Atomausstieg auf Belgisch

Regierung verkündet längere Laufzeit für zwei der sieben Meiler

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.

Das kleine Belgien ist bekanntlich schwer regierbar: frankophone Wallonen im Süden, Niederländisch sprechende Flamen im Norden und das chaotische Brüssel dazwischen. Alles muss hier mühsam zwischen beiden Sprachgruppen ausgehandelt werden. Das gilt erst recht für die Regierungsbildung. Die derzeitige Vivaldi-Koalition aus sieben Parteien brauchte mehr als 500 Tage, um sich im September 2020 auf eine gemeinsame Regierung zu verständigen. Auch die Grünen sind mit Energieministerin Tine van der Straeten im Kabinett vertreten.

Ausgerechnet sie musste nun verkünden, dass es nichts wird mit dem geplanten Atomausstieg im Jahre 2025. Am vergangenen Freitag räumte sie ein, dass man die Laufzeit von zwei der jetzt noch laufenden sieben Atomreaktoren verlängern müsse. Der Krieg in der Ukraine habe alles verändert, sagte sie der Zeitung »Le Soir«. Der Ausstieg wird demnach um zehn Jahre auf 2035 verschoben. Allerdings sollen fünf Reaktoren wie geplant vom Netz gehen. Nur die beiden jüngsten Meiler im wallonischen Tihange und im flämischen Doel sollen länger als bisher geplant Strom liefern.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die beiden Reaktorblöcke sind aber weder jung noch modern, sondern bereits seit 1985 in Betrieb. Im Jahre 2035 werden sie also 50 Jahre auf dem Buckel haben und damit weit über der ursprünglich vorgesehenen Laufzeit liegen. Schon jetzt machen belgische Reaktoren immer wieder mit Pannen Schlagzeilen, vor allem das an der deutschen Grenze gelegene AKW Tihange.

Das Kraftwerk Doel wiederum hält sogar einen Rekord: Es ist das Atomkraftwerk in Europa mit der am dichtesten besiedelten Umgebung: Neun Millionen Menschen leben im Umkreis von 75 Kilometern, wie die Fachzeitschrift »Nature« feststellte. Im Falle eines Super-GAUs müssten Millionen umgesiedelt werden.

Niemand weiß, was die Laufzeitverlängerung kosten wird. Die beiden AKW gehören zum Portfolio von Engie Electrabel, einer Tochter des französischen Engie-Konzerns. Da man sich dort bereits auf den Ausstieg 2025 eingestellt hatte, wird man nun erhebliche Nachforderungen stellen.

Dabei sollte alles ganz anders kommen. Bereits 2003 hatte die damalige Regierung unter Premierminister Guy Verhofstadt den Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie beschlossen. Die Entscheidung war nachvollziehbar, galten die belgischen Meiler doch als extrem störanfällig. Und ein Weiterbetrieb machte auch wirtschaftlich keinen Sinn. Die Laufzeit der Meiler aus den 70ern war ursprünglich auf 40 Jahre begrenzt, eine Modernisierung schien zu teuer. Die älteren Blöcke an den Standorten in Tihange und Doel bei Antwerpen hätten schon 2012 beziehungsweise 2015 vom Netz gemusst.

Doch der vom Liberalen Verhofstadt eingefädelte Atomausstieg enthielt eine Hintertür. Und als der Betreiberkonzern Engie Electrabel 2011 verkündete, den Meiler Tihange 1 im Jahre 2015 vom Netz nehmen zu wollen, gewährte die Regierung eine Laufzeitverlängerung bis 2025. Schon damals musste die Furcht vor Versorgungsengpässen als Begründung herhalten. Die Wahrheit aber ist: Belgien hat die Energiewende verschlafen. Obwohl der Ausstieg besiegelt war, investierte das Land zu wenig in alternative Energiequellen. Immer noch produzieren die AKW fast 40 Prozent der Elektrizität.

Bereits im Dezember hatte sich angedeutet, dass die Energiewende später kommt. Zwar sollten die AKW durch Gaskraftwerke ersetzt werden, doch an einem der geplanten Standorte gab es noch nicht einmal eine Baugenehmigung. Wann diese Kraftwerke fertig sein werden, wagt niemand zu sagen. Zumal die föderale Regierung im Dezember beschloss, rund 100 Millionen Euro in die Erforschung neuer Technologien zu stecken - darunter auch Reaktoren. Konkret geht es um Small Modular Reactors, die deutlich kleiner sind als herkömmliche Meiler und dezentral im Land verteilt werden. So sieht Atomausstieg auf Belgisch aus.

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