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Militärisches T-Shirt statt schicker Anzug
Politik wird schon länger auch über soziale Medien gemacht. Der Krieg in der Ukraine hebt diese Form der Staatsführung auf ein neues Level.
Im Grunde war es der ehemalige US-Präsident Donald Trump, der das Regieren über Twitter erfunden hat. Mit Tweets teils im Zehn-Minuten-Takt hat er Pressekonferenzen als verstaubte Relikte alter Zeiten erscheinen lassen. Doch seit dem Angriff Putins auf die Ukraine hat deren Präsident Wolodymyr Selenskyj Staatsführung über Social Media noch einmal auf ein neues Level gehoben.
Auf Twitter, Facebook und Co liefern sich der ukrainische Präsident und Wladimir Putin einen Informationskrieg, eine Propagandaschlacht sondergleichen. Für viele ist Selenskyj dabei der klare Sieger. Der ehemalige Schauspieler, Komiker und Gewinner der ukrainischen Version von Let’s Dance versteht es einfach, sich zu inszenieren. In sozialen Netzwerken tritt er nahbar und authentisch auf. Mutig und kämpferisch, ein Held aus der Mitte der Bevölkerung.
Das Internet ist voller Debatten, Aufregung und Absurditäten. Jeden Donnerstag schauen wir uns die bizarrsten, lustigsten oder wichtigsten Momente im Netz an. Ob hitzige Diskussion auf Twitter oder lustiger Trend auf TikTok: In unserer Rubrik »Aus dem Netz gefischt« greifen wir es auf. Texte zum Nachlesen: dasnd.de/gefischt
So ist Selenskyj zum Beispiel Arm in Arm mit seinem Verteidigungsminister Oleksij Resnikow zu sehen. Er verschickt Selfies vor bekannten Plätzen in der Hauptstadt Kiew und tägliche Videobotschaften über die aktuelle Lage und politische Gespräche. Dabei filmt er sich auch mal selbst, wie er in seinem pompös aussehenden Büro rumläuft und vor dem Schreibtisch auf einem ledernen Sessel Platz nimmt. Eine Szenerie, die ein Staatsoberhaupt in Anzug und Krawatte vermuten lässt. Selenskyj aber zeigt sich schon länger in T-Shirt und leichter Jacke in Militärfarben.
Auf Twitter folgen dem »Captain Ukraine«, wie Selenskyj in Anlehnung an den Marvel-Helden Captain America gefeiert wird, über fünf Millionen Leute. Er selbst folgt keinem Account. Auf Instagram sind es über 15 Millionen. Seine Statements postet er meist gleich zweimal - auf Englisch und auf Ukrainisch. Videos werden mit englischen Untertiteln versehen.
Überhaupt bedient ein Großteil der Postings aus der Ukraine die Logiken sozialer Medien. Zu sehen sind viele Bilder und Videos, deren Inhalte authentisch wirken. Einige werden von dem Präsidenten geteilt, wie etwa das Video aus einer zerstörten Geburts- und Kinderklinik in Mariupol. Dazu fragt er: »Wie lange wird die Welt noch ein Komplize sein, der den Terror ignoriert?« - und ruft zu internationaler Hilfe auf.
Als zeitweise berichtet wurde, er und seine Minister seien aus dem Land geflohen, reagierte Selenskyj mit einem Video aus der Hauptstadt. »Wir sind hier. Wir sind in Kiew. Wir verteidigen die Ukraine«, heißt es darin. Auch im Interview mit der »Zeit« sagt er das, was die zahlreichen Beiträge im Netz betonen sollen: »Ich bleibe bei meinem Volk.«
Der Präsident beherrscht diese Inszenierung als Mann des Volkes wie vermutlich kein anderer zuvor. Auch deswegen dürfte der Krieg in Erinnerung bleiben. Der Autor Christian Stöcker schrieb auf Twitter, dieser Krieg werde in die Geschichte eingehen als der erste Krieg, der in kleinem, aber doch bedeutendem Maße durch soziale Medien geführt wurde. Selenskyj habe eine neue »kommunikative Realität« geschaffen und sei so innerhalb von wenigen Tagen zu einem »globalen Helden aufgestiegen«, so Stöcker im Deutschlandfunk. Der Politiker beherrsche »die große Klaviatur des Einsatzes von sozialen Medien auf der globalen Ebene«.
Nicht zuletzt deswegen ist der zuvor eher unbekannte Mann mittlerweile eine weltweite Ikone - mit der moralischen Überlegenheit auf seiner Seite. Doch auch wenn der ukrainische Informationskrieg Teil der Selbstverteidigung gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff ist: Es ist immer noch Propaganda und sollte als solche, sprich: mit Vorsicht in der Berichterstattung, behandelt werden.
Und der andere Propaganda-König, Wladimir Putin? Der zeigt sich alles andere als nahbar, bleibt mutmaßlich in seinem geschützten Palast und lädt an Tische, die länger und länger werden.
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