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Nach den Paralympics und Olympia in Peking: Eine andere Neutralität

Der Sport sucht innerhalb politischer Konflikte eine neue Rolle in der Weltgemeinschaft

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.

»Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg und viel Glück. Vielen Dank. Frieden!«, rief Andrew Parsons am Freitag vergangener Woche in das Pekinger Stadion. Wobei das Fernsehpublikum im Gastgeberland China nicht alles von dem, was der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) sagte, gut mitbekommen konnte. Das letzte Wort in Parsons‘ Rede auf Englisch - Peace - übersetzte der Dolmetscher nicht entsprechend.

Es hat ins Bild gepasst von »Beijing 2022«: Offiziell liefen die Olympischen und Paralympischen Spiele in der chinesischen Hauptstadt unter dem Motto »Together for a Shared Future« - Gemeinsam für eine geteilte Zukunft. Hinter dem Schein der Sportparty zur Völkerverständigung ist aber vieles abgelaufen, das mit Frieden und Gemeinsamkeit wenig zu tun hat. Im Gastgeberland China fallen zuerst die Konzentrationslager im Nordwesten auf, wo vor allem Uiguren festgehalten werden. Hinzu kommen die Unterdrückung der Menschen in Tibet sowie diverse Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land, unter anderem die Presse- und Meinungsfreiheit.

Und dann begann die Regierung Russlands noch vor zwei Wochen eine Invasion in der Ukraine. Der Olympische Frieden - der kurz vor Beginn der Spiele noch von jedem Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde und bis sieben Tage nach Ende der Paralympics die Welt zum Frieden aufruft - ist damit gebrochen. Und die Regierung Chinas hat sich als Olympiagastgeberin bisher nicht von Russlands Regierung distanziert - toleriert also offensichtlich den Krieg. Hat so auch der Sport einen großen Teil seiner normativen Kraft verloren?

Einerseits haben die großen Sportinstitutionen zuletzt kaum noch einen Ruf zu verlieren gehabt, gibt Pierre Thielbörger zu Bedenken. Der Professor für Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum und der Hertie School in Berlin sagt: »Ich glaube, dass die Verbände, die hinter diesen Veranstaltungen stehen, eher private Institutionen sind. Die lassen sich mal dazu bewegen, Statements zu erlassen. Aber im Kern sind sie von Interessen Dritter geprägt und von Geldflüssen stark beeinflusst.«

In anderen Worten: Organisationen wie das Internationale Olympische Komitee (IOC), das Internationale Paralympische Komitee oder auch der Fußballweltverband Fifa hätten sich ohnehin nie primär an Kriterien wie Menschen- oder Völkerrecht orientiert. Andererseits sei die Ukraine-Invasion durch die russische Regierung eine Stunde der Wahrheit: »Es ist eine Möglichkeit, ihre eigenen Praktiken zu überdenken. Wenn man sich überlegt, dass die Fifa und das IOC Veranstaltungen an Russland, China und Katar vergeben haben, kann man sich fragen, wie wichtig ihnen denn zum Beispiel Menschenrechte waren.«

Dabei scheinen zumindest das Internationale Olympische Komitee und das IPC jetzt aufzuwachen. IOC-Präsident Thomas Bach veröffentlichte am Freitag ein Statement, in dem es unter anderem heißt: »Wir werden die Personen und Organisationen, die für diesen Krieg und den Bruch mit dem Olympischen Frieden verantwortlich sind, weiterhin zur Rechenschaft ziehen. Daher sollen keine Sportveranstaltungen auf den Territorien der Russischen Föderation oder der Republik Belarus stattfinden.« Auch keine nationalen oder Staatssymbole dieser Länder sollen künftig bei Veranstaltungen der Olympischen Bewegung gezeigt werden. Und zudem: »Wir werden nicht in die Falle des billigen Arguments tappen, dass dies eine Politisierung des Sports sei, die gegen die Olympische Charta gehe, die ja politische Neutralität verlange.«

Und das Internationale Paralympische Komitee schreibt auf Anfrage per E-Mail: »Das IPC wird im Jahr 2022 eine außerordentliche Versammlung einberufen, in der darüber abgestimmt wird, ob die Einhaltung des Olympischen Friedens eine Bedingung für die Mitgliedschaft wird und ob die Mitgliedschaft des Russischen Paralympischen Komitees und des Belarussischen Paralympischen Komitees ausgesetzt oder beendet wird.« Das IPC werde bis auf Weiteres keine Veranstaltungen in Russland oder Belarus abhalten.

Es ist ein klarer Kurswechsel. Schließlich waren die Brüche mit dem Olympischen Frieden durch Russland in den Jahren 2008 und 2014, als Georgien angegriffen und die Krim annektiert wurde, folgenlos geblieben. Für 2014 erhielt Russland sogar das Austragungsrecht für die Winterspiele in Sotschi. Jetzt wiederum stellt sich die Frage, was noch alles folgt. Sofern nicht nur das Völkerrecht, sondern auch das Menschenrecht wichtig ist für die großen Sportinstitutionen, dann dürfte sich auch eine Spielevergabe an einen Staat wie China nicht wiederholen.

Dabei bleibt Russland womöglich nicht der einzige Staat, für den sich Vereinbarungen wie der Olympische Frieden als allzu lästig herausstellen. Während der Spiele in Peking sagte Yan Jiarong, Sprecherin des örtlichen Organisationskomitees: »Ich möchte betonen, dass es nur ein China auf der Welt gibt. Taiwan ist ein untrennbarer Teil Chinas.« Chinas Staatschef Xi Jinping hat schon mehrmals angekündigt, China würde sich das demokratisch und unabhängig regierte Taiwan notfalls mit Gewalt einverleiben.

Gemeinsam mit Russlands Staatschef Putin, der bei der Eröffnungsfeier der Pekinger Spiele der einzige hohe Staatsgast war, hat Xi im Februar zudem ein Manifest veröffentlicht. Darin ist von einer »Umverteilung der Macht in der Welt« die Rede. Mit dem Ukraine-Krieg hat sich die globale Aufmerksamkeit von der chinesischen Politik plötzlich auf die russische verschoben - was Chinas Ansehen in der Welt zunächst eher genützt als geschadet haben dürfte. Vor allem die Paralympischen Spiele - zumal mit ihren emotionalen Bildern rund um Inklusion - wurden so doch noch zu einer PR-Show für Chinas Ein-Parteien-Staat.

Allerdings könnte auch die chinesische Rolle im Weltsport früher oder später stärker hinterfragt werden - nämlich dann, wenn die schon lange angekündigte Einverleibung Taiwans akut wird. Bis dahin scheint es folgende neue Regeln für den Weltsport zu geben: Auf die Einhaltung des Völkerrechts, das den internationalen Frieden sichern soll, besteht man. In die Menschenrechte, die meist innerhalb eines Staates eingehalten oder verletzt werden, mischt man sich aber nicht ein.

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