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Rechte Bauchlandungen
Fretterode-Prozess: Sachverständiger bezweifelt, dass Fotos manipuliert wurden
In seiner Not verfiel Klaus Kunze irgendwann auf einen recht erstaunlichen Gedanken. Der Rechtsanwalt vertritt den Neonazi Gianluca B., der zusammen mit seinem Kumpel und Kameraden Nordulf H. zwei antifaschistische Journalisten brutal überfallen haben soll. Vor fast vier Jahren war das, unweit des Dörfchens Fretterode in Nordwestthüringen, wo Thorsten Heise residiert - der NPD-Bundesvize, mächtige Multiaktivist der militanten Rechten und Vater von Nordulf H.
Seit einem halben Jahr wird vor dem Landgericht in Mühlhausen verhandelt, am Donnerstag war der 21. Verhandlungstag. Und es war wieder einmal kein guter Tag für die Angeklagten. Um mögliche Manipulationen an den Fotos ging es, die die beiden Journalisten an jenem Aprilsamstag 2018 in Fretterode gemacht hatten, als sie ein Neonazitreffen im Hause Heise vermuteten. Na ja, manipulieren lasse sich prinzipiell alles, befand zwar ein als Sachverständiger geladener Informatikexperte des thüringischen LKA. Aber hier? »Die Forensik-Software hat keine Inkonsistenzen festgestellt«, sagte der Beamte und ließ noch viele weitere Aussagen folgen, die zwischen »sehr unwahrscheinlich«, »auszuschließen« und »physikalisch unmöglich« changierten.
Ob es nicht vielleicht sein könne, fragte also Szeneanwalt Kunze, und man konnte ihn förmlich nach dem allerletzten Strohhalm greifen sehen, dass die Journalisten ihre Fotos nach dem Überfall zu Hause an die Wand projiziert und mit einer anderen Kamera abfotografiert hätten? Es dürfte ihm selbst klar gewesen sein, dass dann kaum so gestochen scharfe Bilder herausgekommen wären wie das mittlerweile vielfach veröffentlichte Fotos von Nordulf H., wie er, mit einem riesigen Traktorschraubenschlüssel bewaffnet und mit einem Tuch der von seinem Vater geführten »Arischen Bruderschaft« vermummt, den Journalisten hinterherrennt. Entsprechend kurz fiel die Antwort des Sachverständigen aus: Nö, das könne wohl nicht sein.
Was abstrus anmuten mag, ist für die Verteidigung ein Knackpunkt. Es darf wohl als bewiesen gelten, dass die Angeklagten ihre Opfer erst mit dem Auto über die Straßen rund um Fretterode gejagt und sie schließlich mit Schraubenschlüssel, Baseballkeule und Messer schwer verletzt haben. Dass sie ihnen dabei auch die teure Spiegelreflexkamera nebst großem Zoom-Objektiv geraubt haben, dafür gibt es außer den Aussagen der Journalisten hingegen keine Beweise - auch weil die Polizei nie ernsthaft nach der Kamera gesucht hat.
Zugleich ist der Raub der schwerste Anklagevorwurf, allein dafür drohen mindestens fünf Jahre Haft. Klaus Kunze und sein Verteidigerkollege Wolfram Nahrath bezweifeln deshalb, dass die fragliche Kamera überhaupt am Tatort gewesen ist. Sie stützen sich darauf, dass die Speicherkarte erst zwei Tage nach dem Überfall bei der Polizei ankam. Einer der beiden überfallenen Journalisten will sie am Tattag geistesgegenwärtig in seiner Socke versteckt und dann erst mal mit nach Hause genommen haben. Vor allem jedoch stützen sich die Verteidiger darauf, dass die Fotos in einem Ordner namens »Gopro« abgelegt waren. Woraus sie folgern: Die Bilder müssten dann auch von einer Actioncam dieser Marke stammen. Und eben nicht von einer Spiegelreflexkamera. »Eine Gopro hat andere Auflösungen und andere Bildformate«, erklärte nun jedoch der Experte des LKA. »Sie hat kein Zoom und ist nicht geeignet, sich schnell bewegende Objekte in großer Entfernung zu fotografieren.«
Es war nicht die erste Bauchlandung, die die Verteidigung jüngst hinnehmen musste. Eine weitere hatte Nahrath erlitten, als er versuchte, die öffentliche Vorverurteilung seines Mandanten geltend zu machen. Überall in und um Fretterode seien Postkarten mit dem bekannten Foto des schraubenschlüsselschwingenden Nordulf H. verteilt worden, beklagte der Rechtsaußen-Anwalt. Doch keiner der daraufhin vom Gericht geladenen Dorfbürgermeister aus der Region hatte die Karte jemals gesehen.
Und auch ein Rentner aus dem Nachbardorf Bornhagen, der Wahlheimat des thüringischen AfD-Chefs und Heise-Bekannten Björn Höcke, ein Mann, von dem Nahrath ganz sicher zu wissen glaubte, dass er die Postkarte im Briefkasten gehabt habe, wusste von nichts. Dafür lieferte der bekennende Höcke-Fan einen denkwürdigen Auftritt im Zeugenstand ab. In einem fort schimpfend und pöbelnd verstieg er sich schon nach wenigen Augenblicken zu einer Bemerkung, die für die Verteidiger wohl nicht allzu hilfreich war. »Was der Junge gemacht hat«, rief der Mann und meinte Nordulf H. und seinen Angriff auf die Journalisten, »das hat er richtig gemacht!«
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