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Opfer der Flüchtlingsabwehr

Die spanische Regierung gibt offenbar Solidarität mit der Westsahara auf

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.

Die De-facto-Anerkennung des Anspruchs Marokkos auf das Gebiet der Westsahara ist eine 180-Grad-Wende der spanischen Westsahara-Politik. Doch Spanien schafft sich damit einen neuen Konflikt - mit Algerien. Der größte Gaslieferant Spaniens, gleichzeitig Schutzmacht der Sahrauis, hat dementiert, von Madrid über den Kurswechsel unterrichtet worden zu sein. Als Reaktion hat Algerien seinen Botschafter aus Madrid abgezogen.

In Algier spricht man vom »zweiten großen Verrat Spaniens an den Sahrauis«. Denn mit dem Abzug ihrer Truppen machte die Kolonialmacht kurz vor dem Tod des Diktators Franco 1975 den Weg zur Besetzung durch Marokko und Mauretanien frei, statt für eine geordnete Dekolonisierung zu sorgen. Es brach ein Krieg aus, in dem die Befreiungsfront Polisario Mauretanien vertrieben hat. Doch große Teile der Westsahara, mit den größten Phosphatvorkommen weltweit und reichen Fischgründen, hält Marokko weiter besetzt.

Bisher hatte Spanien offiziell das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis verteidigt. Im Wahlprogramm der Sozialdemokraten (PSOE) von Pedro Sánchez stand noch 2019: »Wir werden eine Lösung des Westsahara-Konflikts über die Umsetzung der Resolutionen der Vereinten Nationen vorantreiben, die das Selbstbestimmungsrecht des saharauischen Volkes garantieren.« Das Gegenteil steht nun in einem Brief, den Sánchez dem König Marokkos geschickt hat. Darin unterstützt Sánchez den Autonomieplan, den Marokko 2007 einseitig präsentiert hat, als »ernsthafteste, glaubwürdigste und realistischste Grundlage für die Lösung des Konflikts«. Der Schwenk wurde von seinem Minister für Präsidentschaft, Félix Bolaños, bestätigt. Sánchez selbst hat sich bisher nicht geäußert.

Eine Stellungnahme des Regierungschefs fordert nun auch der Koalitionspartner »Unidas Podemos« (UP). Die Linkskoalition wurde weder informiert noch konsultiert. Sie ist verärgert wie auch linksnationalistische Partner, auf deren Stimmen die schwache Minderheitsregierung angewiesen ist. »Mit welcher Legitimation geben Sie vor, die Rechte der Ukrainer zu verteidigen, während Sie die Rechte des saharauischen Volkes aufgeben?«, fragte Podemos-Sprecherin Isa Serra. Die UP-Chefin und Vize-Regierungschefin Yolanda Díaz pocht auf Einhaltung der entsprechenden UN-Resolutionen.

Seit 30 Jahren scheitert die UN-Mission Minurso aber daran, das im Waffenstillstandsabkommen von 1991 vereinbarte Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen. Das hat Marokko systematisch hintertrieben. Militärische Provokationen, auch in der entmilitarisierten Zone, führten im Herbst 2020 dazu, dass die Polisario die Waffenruhe aufgab. Seither kommt es wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen an dem 2500 Kilometer langen »Schutzwall«, den Marokko in der Wüste errichtet hat: Dieser trennt die Demokratische Arabische Republik Sahara (Dars) von Marokko.

Der Dars-Präsident und Polisario-Chef spricht von einem »schändlichen und beschämenden« Vorgang, der eine »eklatante Verletzung des Völkerrechts« darstelle. Spanien habe sich der »Erpressung« Marokkos gebeugt, das immer wieder Flüchtlinge und Einwanderer als Druckmittel eingesetzt hat. Im vergangenen Mai etwa öffnete Marokko die Grenze zur Exklave Ceuta.

Dass der Politikwechsel mit der Einwanderungspolitik zusammenhängt, hat die Regierung zugegeben: Marokko soll verhindern, dass Menschen über die Grenzzäune in die Exklaven gelangen oder Flüchtlingsboote sich über die Meerenge von Gibraltar oder aus der Westsahara auf den Weg zu den Kanarischen Inseln machen. Nur erinnert auch die regierungsnahe Zeitung »El País« daran, dass dafür auch Algerien benötigt wird. Das Land sei nicht nur ein wichtiger Gaslieferant, sondern auch »ein weiterer wichtiger Partner bei der Eindämmung der illegalen Einwanderung«.

Der Konflikt hat längst das Potenzial, sich zum regionalen Konflikt auszuweiten. Schon jetzt fließt weniger Erdgas nach Spanien, da Algerien die Lieferungen über eine Pipeline eingestellt hat, die durch Marokko führt. Zuletzt bezog Spanien schon mehr Flüssiggas über Tanker aus den USA als aus Algerien. Da der Konflikt auch die Energieversorgung Europas beeinträchtigen könnte, versucht nun die EU zu beschwichtigen.

Die EU-Kommission erklärt, dass der Konflikt im Rahmen der UN-Resolutionen gelöst werden muss. Der Vorstoß von Sánchez kommt auch für Brüssel zur Unzeit, sucht man doch händeringend nach Alternativen zu russischem Gas - auch in Algerien. Deutschland schwenkt ebenfalls um: Seit dem Jahreswechsel nennt auch das Außenministerium den marokkanischen Autonomieplan einen »wichtigen Beitrag« zur Einigung.

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