Impfstoffe künftig für alle?

EU, USA, Indien und Südafrika einigen sich auf Kompromiss bei Patentfreigabe

Das Tauziehen um die Freigabe der geistigen Eigentumsrechte bei Impfstoffen, Medikamenten und Ausrüstungsgütern, die bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie eine wichtige Rolle spielen, dauert schon fast eineinhalb Jahre. Wie verschiedene Quellen übereinstimmend berichten, haben sich nun die EU, die USA, Indien und Südafrika auf einen Kompromiss geeinigt. Dem Deal müssten aber alle 164 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) zustimmen.

Die beiden großen Schwellenländer hatten im Oktober 2020 bei der UN-Organisation in Genf einen Antrag für einen sogenannten Trips-Waiver auf vorübergehende Aussetzung der Patentrechte für Covid-19-Tests, -Behandlungsmethoden und -Impfstoffe gestellt. Trips, das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, erlaubt in Ausnahmefällen ein solches Vorgehen. Mehr als 100 Mitgliedsländer und auch WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala unterstützten die Initiative. Zuletzt stemmten sich eigentlich nur noch die EU sowie die Pharmahochburg Schweiz dagegen.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Wie aus geleakten Dokumenten hervorgeht, umfasst der jetzt gefundene Kompromiss lediglich Impfstoffe. Er sieht bei ihnen einen temporären Verzicht auf geistige Eigentumsrechte ohne Zustimmung des Patentinhabers und ohne die Notwendigkeit vor, mit diesem zu verhandeln. Länder können dies entweder durch Zwangslizenzen oder durch andere Mittel wie Notverordnungen durchsetzen. Die Ausnahmeregelung soll nur von Entwicklungsländern in Anspruch genommen werden können, die im Jahr 2021 nicht mehr als zehn Prozent der Covid-19-Impfstoffdosen exportiert haben. Damit sind alle Industrieländer ausgeschlossen, aber auch große Impfstoffnationen wie China und Indien, worauf die EU drängte. Sie befürchtet Schädigungen für die eigene Pharmaindustrie, wenn die größten Konkurrenten an wichtiges Know-how gelangen.

Die WTO sprach nach der Einigung am Mittwoch von einem »riesigen Schritt nach vorn«. So ganz spruchreif scheint der Kompromiss aber noch nicht zu sein. Laut WTO-Chefin Okonjo-Iweala liefen die internen Beratungen der vier Verhandlungsparteien weiter, da in einigen Punkten noch Unstimmigkeiten bestünden. Ein Sprecher der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai bestätigte zwar, dass »längere Verhandlungen« zwischen den USA, der EU, Indien und Südafrika zu einer »Kompromisslösung« geführt hätten, eine schriftliche Vereinbarung liege aber noch nicht vor.

Die WTO will nun dennoch sofort damit beginnen, die Debatte über den Kompromiss unter den Mitgliedstaaten zu eröffnen. Zuviel Zeit ist bereits ungenutzt verstrichen. Vermutlich dürfte die UN-Organisation auch darauf spekulieren, dass eine Bestätigung durch die anderen Mitglieder Druck auf die vier Verhandlungspartner erzeugt, nun wirklich zu Potte zu kommen. Eine zügige Verabschiedung könnte zudem ein wirksames Agieren der Industrielobby verhindern. Der internationale Pharmaverband IFPMA bezeichnete die Kompromisslösung bereits als Fehler. Das Problem bestehe darin, »die Impfstoffe in die Arme der Menschen zu bekommen, die sie brauchen, und weniger in der Versorgung mit Impfstoffen«, so der Verband.

Begrüßt wird der Vorstoß hingegen von den Befürwortern der Patentfreigabe. Anna Cavazzini, handelspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament, freut sich, dass »Länder des globalen Südens endlich ihre eigenen Covid-Impfstoffe produzieren können«, wie sie erklärte. Es sei »ein Armutszeugnis für die EU, dass es eine so lange Pandemie braucht, um diesem Vorschlag zuzustimmen«. Allerdings bemängelte sie, dass sich die zeitweise Patentfreigabe nur auf Impfstoffe beschränke und nicht auch auf Covid-Therapien.

Das sieht die Hilfsorganisation Oxfam genauso: Gerade in armen Ländern seien auf absehbare Zeit Medikamente, Diagnoseverfahren, Behandlungsmethoden und Schutzmittel aufgrund der geringen Impfquoten ebenso wichtig wie Impfstoffe. »Es ist verheerend, dass lebensrettende Medikamente von der Patentfreigabe ausgenommen werden sollen. Sie sind gerade jetzt in einkommensschwachen Ländern dringend nötig, um zu verhindern, dass weiter Menschen an Covid-19 sterben«, erklärte Pia Schwertner, Expertin für Gesundheitspolitik. Außerdem sehe der Kompromiss lediglich eine Freigabe der Patentrechte »im engsten Sinne« vor, nicht aber von Industriestandards, Copyrights, Firmengeheimnissen und Verschwiegenheitsverpflichtungen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.