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Schutz und Hilfe, aber nicht für alle
Menschen mit Behinderung sind in vielen gesellschaftlichen Bereich kaum sichtbar - auch bei der Hilfe in Katastrophenfällen
Die Bilder aus der Ukraine sind nur schwer zu ertragen: flüchtende Menschen, Menschen ohne Hab und Gut, blutende Menschen, weinende Menschen, tote Menschen. Was wir aber in der täglichen Berichterstattung nicht oder nur selten sehen, sind Menschen mit Behinderungen. Warum eigentlich?
Menschen mit Behinderungen sind in so ziemlich jedem gesellschaftlichen Bereich wenig bis gar nicht sichtbar, weil sie durch strukturelle Exklusion und Diskriminierung unsichtbar gemacht werden - in Arbeit, Bildung, Wohnen, Freizeit. In der Ukraine leben circa drei Millionen Menschen mit Behinderungen, aber es stellt sich die Frage, wie viele von ihnen überhaupt die Chance haben (werden), zu flüchten oder zumindest in Sicherheit gebracht zu werden.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Stellen Sie sich also vor, Sie sind Rollstuhlfahrer*in und können nicht in einen Luftschutzbunker, den Keller oder die Metro-Station fliehen, weil Sie wegen der Treppen nicht aus ihrer Wohnung rauskommen können. Stellen Sie sich vor, Sie sind gehörlos und können daher nicht die Sirenenwarnung wahrnehmen und auch keine aktuellen Informationen über den Computer und das Smartphone lesen, weil das Internet nicht mehr funktioniert. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf eine dauerhafte Beatmung angewiesen und der Strom fällt aus. Stellen Sie sich vor, Sie haben Diabetes und können kein neues Insulin mehr erhalten. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer psychiatrischen Einrichtung und werden bei der Bombardierung unfreiwillig festgehalten oder Sie leben aufgrund ihrer Lernbeeinträchtigung in einer Wohneinrichtung und werden beschossen. Was tun Sie dann? Wer hilft Ihnen? Wie können Sie sich selbst helfen?
All diese Szenarien erscheinen für uns im stabilitätsverwöhnten Deutschland weit weg - sie scheinen etwas zu sein, dass nur in Gebieten mit bewaffneten Konflikten und Kriegen passiert. Das ist falsch. 2021 tötete die Flutkatastrophe in Sinzig zwölf lernbehinderte Menschen in einer Einrichtung; sie ertranken jämmerlich, weil man im Vorfeld einfach vergessen hatte, die Menschen zu evakuieren.
Szenarien dieser Art werden allerdings zunehmen, denn nicht nur die Anzahl der bewaffneten Konflikte in der Welt steigt, sondern auch die Anzahl von Katastrophen aufgrund des Klimawandels. Eine japanische Studie hat festgestellt, dass Menschen mit Behinderungen ein vierfach erhöhtes Risiko haben, in Katastrophenfällen zu sterben. Außerdem sind behinderte Menschen im Katastrophengebiet als auch auf der Flucht überproportional Gewalt und Missbrauch ausgesetzt, insbesondere behinderte Mädchen, Jungen, Frauen, Schwangere und Senior*innen.
Behinderte Menschen benötigen barrierefreien Transport und Unterbringung, diskriminierungsfreien und selbstbestimmten Anspruch auf eine Notversorgung sowie Informations- und Kommunikationsübermittlung, Wasser- und Sanitärversorgung, die zugänglich sind. Eine wirksame Katastrophenabwehr beinhaltet nicht nur aktives Mitdenken und Partizipation von Menschen mit Behinderungen bei der Erstellung dieser, sondern auch das systematische Identifizieren von ihnen in den jeweiligen Gefahrensituationen.
Als Abschreckung missbraucht - Menschen mit Behinderung dienen häufig als Vorzeigeobjekte für Folgen, die Fehlverhalten im Straßenverkehr haben kann, kritisiert Greta Niewiadomski.
Studien zeigen auch, dass im Notfall Angehörige von behinderten Menschen teilweise entscheiden müssen, ob sie sich selbst oder die behinderten Familienmitglieder retten. Das darf nicht sein! Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) stellt einen Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderungen dar - weg vom medizinisch-definiertem Objekt und hin zum Menschenrechtssubjekt, das seine Rechte einfordern kann als auch einen unabdingbaren Anspruch auf dessen vollste Wahrnehmung und Umsetzung hat. Artikel 11 der UN-BRK verlangt alle erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Damit wird das humanitäre Völkerrecht ganz klar in die Pflicht genommen.
Katastrophenhilfe muss neutral, unparteilich und diskriminierungsfrei erfolgen, damit die Rechte von Menschen in Gefahrensituationen gewährleistet und sie evakuiert und geschützt werden können. Dies gilt auch für behinderte Menschen, denn sie sind keine Menschen zweiter Klasse. Genau hinschauen, nicht wegschauen - das ist unsere Pflicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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