• Sport
  • Turbine Potsdams Fußballerinnen in der Bundesliga

Weniger Druck, mehr Erfolg

Warum Turbine Potsdams Fußballerinnen wieder vorne mitspielen, erklärt Trainer Sofian Chahed im nd-Interview

Werden immer besser: Trainer Sofian Chahed (M.) und seine Fußballerinnen von Turbine
Werden immer besser: Trainer Sofian Chahed (M.) und seine Fußballerinnen von Turbine

Auf der Internetseite des Deutschen Fußball-Bundes wird Turbine als Team der Stunde bezeichnet. Nach fünf Siegen in Serie mit 22:2 Toren ist in der Bundesliga der Sprung auf Platz drei geglückt. Erleben Sie gerade Ihre erfolgreichste Zeit in Potsdam?
Ich hoffe nicht, ich bin ja erst zwei Jahre hier. Die letzten Ergebnisse sprechen zwar für uns, aber gewonnen ist damit noch überhaupt nichts. Und an unserem Ziel ändert das auch nichts. Wir wollen nach wie vor mehr Punkte holen, mehr Tore schießen und weniger Gegentore bekommen als in der letzten Saison. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.

Sofian Chahed
Sofian Chahed kam im Sommer 2020 als Nachwuchscoach von Hertha BSC als neuer Cheftrainer zu Turbine Potsdam. Im ersten Jahr erreichte er mit seinem Team Platz vier in der Bundesliga. Jetzt steht Turbine vor den letzten fünf Saisonspielen auf dem so hart umkämpften dritten Rang, der zum Start in der lukrativen Champions League berechtigt. Der 38-jährige Ex-Profi von Hertha und Hannover 96 sowie viermalige tunesische Nationalspieler sprach mit Alexander Ludewig über die Gründe der guten Entwicklung seines Teams, alte und neue Ziele bei Turbine sowie seinen Umgang als Trainer mit den Unterschieden zwischen dem Fußball der Männer und dem der Frauen.

In der vergangenen Saison war Turbine Vierter, aktuell ist es der so hart umkämpfte Platz drei. Wo hat sich das Team denn entscheidend weiterentwickelt, dass jetzt zumindest die Möglichkeit besteht, in der kommenden Saison in der Champions League zu spielen?
Weiterentwickelt haben wir uns definitiv. Aber ich glaube, das ist auch völlig normal, wenn ein Team länger zusammenspielt. Es ist ein Vorteil und damit auch eine Stärke, dass wir uns alle etwas besser kennengelernt, aufeinander eingestellt und zueinander gefunden haben. Die Spielerinnen kennen die Laufwege der anderen, wir kennen alle Stärken und Schwächen und können so die Qualitäten jeder einzelnen Spielerin besser auf den Platz bringen.

Turbine Potsdam ist der letzte reine Frauenverein, der in der Bundesliga vorn mitspielt. Deshalb hat der Klub die Zielsetzungen zuletzt immer zurückhaltender formuliert. Sie hingegen hatten aber schon in der vergangenen Saison von der Champions League gesprochen.
Das stimmt, gerade ist es aber umgekehrt. In meinem ersten Jahr kannte ich mich im Frauenfußball noch nicht ganz so gut aus, wollte aber natürlich erfolgreich sein. Und da haben wir uns gemeinschaftlich mit dem Team das Ziel Champions League gesetzt. Um etwas Druck rauszunehmen, haben wir es vor dieser Saison anders gemacht.

An welchen Stellen sehen Sie noch Steigerungsmöglichkeiten, mit denen vielleicht auch noch im Saisonendspurt etwas rauszuholen ist?
Zufrieden sollte man nie sein, das wäre ja ein Stillstand. Und natürlich gibt es immer irgendwo Punkte, in denen man sich verbessern kann und muss. Bei uns ist es gerade das Abwehrverhalten, wir stehen da hinten teilweise zu offen. Gegen bessere Teams, wie an diesem Freitag beim SC Freiburg, bekommen wir damit Probleme. Unseren Spielaufbau können wir auch noch verbessern. Da müssen wir früher erkennen, was die richtige Lösung ist, wann wir hinten rausspielen können und wann wir einfach mal den Ball rausschlagen müssen. Da hatten wir beispielsweise auch beim letzten Spiel gegen den SC Sand große Probleme, obwohl wir am Ende 2:0 gewonnen haben.

Es sind noch fünf Saisonspiele. Nach Freiburg geht es noch gegen Köln sowie die Spitzenteams aus Frankfurt, München und Hoffenheim. Was wird entscheidend sein und was erwarten Sie von Ihrem Team?
Ich erwarte, dass wir da weitermachen, wo wir in den letzten fünf Spielen aufgehört haben. Neben der Arbeit an den leichten Schwächen in der Defensive müssen wir mutig nach vorne spielen. Darauf wird es ankommen.

Ist es also entscheidender, die eigenen Stärken und das eigene Spiel durchzubringen und weniger auf den Gegner zu schauen?
Beides ist wichtig. Wir schauen natürlich immer auf den Gegner, wie er anläuft, wie er seinen Spielaufbau gestaltet. Darauf stellen wir uns schon ein. Und da sind wir in dieser Saison relativ flexibel. Wir können unser Spiel von hinten aus einer Viererkette oder einer Dreierkette aufbauen. Und wir sind variabel im Pressing. Ob wir Angriffspressing, Mittelfeldpressing oder Abwehrpressing spielen, hängt auch vom Gegner ab. Wir versuchen, unser Spiel dementsprechend anzupassen, um das Maximum herauszuholen.

War diese Flexibilität in Ihrem ersten Jahr bei Turbine noch nicht möglich, weil Sie erst mal den Fußball der Frauen im Allgemeinen und Ihr Team im Speziellen kennenlernen mussten?
Ja, das erste Jahr war auch ein Herantasten. Da habe ich einiges versucht und dann gesehen, was gut und was nicht so gut funktioniert. Jetzt, im zweiten Jahr, konnten wir schon einige Schritte in die richtige Richtung machen. Ein Beispiel ist wieder die Partie gegen den SC Sand. Es war kein schönes Spiel, aber wir konnten mit der Situation, dem defensiven und aggressiven Gegner gut umgehen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir solche Spiele in der vergangenen Saison auch gewonnen hätten.

Wie groß war denn die Umstellung vom Fußball der Männer zu dem der Frauen? Wo werden Unterschiede besonders sichtbar und was muss man als Trainer dann anders machen?
Ich habe gemerkt, dass man den Frauen mehr erklären muss. Aber nicht, weil sie weniger wissen, sondern weil sie mehr hinterfragen. Insofern muss ich immer die richtige Antwort parat haben. Ein für das Spiel entscheidender Unterschied ist die Athletik, das Spiel aber ist das gleiche und der Platz ist genauso groß. Darauf muss man taktisch etwas reagieren. Im Training arbeiten wir viel am Umschaltspiel, mit Übungen, bei denen die Mädels schnell im Kopf sein müssen. Männer lösen viele Situationen eher mit körperlicher Schnelligkeit. Deshalb sind manche Wege für Fußballerinnen auch weiter. Daraus ergibt sich dann beispielsweise auch, ob man eher mit einer Dreier- oder Viererkette spielt.

Sie sind 2020 als Nachwuchstrainer von Hertha BSC nach Potsdam gekommen. Was hat Sie damals am Fußball der Frauen und an Turbine gereizt?
Turbine Potsdam ist ein Traditionsverein, der viele Titel gewonnen hat und ein großer Name im Frauenfußball ist. Und ich hatte das Gefühl, bei Turbine als Trainer den nächsten Schritt machen zu können, was bei Hertha zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war.

Mit Ihrer Ankunft als Trainer begann auch eine auf drei Jahre angelegte Kooperation zwischen Turbine und Hertha. Sie haben Ihren Vertrag in Potsdam inzwischen bis 2025 verlängert. Wie steht es mit der Kooperation zwischen den Vereinen und wie gestaltet sie sich konkret?
Bei dem Thema bin ich eigentlich raus. Ich habe für mich entschieden, in Potsdam zu bleiben, weil ich die gute Entwicklung gesehen habe und es mir extrem viel Spaß macht. Es ist das Schönste für einen Trainer zu sehen, wenn sich die Mannschaft entwickelt. Wie es zwischen den Vereinen nach 2023 weitergeht, weiß ich nicht. Bis jetzt profitieren wir bei Turbine vor allem finanziell von der Zusammenarbeit und auch im Social-Media-Bereich.

Der FC Bayern und der VfL Wolfsburg lassen ihre Fußballerinnen in der Champions League jetzt erstmals in den großen Arenen spielen. Wie nehmen Sie die Entwicklung im Fußball der Frauen wahr?
Ich sehe schon, dass sich der Frauenfußball sehr positiv entwickelt hat und es attraktiv ist, Spiele anzuschauen. Das Niveau ist nicht mehr mit früher zu vergleichen. Das sieht man vor allem in den Ligen in England, Italien oder Spanien. Und ich glaube, dass die Entwicklung Schritt für Schritt auch ihren Lauf nimmt. Insofern denke ich, dass wir in Deutschland mit dem DFB die nächsten Schritte machen müssen. Aber das geht nicht von heute auf morgen, es ist eine Entwicklung, die sich über Jahre hinziehen wird.
Interview: Alexander Ludewig

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -