japan würden bereits »Schlaffächer« vermietet, so Melle, mehr Raum sei in Ballungsräumen unbezahlbar geworden.

Das ist die Lage: Für die einen ist hierzulande Wohnen schier unbezahlbar geworden. Denn die Durchschnittsrente bei 40 Jahren Berufstätigkeit (wer erreicht die heute noch?) liegt gerade einmal bei 1200 Euro. Mit diesem Betrag ist man in einer Großstadt auf dem freien Wohnungsmarkt jedoch an der Unterkante. Dafür bekommt man nur Durchschnittliches, wenn man es denn bekommt. Und wovon soll man jenseits der Miete noch leben? Für die anderen ist nicht das Geld das Problem, sondern die Jagd nach der jeweils gefragtesten Wohnung.

Melle lässt diejenigen beiseite, die sich schon gar keine eigene Wohnung mehr leisten können. Er blickt interessiert auf jene Mittelschicht, die sich am Rande der Hysterie befindet. Denn sie ist es, die sich vorn auf der schiefen Ebene bewegt, die Bühnenbildner Ric Schachtebeck dort aufgebaut hat. Alle wollen sie mit aller Kraft nach oben und rutschen doch immer wieder ab. Sisyphus mit eingebauter Bewegungsautomatik. Dieses Bild wird hier beständig variiert. Falsch ist das nicht, aber auch keineswegs tief lotend, eher Oberfläche ins Groteske wendend.

Sechs Personen suchen eine Wohnung, versammeln sich zur Besichtigung, warten auf die Maklerin, die sich verspätet. Ein Kollektiv serviler Bittsteller, die sich doch als gelernte Individualisten sofort belauern und selbst in eine bevorzugte Lage zu bringen versuchen. Was suchen diese Wölfe im Schafspelz hier eigentlich? Doch wohl mehr als einen Schlafplatz, denn den haben sie natürlich längst mehrfach. Sie wollen sich »verbessern«, aber was heißt das? Ein Blick ins etymologische Wörterbuch verrät, dass Wohnen ursprünglich etwas mit Wonne zu tun hat, mit einem Heimischwerden in der Welt durch Gestaltung des eigenen Nahumfelds. Die eigene Wohnung als Ort, an dem sich Ich und Welt auf sinnlich erfahrbare Weise verbinden. Eine Utopie, herabgesunken zur käuflichen Ambiente-Fantasie.

Was hier auf der Bühne des Hans-Otto-Theaters in der Regie von Elina Finkel vor sich geht, ist der entfesselte Konsum. Die angebotene Wohnung liegt auf dem Wühltisch für Besserverdienende. Dort greift man nach allem, was man kriegen kann, damit es der andere nicht kriegt! Man zockt, man blufft, man droht - und unterwirft sich doch immer willig der einen Gottheit über sich: der biegsamen Dompteuse, der Maklerin, die das Fitnessstudio und einen Kosmetikkurs absolviert hat wie andere eine Universität. Typus neue Elite (Franziska Melzer). Blond bis in den weißen Hosenanzug hinein, in jeder Geste machiavellistisch nach den Gesetzen der Massenkultur.

So wie mit der Illusion von Deutschlands Superstar oder dem nächsten Topmodel geschachert wird, so auch mit dem Traum von einer ganz unvergleichlichen Wohnung. Das teure Produkt adelt den Käufer!, so die Verkaufsideologie. Casting ist immer, und der schlechte Geschmack siegt ohnehin. Denn um ein Sich-Einwohnen in der Welt, die Suche um einen Platz, an dem man gut und gern lebt, geht es hier gerade nicht.

Melles Text zur Lage zielt also auf den Mittelstand. Dieser aber ist zu seiner eigenen Resterampe geworden, darum die latente Panik all derer, die in der Komfortzone groß geworden und gewohnt sind, ihr eigenes Leben zu designen. Der Anblick muss etwas hermachen! Vier Zimmer mit Terrasse und privatem Aufzug sind schon ganz präsentabel, vor allem, wenn man dafür 3000 Euro im Monat bezahlt. Wenn das nicht die Erfüllung aller Träume ist! Vielleicht eher aller Albträume, wenn man dann immer noch so schäbig wie vorher im luxussanierten Altbau sitzt. Natürlich inmitten eines »Szeneviertels«, aber in ruhiger Lage mit Sonne von Süden auch auf der Nordseite.

»Warum bin ich so unbehaust?«, stöhnt einer aus dem gehobenen Wartekollektiv, wo offenbar keiner Probleme damit hat, jeden geforderten, noch so absurd hohen Preis zu zahlen. Doch deshalb wird die Konkurrenz nicht kleiner, die Demütigungen des Castings wachsen immer weiter. »Der Bericht aus dem Schlaflabor fehlt noch«, so die Maklerin, mit Freude an Sadomasospielen. Und was machen sie sonst noch so für Geräusche, als Paar im Bett - lassen sie mal hören! Und sie bekommt zu hören.

Man kann Menschen, die von Gier nach dem Besitz von etwas beherrscht werden, das sie gar nicht brauchen, zu Dingen treiben, die kein Obdachloser mit sich machen lassen würde. Für Statussymbole würde so mancher glatt morden - so scheint es. Auch wenn es bei diesen Besichtigungen keine Toten gibt, aber fast. Da landet der Absatz des Stöckelschuhs von ihr im Auge von ihm - die heftige Inbesitznahme des Konsumenten durch den Schmerz.

»Die Lage« verbleibt auf einer klug reflektierenden Ebene, spart dabei die soziale Frage des Wohnens nicht gänzlich aus, sondern behandelt sie anhand derer, für die sie sich nicht explizit stellt. Denn noch scheint hier ausreichend Geld vorhanden. Woher kommt dies? Es drängelt sich hier die Generation der Erben, die nicht arbeiten muss, um zu konsumieren. Geld verdient man nicht, man hat es immer schon gehabt - so die Lebenseinstellung der oft grün-liberalen SUV-Fahrer, die nur ein ernstes Problem kennen: Kaufen oder mieten? Letzteres passt besser zur flexiblen Lebensform.

Ein Text allein macht noch kein Theater, auch wenn er so pointiert daherkommt wie bei Melle im Terminus der »homogenen Diversität«. Erst durch die Choreografie der Ko-Regisseurin Anja Kożik gelangt die Sprache zu den Körpern. Sie lässt die drei Paare auf rhythmische Weise miteinander verklumpen und sie dann wieder auseinanderfallen, sodass einzelne Massepartikel (Leiber) umherrollen, immer abwärts.

Die Bewegung der Körper hin zur Sprache, das versuchsweise chorische Sprechen, all das lässt diesen nur eine gute Stunde dauernden Abend zu einer ansehenswerten Symbiose von Gedanke und ästhetischer Form werden. Das Resultat ist eher eine gelungene Miniatur statt des großen Wurfs. Für einen solche hätte Thomas Melle nicht so (wenn auch höchst elegant) um den sozialen Sprengstoff des Themas herumtänzeln dürfen. Mittelstandsbürger-Neurosen allein sind nicht alles. Immerhin, eine ästhetisch überzeugende Indiziensammlung zur seelischen Obdachlosigkeit dieser Klientel ist es doch geworden, auch wenn Melle im Interview viel weiter ging: »Das System wird sich hochschrauben und kollabieren. Vorher aber kollabieren die Menschen.«

Nächste Vorstellungen: 12., 17., 24. und 25.3.

www.hansottotheater.de

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