- Berlin
- Straßenbahn-Ausbau
Schienen legen, solange der Asphalt heiß ist
Verkehrsexperten fordern sofort konkrete Planung für Tram M41 auf der Sonnenallee
»Wenn man es ernst meint mit der Verkehrswende, sollte man so schnell wie möglich neue Straßenbahnstrecken bauen«, sagt Verkehrsexperte Christian Linow zu »nd«. Ganz konkret meint er die Straßenbahnstrecke durch die Neuköllner Sonnenallee. Und zwar zunächst den Abschnitt vom S-Bahnhof Schöneweide durch Plänterwald und Neukölln bis zum Hermannplatz.
Drei Punkte sprächen dafür, mit dem Bau nicht vom Potsdamer Platz Richtung Süden zu beginnen, sondern von stadtauswärts gen Zentrum zu planen. »Erstens muss man die Möglichkeit nutzen, die chronisch überlastete Buslinie M41 so früh wie möglich durch die Straßenbahn zu ersetzen«, sagt Linow. Täglich 45 000 Fahrgäste zählt die teilweise im Vier-Minuten-Takt verkehrende Linie, der wegen ihrer notorischen Unpünktlichkeit und Überfüllung sogar ein eigenes Lied gewidmet wurde. »Du bist der Bus, der immer im Rudel fährt - und an unseren Nerven zerrt«, heißt es dort beispielsweise. »Wenn man den Korridor sowieso schon als vordringlich eingestuft hat, wieso wartet man dann, bis die Straßenbahn durch die Leipziger Straße den Potsdamer Platz erreicht?«, fragt Linow.
Von Schöneweide bis zum Hermannplatz könnten acht Kilometer Strecke »wahrscheinlich relativ problemlos« gebaut werden, ist Linow überzeugt. »Wenn man jetzt in das konkrete Planungsverfahren einsteigt, könnte ein Baubeginn 2028 möglich sein«, glaubt er. Der Senat plant derzeit eine Fertigstellung der Strecke für das Jahr 2035, was einem Baubeginn frühestens zwei Jahre vorher entspräche.
Zwei weitere starke Argumente für den schnelleren Bau der Strecke liegen im Bereich rund um den S-Bahnhof Plänterwald. Einerseits soll bis 2028 die neue Marggraffbrücke im Zuge der Köpenicker Landstraße fertig sein. Linow hatte kürzlich für politischen Wirbel gesorgt, als er darauf aufmerksam machte, dass eine Straßenbahn auf dem nötigen Ersatzneubau der maroden Brücke nicht eingeplant ist. Doch statisch scheint dies trotzdem möglich zu sein, wie sich zeigte.
2030 schließlich soll der Umbau der Baumschulenstraße mit Radspuren und breiteren Bürgersteigen im Rahmen des Förderprogramms Lebendige Zentren abgeschlossen sein. Würde im Anschluss mit den Bauarbeiten für die Straßenbahnstrecke begonnen werden, »wäre das eine Doppelbelastung für die Anwohner mit unnötigen Mehrkosten«, so Linow weiter.
Christian Linow ist nicht allein mit seiner Überzeugung. Zusammen mit den diplomierten Verkehrswissenschaftlern Tom Gerlich und Patrick Schardien sowie dem Informatiker Jens Fleischmann hat er eine knapp 30-seitige Broschüre verfasst, die nicht nur die Argumente für den schnellen Bau erläutert, sondern auch eine Trassenstudie mit möglichen Haltestellenlagen und Vorschlägen für die architektonische Einbindung der Strecke enthält.
Darüber hinaus schlagen sie eine Verlängerung ab Schöneweide durch die Schnellerstraße bis kurz vor den S-Bahnhof Oberspree vor. Damit könnten nicht nur die rund 8000 Anwohner der Straße angebunden werden, sondern über die dort geplante neue Spreebrücke auch das über eine Milliarde Euro schwere Immobilienprojekt auf dem Gelände des ehemaligen Werks für Fernsehelektronik.
Bisher hat die Senatsmobilitätsverwaltung kein Interesse an einem Vorziehen des Südabschnitts der Tram M41 gezeigt. Mit der Broschüre hoffen die Verkehrsexperten auf ein Umdenken. Unter anderem Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat ein Exemplar erhalten. »Ich habe Bettina Jarasch als eine sehr engagierte Verkehrspolitikerin kennengelernt. Ich hoffe, dass sie mit Pragmatismus an das Projekt herangeht und noch einmal eine andere Entscheidung trifft«, sagt Christian Linow.
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