- Wirtschaft und Umwelt
- Eurozone
Der Euro ist kein Exportschlager mehr
Bei den Handelsbilanzen zeigen sich in Westeuropa große Ungleichgewichte
Politiker und Ökonomen begründeten ehedem die Einführung des Euro mit dem Nutzen, den dieser für den Außenhandel jedes Mitglieds haben werde. Innerhalb des Euroraums hat die neue Währung tatsächlich den Warenverkehr vor allem für Unternehmen deutlich erleichtert. So wurde der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr weitgehend vereinfacht und Wechselkurse spielen innerhalb der Währungsunion keine Rolle mehr. Anders ist dies bei Im- und Exportgeschäften mit Ländern, die nicht zum Euroraum zählen. Die wichtigsten sind China, USA, Großbritannien, Russland und die Schweiz.
Doch mit den Exporterfolgen scheint es offenbar zu Ende zu sein. Das EU-Statistikamt Eurostat vermeldete Ende vergangener Woche ein Defizit des Euroraums im internationalen Warenverkehr in Höhe von 4,6 Milliarden Euro. Das überrascht schon deswegen, weil doch Exportweltmeister Deutschland mit einem dicken Plus von 13 Milliarden Euro beim Handelsbilanzsaldo abschneidet. Dabei ist allein der Warenaustausch mit Staaten außerhalb der Eurozone berücksichtigt, nicht der Handel der Mitgliedstaaten untereinander. Auch Irland (4,6 Milliarden) verzeichnet ein kräftiges Plus, Frankreich (1,4) und Italien (1,8) immerhin ein kleines. Fast alle anderen 15 Euroländer melden Defizite. Hier zeigt sich beispielhaft, dass die Unwucht zwischen den Volkswirtschaften im Euroraum weiterhin groß ist. Dabei hatten die Gründer der Währungsunion Ländern wie Griechenland, Portugal oder Slowenien doch Konvergenz versprochen, also eine Annäherung der wirtschaftlichen Verhältnisse an die größten Volkswirtschaften des Kontinents, Frankreich und Deutschland.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Nun spiegeln die aktuellen Zahlen von Eurostat lediglich eine Momentaufnahme für den Monat Januar wider. Allerdings waren die genannten Unterschiede und das Gesamtdefizit schon in der Dezember-Statistik auffällig. Das überrascht schon deswegen, weil der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Was Warenexporte außerhalb des Euroraums verbilligt und daher für den Käufer, der in Dollar oder Renminbi zahlt, attraktiver macht. Dabei hatten die Euroländer seit 2012 regelmäßig einen Außenhandelsüberschuss, der im Schnitt pro Monat bis zu 20 Milliarden Euro betrug. Sehen wir also auch hier eine Zeitenwende?
Die bisherige Konjunkturlokomotive Deutschland schwächelt. So flacht sich das Wachstum des »Produktionspotenzials« - die Zunahme der bei normaler Kapazitätsauslastung möglichen Wirtschaftsleistung - mehr und mehr ab. Es dürfte bis zum Jahr 2026 auf nur noch knapp 0,8 Prozent zurückgehen. Bislang wuchs die deutsche Wirtschaft seit der Wiedervereinigung um durchschnittlich 1,4 Prozent jährlich. »Weniger Wachstum bedeutet am Ende weniger zusätzliche Güter, über die verfügt werden kann. Zugleich steigen die Ansprüche an die Wirtschaftsleistung ungebremst weiter«, warnt Stefan Kooths, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Das führe zu gesamtwirtschaftlichen Spannungen - oder verschärft sie.
Dies ist ein Trend, der auch in anderen Euroländern von Ökonomen beobachtet wird. Dazu tragen mittelfristige Folgen der Covid-Pandemie bei, der Ukraine-Krieg wird die Volkswirtschaften ebenfalls Potenzial kosten. Langfristig gewichtiger dürfte aber die Demografie wirken: Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geht in vielen Euroländern zurück und dürfte ab Mitte des Jahrzehnts - trotz Zuwanderung - allein in der Bundesrepublik jährlich um 140 000 Personen sinken. Bereits ab dem nächsten Jahr könnte die Anzahl an Personen, die dem sogenannten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, abnehmen, erwartet das IfW.
Probleme dürften dem Euroraum zukünftig auch bereiten, dass die globalen Wachstumskräfte kleiner werden. Die globale Produktion dürfte in den Jahren 2024 bis 2026 im Durchschnitt nur mit einer Rate von 2,8 Prozent zunehmen. Der langjährige Durchschnitt liegt bei rund 3,5 Prozent. Auch global dämpft eine alternde Gesellschaft die Wachstumsaussichten.
Dadurch verliert ebenfalls das bisherige Zugpferd China an Kraft. Das Land wird die Steigerung seiner Produktivität, die im Wesentlichen durch die Übernahme fremder Technologien erfolgte, nicht mehr im bisherigen Tempo fortsetzen können, weil sich die Möglichkeiten dafür zunehmend erschöpfen.
Auch könnten Wachstumsimpulse durch die Globalisierung künftig ausbleiben. Politisch motivierte Handelshemmnisse, verbunden mit zunehmenden geopolitischen Risiken, hemmen die internationale Arbeitsteilung. Um Lieferketten robuster zu machen, dürften Unternehmen künftig verstärkt auf Versorgungssicherheit setzen, anstatt auf Spezialisierungsvorteile. Dies geht jedoch auf Kosten der Produktivität und verringert tendenziell das Wachstum.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.