Weichenstellung in Kolumbien

Parlamentswahlen legen politischen Spielraum für Staatsoberhaupt fest

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.

296 Abgeordnete für die beiden Kammern des Parlaments, Kongress und Senat, werden am Sonntag gewählt. Darunter zehn Abgeordnete der Comunes-Partei der ehemaligen Guerilla FARC-EP sowie 16 Parlamentarier*innen aus den speziellen Friedenswahlkreisen, die durch das Friedensabkommen vom November 2016 entstanden, das zwischen der damaligen Regierung von Juan Manuel Santos und der FARC-Guerilla geschlossen wurde. Für die Zukunft des nach wie vor von Gewalt geprägten Landes sind die Wahlen entscheidend.

Die Zusammensetzung der beiden Kammern des Parlaments entscheidet darüber, ob der kommende Präsident oder eine Präsidentin den nötigen Rückhalt hat, um strukturelle Reformen durchzuführen. Die sind nötig, daran gibt es kaum einen Zweifel. Unterstrichen haben das nicht zuletzt die massiven Proteste zwischen April und Juni 2021, die zumindest teilweise mit massiver Repression unterdrückt wurden. Das belegen die Zahlen mehrerer Nichtregierungsorganisationen, aber auch verschiedene Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch. »Reformen von Polizei- und Militärstrukturen gehören definitiv auf die politische Agenda«, so Gustavo Gallón, Direktor der kolumbianischen Juristenkommission, die die Menschenrechtssituation beobachtet.

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Fehlende Reformen im Sicherheitsapparat sind nur ein Punkt unter vielen, die bei den zahlreichen Demonstrationen und nationalen Streiks gegen die konservative Regierung von Iván Duque ins Feld geführt werden, die zudem die Umsetzung des Friedensabkommen mit der FARC-EP verschleppt, wenn nicht gar untergräbt. Besserer Schutz für zivilgesellschaftliche Aktivist*innen, mehr Respekt für das Leben sind weitere Forderungen, über die auch international immer wieder berichtet wird.

Warum wurden allein seit dem 1. Januar 2022 nicht weniger als 36 zivilgesellschaftliche Aktivist*innen ermordet und seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen FARC-Guerilla und Regierung sogar mehr als 1241? Fragen, mit denen auch Human Rights Watch, die Vereinten Nationen oder Amnesty International die Regierung von Iván Duque wiederholt konfrontieren.

Die katastrophale Bilanz bei der Sicherheit ist auch im Kontext der Wahlen relevant. Laut der Wahlbeobachtermission aus der Zivilgesellschaft (MOE) befinden sich die Gemeinden mit der traditionell niedrigsten Wahlbeteiligung in Konfliktgebieten wie Antioquia, Cauca, Córdoba, Chocó, Naríño - um nur ein paar zu nennen. Derzeit gelten 131 Gemeinden als gefährdet - Gewalt, Klientelismus, Wahlbetrug und fehlende Kontrollmechanismen sind dort weit verbreitet. Das bestätigt auch ein Bericht der Stiftung für Frieden und Versöhnung (Pares) zur politischen Gewalt im Wahlkampf. Demnach wurden 124 Gewalttaten bis zum 13. Februar 2022 verübt - Tendenz steigend. Gewalt sei, so Pares, eine von mehreren Wahlkampfstrategien.

Hinzu kommt eine Fülle an Korruptionsmechanismen. Der Korruption habe die amtierende Regierung Tür und Tor geöffnet, kritisiert Iván Velásquez Gómez, ehemaliger kolumbianischer Richter und Ex-Direktor der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG). »In Kolumbien existiert ein Gesetz, ›Ley de Garantías‹, welches versucht, den Stimmenkauf mit öffentlichen Mitteln zu unterbinden. Das wurde jedoch im Herbst vergangenen Jahres modifiziert, sodass es möglich wurde, große Projekte und Geldmittel vor den Wahlen bis in den Januar zu verteilen: Das öffnet dem Stimmenkauf Tür und Tor«. Für Velásquez tut die amtierende Regierung alles, um den enormen Vorsprung des linken Kandidaten vom Pacto Histórico, Gustavo Petro, in den Umfragen zu reduzieren. Dieser liegt weit vor dem Kandidaten der Rechten, Germán Vargas Lleras. Die Basis einer möglichen Regierung Petros im Kongress, die zwei Koalitionen Pacto Histórico und Centro Esperanza, verfügen derzeit zusammen jedoch lediglich über ein Fünftel der Sitze. Das muss sich ändern, um strukturelle Reformen durchbringen zu können. Genau deshalb sind die Wahlen zu den beiden Kammern des Parlaments so wichtig - sie bilden die Basis für den möglichen politischen Wandel, für den sich viele Kolumbianer*innen in den vergangenen Jahren engagiert haben.

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