- Sport
- Ukraine
Die Fans machen mobil
Ultras und Hooligans ziehen dieser Tage in den Krieg in der Ukraine. Viele von ihnen sind schon durch frühere Kämpfe traumatisiert
Der russische Angriffskrieg ist erst wenige Stunden alt, da rufen Fans von Dynamo Kiew in sozialen Medien zum internationalen Widerstand auf: »Wir sind bereit zu kämpfen. Wir töten alle Besatzer, die in unser Land kommen«, heißt es in einem Beitrag, umrahmt von den ukrainischen Nationalfarben. »Es ist ein Aufruf an alle Menschen mit Ehre: Gehen Sie zur russischen Botschaft und protestieren Sie! Gehen Sie zu Ihrer Regierung und befehlen Sie ihr, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen! Die Ukraine ist ein Schutzschild für Europa.«
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Auch Ultras und Hooligans anderer ukrainischer Klubs verbreiten Botschaften im Netz, etwa von Metalist Charkiw oder Arsenal Kiew. Sie werben dafür, sich als freiwillige Kämpfer dem ukrainischen Militär anzuschließen. Auf ihren Fotos posieren sie häufig in Uniformen, mit Waffen und Vereinsutensilien. Sie verbreiten Videos von Soldaten und flüchtenden Menschen. »In der Ultraszene spiegelt sich eine Mobilisierung, die in der ganzen ukrainischen Bevölkerung zu beobachten ist«, sagt der Journalist Thomas Dudek, der sich mit Fußball und Politik in Osteuropa beschäftigt. »Der einzige Unterschied ist, dass viele Ultras schon Kampferfahrung haben.«
Schon 2013/2014 beteiligten sich Ultras während der Euromaidan-Bewegung an den Protesten gegen die damals noch prorussische Regierung in Kiew. Bald darauf riefen prorussische Separatisten in den ostukrainischen Städten Donezk und Luhansk sogenannte »Volksrepubliken« aus. Die Fußballklubs jener Region, Schachtar Donezk und Sorja Luhansk gingen ins Exil. Etliche ihrer Fans schlossen sich der Armee an und kämpften gegen die Separatisten. »Viele Ultras, die damals nicht rechtzeitig geflohen sind, sind im Gefängnis gelandet oder wurden erst später von Separatisten freigelassen«, sagt Thomas Dudek.
Etliche Hooligans im Asow-Regiment
Dutzende ukrainische Ultras und Hooligans kämpfen seit 2014 für das Asow-Regiment, eines der paramilitärischen Freiwilligen-Bataillone. Der ultranationalistische Verbund hält Verbindungen zu rechtsextremen Bewegungen in Europa, in Deutschland zur Kleinpartei »Der III. Weg« und zu den »Identitären«. In einschlägigen Foren mobilisieren nun auch deutsche Neonazis gegen den »Bolschewisten« Putin, der von muslimischen Kämpfern aus Tschetschenien unterstützt werde. Zudem kursieren Empfehlungen, wie freiwillige Kämpfer aus Westeuropa über Polen in die westukrainische Stadt Lwiw gelangen können und von dort über Kiew an die Front. Rund 1000 ausländische Kämpfer sollen sich auf den Weg in die Ukraine gemacht haben.
Auch Kontaktdaten von ukrainischen Ultras und Verbindungsleuten werden im Netz genannt. »Dadurch könnten auch Leute aus dem Westen mit einem Gedankengut angezogen werden, die der demokratischen Ukraine widersprechen«. Durch den Krieg in der Ostukraine seit 2014 haben Hunderte junge Fußballfans Erfahrungen mit Kämpfen und Waffen sammeln müssen, viele sind traumatisiert und radikalisiert. Schon vor dem russischen Angriff sollen mehr als fünfzig Ultras getötet worden sein.
Außerhalb der Ukraine engagieren sich jedoch wesentlich mehr Fans auf ganz andere Weise. Gruppen in Deutschland, Polen oder Kroatien sammeln Geld und Sachspenden für die Ukraine. Ultras organisieren den Transport von Geflüchteten und vermitteln Unterkünfte. Seit Jahren zeigen einige von ihnen in Stadien Banner gegen Putin. Doch es gibt Ausnahmen. In Serbien halten die Ultras der großen Klubs Freundschaften nach Moskau: Roter Stern Belgrad mit Spartak Moskau, Partizan Belgrad mit ZSKA. Vor Kurzem beim Derby der Belgrader Vereine waren auch Fans aus Moskau anwesend. Es habe auch Rufe gegeben wie »Serbien - Russland: Brüder für immer«, aber diese Aussagen dürfe man nicht dramatisieren, sagt der Politikwissenschaftler Alexander Mennicke, der sich mit Fankulturen auf dem Balkan beschäftigt: »Diese Rufe gibt es fast bei jedem Derby, bei dem die befreundeten Gruppen anwesend sind. Daher sollte man das nicht als Kriegsbegeisterung interpretieren.«
Serben im brüderlichen Bündnis
Die Fangruppen aus Belgrad und Moskau verstehen sich als »brüderliches Bündnis«, sagt Alexander Mennicke, daher rücke man nun zusammen. Deutlich wurde das auch in der vergangenen Woche beim serbischen Ligaspiel in Vozdovac. Einige Fans von Roter Stern Belgrad riefen wahrnehmbar: »Russland, Russland«. An diesem Donnerstag nun spielt der serbische Meister im Achtelfinale der Europa League bei den Glasgow Rangers.
Anders als der FC Schalke 04 hat sich Roter Stern Belgrad noch nicht klar von seinem Trikotsponsor Gazprom distanziert. Über Jahre pflegte der serbische Präsident Aleksandar Vučić Beziehungen zum Kreml. Das gilt auch für Milorad Dodik, den serbischen Vertreter im Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina. Laut Recherchen des investigativen Mediennetzwerkes Birn haben serbische Hooligans an russischer Seite in der Ostukraine gekämpft.
Welche Allianzen werden nun entstehen? In Russland selbst scheinen sich Ultras mit politischen Botschaften zurückzuhalten. Der Forscher Alexander Mennicke ist auf ein Graffiti von Fans von Zenit St. Petersburg gestoßen, die Botschaft: »Stoppt die Kriege unter Brüdern.« Mennicke sagt: »Die Gruppen positionieren sich offenbar nicht so sehr nach außen. Wenn man sieht, wie massiv Protest in Russland unterdrückt wird, dann ist das auch verständlich.«
Alexander Mennicke dokumentiert auf Twitter die Symbolik der Fans. Zum Beispiel ein Foto, das offenbar Hooligans von Dinamo Minsk in der Nähe von Kiew zeigt. Damit würden diese sich gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko stellen, einen engen Partner Putins. Über diese Kampfmotive hinaus senden Fans aber auch andere Botschaften. Es geht um Kriegsopfer, Trauer und die Erinnerung an gefallene Freunde.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.