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  • Erik Lessers Karriere-Ende

Ein Biathlonmärchen wider Willen

Biathlet Erik Lesser feiert einen furiosen Karriere-Abschluss, der alle anderen mehr mitnimmt als ihn selbst

Dass Erik Lesser kein normaler Leistungssportler war, hat er am Wochenende noch einmal eindrucksvoll bewiesen. In den letzten Wettkampftagen der Saison hatten in Oslo viele Biathleten ihren Abschied gefeiert. So zum Beispiel die Französin Anaïs Bescond. Die ließ es am Sonntag im Massenstart offenbar extra gemütlich angehen. Erst als Drittletzte lief sie ins Ziel. So aber blieb den Kolleginnen genug Zeit, eine Sektdusche vorzubereiten. Lesser hatte anderes im Sinn. Der Thüringer ist sicher kein gefühlsloser Stoiker, aber eben auch keiner fürs große Drama. Erik Lesser war bis zum Sonntag Hochleistungssportler, und als solcher wollte er immer gewinnen. Besonders oft ist es ihm in zwölf Weltcupjahren nicht gelungen, am Samstag aber doch noch einmal, als er im Verfolgungswettbewerb triumphierte.

Nein, mit höheren Biathlon-Mächten habe das nichts zu tun, betonte der 33-Jährige später am ZDF-Mikrofon, um danach eine seiner typischen Rennanalysen folgen zu lassen: »Heute war wieder so ein Tag. Da läuft es einfach. Ich stehe super da und hab auch die Eier, es durchzuziehen.« Simpel, direkt, auf den Punkt, kein Blatt vor dem Mund. Andere hätten an seiner Stelle ein paar Tränen verdrückt, Lesser hingegen grüßte mit dem Bergarbeitergruß der über dem Kopf verkreuzten Arme seine Lieblingsfußballer vom FC Erzgebirge Aue.

Auch dass ihm nach so vielen Jahren noch die allein den Siegern in Oslo vorbehaltene Ehre einer Audienz in der Königsloge am Holmenkollen zuteil wurde, schien ihn nicht besonders begeistert zu haben. »Der klassische Smalltalk eben«, beschrieb er später die zwei Minuten bei Harald V. Wahrscheinlich fand es Lesser auch übertrieben, dass sein norwegischer Kontrahent Vetle Sjastad Christiansen bei der Siegerehrung vor dem Deutschen auf die Knie ging. »Es war doch nur ein Rennen unter vielen. Ja, es war ein Sieg, hat alles perfekt funktioniert. Aber ob der eine besondere Bedeutung hat, weiß ich nicht«, so Lesser.

Doch die hatte er, denn es war kein simpler Sieg - Karriereende hin oder her. Ein fehlerfreies Schießen und dazu eine so starke Laufleistung, dass er sogar den überragenden Franzosen Quentin Fillon Maillet hinter sich halten konnte, war Lesser im vergangenen Jahrzehnt nicht oft gelungen. Zuletzt hatte der Verfolgungsweltmeister von 2015 vor sechs Jahren mal ganz oben auf dem Podest gestanden. Nur drei von insgesamt 286 Einzelstarts hat er in seiner Karriere gewinnen können.

Auffällig ist, dass der in den vergangenen Jahren oft mit der Laufform hadernde Oberhofer just seit der Ankündigung vom Ende seiner Laufbahn einen Spitzenplatz nach dem anderen herauslief. Viermal in Serie kam er unter die besten Sieben, bis er am Samstag sogar alle Gegner bezwingen konnte. Tags darauf hängte er im Massenstart noch einmal Rang vier zum Abschluss dran. Danach gratulierten die Kolleginnen und Kollegen. Sein langjähriger Zimmerpartner, der vor einem Jahr zurückgetretene Arnd Peiffer war gekommen und nahm seinen Freund fest in den Arm. »Jetzt heul doch nicht!«, musste Lesser zu Peiffer sagen. Auch seine Lebenspartnerin und die Tochter waren angereist. »Diesmal keine Medaille«, bestätigte Lesser der kleinen Anouk. Die nahm es so gelassen wie der Papa und wollte am liebsten ein paar Seifenblasen über den Schnee fliegen lassen. Das passte.

An seinem Entschluss aufzuhören änderten die jüngsten Erfolge nichts mehr. Wieso auch? Ohne den üblichen Stress lief es am besten. Mit der Heim-WM in Oberhof im kommenden Winter vor den Augen käme der sofort wieder, und darauf hat Lesser keine Lust mehr.

Eine ähnliche Strategie hatte am Sonntag auch Franziska Preuß noch mal aufs Siegerpodest gespült. »Ich setze mir gerade keine Ziele, sondern lass alles auf mich zukommen. Da ist dann mehr Lockerheit dabei, und es entsteht viel leichter ein positives Gefühl«, beschrieb Preuß ihr Rezept, mit dem sie hinter Olympiasiegerin Justine Braisaz-Bouchet aus Frankreich im Massenstart Zweite geworden war. »Ich hab es einfach versucht und mir nix geschissen«, fügte sie noch hinzu. Ein Satz, der ganz ähnlich auch aus dem Munde Lessers hätte stammen können.

Preuß verwies dabei Marte Olsbu Røiseland auf Rang drei. Die dreifache Olympiasiegerin aus Norwegen hatte jedoch wie auch Fillon Maillet bei den Männern schon lange vorher den Gesamtweltcup gewonnen. Etwas Spannung kam nur noch in den Disziplinwertungen auf. Die letzten kleinen Kristallkugeln sicherten sich Braisaz-Bouchet und der Norweger Sivert Guttorm Bakken, der mit seinem ersten Weltcupsieg überhaupt Fillon Maillet wenigstens noch in dieser Einzelwertung den Gesamterfolg vor der Nase wegschnappen konnte.

Erik Lesser interessiert derlei ab jetzt nicht mehr. Bevor er die fest geplante Trainerausbildung startet, will er zunächst verlorene Zeit mit der Familie wieder aufholen. Jetzt beginnt die Zeit der Seifenblasen.

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