Feiern, als gäbe es ein Morgen

Das Berliner Projekt Clubtopia hilft Clubs dabei, ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Das »Schwuz« macht vor, wie das gehen kann

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 8 Min.
Rotes Licht aus grünem Strom: Im Neuköllner Queer Club »Schwuz« werden bereits viele Maßnahmen umgesetzt, um für mehr Klimaschutz zu sorgen.
Rotes Licht aus grünem Strom: Im Neuköllner Queer Club »Schwuz« werden bereits viele Maßnahmen umgesetzt, um für mehr Klimaschutz zu sorgen.

Auf der kleinen Bühne der »Pepsi Boston Bar« performt Biggy van Blond in Highheels, rotem Minirock und unnatürlich blond mit einer Barbiepuppe. »Baaabylon«, brüllt sie ins Mikro und gibt den gleichnamigen Song von Katja Ebstein zum Besten. Auch Jurassica Parka ist mit von der Partie. Die beiden Dragqueens bringen die neue Bar des »Schwuz« kurz nach Ende der Corona-Pause auf Betriebstemperatur. Die Gäste des Neuköllner Queer-Clubs sind in guter Stimmung, unter 2G-plus-Bedingungen fallen die Masken. An der Bar gibt es Cocktails mit Namen wie »1000 Tonnen Glück« oder »Naked and fucking famous«. Strohhalme aber nur auf Nachfrage und wenn, dann ökologische Exemplare aus Maisstärke.

Das pinke Scheinwerferlicht stammt aus stromsparenden LED-Lampen, der Strom selbst aus erneuerbaren Energien, dem Klima zuliebe. Denn: »Wir haben nur den einen Planeten, und wenn wir nicht alle Kraftanstrengungen auf uns nehmen, um Schaden zu begrenzen, dann sind wir am Arsch«, sagt Marcel Weber, Geschäftsführer des »Schwuz«, zu »nd«. Die Clubs müssten in dieser Hinsicht ihrer Verantwortung gerecht werden, eine Vorreiterrolle einnehmen und zeigen: »Die Nacht ist durch mehr Klimaschutz nicht weniger bunt«, wie Konstanze Meyer sagt, Projektleiterin von Clubtopia beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin.

Clubtopia ist ein Kooperationsprojekt des BUND, der Berliner Clubcommission und des Vereins Clubliebe. Seit 2019 und noch bis Ende 2023 wird es im Rahmen des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms von der Senatsumweltverwaltung mit fast 600 000 Euro gefördert. Ziel ist es, die Berliner Clubs durch verschiedene kostenfreie Beratungsangebote klimafreundlicher und nachhaltiger zu gestalten. »Die Clubszene hat keinen besonders rosigen CO2-Fußabdruck, da gibt es großen Anpassungsbedarf«, sagt Meyer zu »nd«. An einem Wochenende verbrauche ein kleiner Club schon so viel Strom wie ein sparsamer Single-Haushalt im Jahr und komme damit auf etwa 30 Tonnen CO2-Emissionen jährlich. Das muss sich ändern, wenn Berlin bis 2045 klimaneutral werden will, so das Ziel des Senats.

Zumal Berlin »eine Vorreiterrolle als Heimat einer weltbekannten, vielfältigen und äußerst lebendigen clubkulturellen Landschaft« einnehme, sagt Constanze Siedenburg, Pressereferentin der Senatsumweltverwaltung, auf nd-Anfrage. Mit rund 9000 Beschäftigten und einem Gesamtumsatz der Branche von 168 Millionen Euro im Jahr 2017 spiele die Clubkultur für die Hauptstadt auch »eine nicht zu vernachlässigende wirtschaftliche Rolle«, so Siedenburg weiter. Clubtopia zeige, dass sich die Branche »den drängenden Fragen von Nachhaltigkeit und Ökologie in der sich zuspitzenden Klimakrise stellt«, sagt Niklas Schenker, Sprecher der Linksfraktion für Clubkultur, zu »nd«.

Das Projekt umfasst den Green Club Guide - einen Leitfaden zu Themen wie Ökostrom, energieeffizienter Technik und Müllvermeidung -, Workshops, Online-Schulungen und den Runden Tisch für Grüne Clubkultur, einen Nachhaltigkeitsstammtisch für Clubbetreibende. Ein weiterer Baustein ist die individuelle, auf den jeweiligen Club zugeschnittene Energieberatung. Hier sei es wichtig, »die Realität der Clubs« im Blick zu haben, erklärt Konstanze Meyer vom BUND. Große Investitionen und bauliche Maßnahmen seien in der Regel nicht möglich. Deshalb ziele die Beratung vor allem auf bewegliche Dinge wie stromfressende Kühlschränke, Beleuchtung oder auch Heizungs- und Lüftungsanlagen ab.

Das »Schwuz« hat die Energieberatung schon vor fünf Jahren in Anspruch genommen. Der »unüberwindbar wirkende Berg« Klimaschutz sei dabei in »verdaubare Päckchen« zerlegt worden, berichtet Geschäftsführer Marcel Weber. Neben Ökostrom und LED-Lampen seien zum Beispiel Pissoirs ohne Spülung und Perlatoren für die Waschbecken angeschafft worden, wodurch Wasser gespart werde. Gelüftet werden könne nun auf verschiedenen Stufen.

Die Umsetzung der Maßnahmen müssen die Clubs, anders als die Beratung, selbst finanzieren, aber vieles sei gar nicht so teuer, im Gegenteil: »Die Entsorgung eines kaum genutzten Kühlschranks spart Geld«, sagt Konstanze Meyer. Lampen könnten dann ausgetauscht werden, wenn sie ohnehin kaputt sind. Manchmal reiche es schon, Abläufe zu ändern und beispielsweise Müll zu trennen oder die Getränke aus der Region zu beziehen - so wird im »Schwuz« Quartiermeister-Bier aus Kreuzberg getrunken -, sodass der Transport weniger CO2 verbraucht.

Die effizienteste Klimaschutzmaßnahme sei aber der Wechsel des Stromanbieters. Das »Schwuz« habe bis 2019, als es noch beim Energiekonzern Vattenfall unter Vertrag war, 90 Tonnen CO2 im Jahr verursacht. Nun komme der Strom von Green Planet Energy und verursache jährlich nur noch 8 Tonnen CO2, eine Reduktion von über 90 Prozent.

Der Bezug von Ökostrom ist daher ein Ziel des Code of Conduct, also eines Nachhaltigkeitskodexes, der im vergangenen Jahr im Rahmen des Runden Tisches für Grüne Clubkultur entwickelt wurde. Das »Schwuz« gehört zu den Erstunterzeichnenden des Code of Conduct, der Ziele wie Energieeffizienz, Wassersparen, Abfallvermeidung, klimafreundliche Mobilität und Naturschutz umfasst.

Dabei handele es sich um eine Selbstverpflichtung und explizit nicht um ein Label, wie es beispielsweise für Hotels und Gaststätten existiert, da die verschiedenen Clubs und Partykollektive ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen und sich kaum vergleichen lassen. »Außerdem wählen Clubgänger*innen einen Club ja in der Regel nicht nach dessen CO2-Verbrauch aus. Gerade zu Clubs, denen ihr «undergroundiger Touch» wichtig sei, würde so ein Label nicht passen«, sagt Clubtopia-Projektleiterin Konstanze Meyer.

Es ist es jedoch auch ein Ziel von Clubtopia, den Clubgästen das Thema Klimaschutz näherzubringen, zum Beispiel über Social Media oder Diskussionsveranstaltungen. Die Clubbetreibenden könnten so eine wichtige Multiplikatorfunktion übernehmen, insbesondere »für die jüngere Generation, die für die künftige Entwicklung und Gestaltung unserer Stadt zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle einnimmt«, sagt Constanze Siedenburg von der Senatsumweltverwaltung.

Aber auch unter den Clubbetreibenden selbst müsse das Thema noch breiter kommuniziert werden. Bislang haben erst sieben von mehr als 250 Berliner Clubs den Code of Conduct unterschrieben. »Da ist noch richtig viel Luft nach oben«, gibt Konstanze Meyer zu. Deshalb erkläre Marcel Weber vom »Schwuz« seinen Kolleg*innen bei den Runden Tischen regelmäßig, dass Ökostrom in einigen Jahren wahrscheinlich viel billiger sei als fossile Energie. Gerade die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise müsse dafür genutzt werden, die Gesellschaft und auch die Clublandschaft zu dekarbonisieren.

Ist eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht möglich, verpflichten sich die Clubs mit dem Code of Conduct zur Kompensation. Das »Schwuz« startet dafür nun ein Aufforstungsprojekt in Brandenburg und pflanzt 200 Bäume für einen nachhaltigen Mischwald. Und auch sonst liegt noch einiges in der Ideenkiste. Marcel Weber liebäugelt zum Beispiel mit dem schottischen Projekt »Body Heat«. Dabei soll die Energie aus der Körperwärme der im Club tanzenden Menschen genutzt werden, um am nächsten Tag zum Beispiel Büroräume zu heizen. Dafür suche das »Schwuz« aber noch nach Fördermöglichkeiten.

Um weitere Lösungen für mehr Nachhaltigkeit zu entwickeln, organisiert Clubtopia außerdem das Innovationslabor Future Party Lab sowie einen Ideenwettbewerb. Bei Letzterem wurden unter anderem eine mobile, per Fahrrad transportierbare Bühne für Demos oder Open Airs sowie eine Instagram-Kampagne zur Aufklärung über die schädlichen Umweltauswirkungen von Kokain prämiert.

Der Nachhaltigkeitskodex enthält schließlich auch soziale Aspekte wie ein Awareness-, also ein Achtsamkeitskonzept, die Bekämpfung von Ungleichheiten, Armut und Rassismus sowie die Stärkung von Diversität, Barrierefreiheit und Geschlechtergerechtigkeit. Das bedeute zum Beispiel, diversere Künstler*innen einzuladen und »nicht immer nur weiße schwule Drags«, wie Marcel Weber selbstkritisch sagt. »Wir müssen intersektional denken«, betont er.

Das »Schwuz« sei schließlich auch ein »Safer Space«, ein Schutzraum für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, die queer oder HIV-positiv sind. Diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, vom »grausamen Alltag abzuschalten«, mache das Feiern »enorm politisch«, findet er.

Das sieht auch Niklas Schenker von der Linken so. »Clubs wie ›About Blank‹, ›Mensch Meier‹ oder ›SO 36‹ gehören zur linken DNA der Stadt und leisten über den Clubbetrieb hinaus eine wichtige Funktion für die linke Bewegung in Berlin«, sagt er. Gerade seit Beginn des Ukraine-Krieges zeige sich die »solidarische Seite« der Clubs: Einige beherbergen Geflüchtete, viele sammeln Spenden, so auch das »Schwuz« am vergangenen Wochenende.

Daher sei es wichtig, nicht nur Clubtopia, sondern auch die Clubs selbst langfristig zu sichern und vor Verdrängung zu schützen. Viel zu oft seien sie »Opfer ihres eigenen Erfolgs und geraten zunehmend unter die Räder einer verwertungsgetriebenen Stadtentwicklung«, so Schenker.

Julian Schwarze, Sprecher der Grünen-Fraktion für Clubkultur, problematisiert, dass viele Clubs keine dauerhaften Mietverträge haben oder ihnen gekündigt werde, sodass kaum langfristig angelegte Investitionen und Maßnahmen möglich seien. »Kennzeichnend für viele Clubs ist, dass sie im Regelfall leergefallene Bestandsgebäude nachnutzen«, erklärt Constanze Siedenburg von der Senatsumweltverwaltung.

Schenker und Schwarze wollen sich daher für eine Änderung des Baugesetzbuches auf Bundesebene einsetzen, »damit die Kommunen Kulturerhaltungsgebiete einführen können«, so Schwarze. Auch wollen sie Clubs durch Änderungen im Gewerbemietrecht besser schützen. Ende 2020 sind die Berliner Clubs bereits offiziell als Kulturstätten anerkannt worden, was den Zugang zu Fördermitteln vereinfacht. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag ist für den Erhalt von Kulturstätten außerdem eine strategische Kooperation mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften festgehalten.

Das »Schwuz« ist aktuell nicht von Verdrängung bedroht und hat es wohl auch deswegen leichter als viele andere, kleinere Clubs, sich an Clubtopia zu beteiligen und den Code of Conduct umzusetzen. So startet das »Schwuz« nun nicht nur queer, sondern auch grün in die Saison und feiert an diesem Samstag mit der ersten Clubnacht nach der coronabedingten Schließung Silvester nach: traditionell ein Party-Highlight, ganz unkonventionell um drei Monate in die Zukunft verschoben. Die Zukunft wird - gemäß dem Motto des Code of Conduct - auch gefeiert, und zwar so, »als gäbe es ein Morgen«.

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