- Kommentare
- Bedingungsloses Grundeinkommen
Ein sozialistisches Haus Europa
Jeder Mensch hat das Recht auf gesicherte Existenz und Teilhabe. Dafür kämpft die Europäischen Bürgerinitiative Grundeinkommen
Stellen wir uns vor: Allen Menschen in Europa stünden ausreichend Möglichkeiten für Bildung, Teilhabe an Kultur und an demokratischer Willensbildung sowie eine sehr gute Gesundheitsvorsorge und -versorgung und ein Grundeinkommen zur Verfügung. Utopisch? Leider ja, aber eigentlich nichts anderes als das, was man als verwirklichte Menschenrechte bezeichnet. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Absicherung seiner Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe – überall. Menschenrechte sind universelle Rechte.
Halt, sagt an dieser Stelle der Skeptiker: Ein Grundeinkommen für alle? Das brauchen nicht alle. Sollen auch Reiche die öffentlichen kostenfreien Angebote zur (Aus-)Bildung in Anspruch nehmen können, wie Linke, Verbände und Gewerkschaften in den europäischen Ländern fordern? Oder eine gebührenfreie Gesundheitsvorsorge und -versorgung? Ja, auch diese Angebote sollen allen zugänglich sein, bedingungslos, unabhängig vom eigenen Geldbeutel – finanziert durch Umverteilung von oben nach unten, wie beim Grundeinkommen.
Damit diese Utopie keine bleibt, engagieren sich seit Jahren Bürger*innen und Verbände in der Europäischen Union, so zum Beispiel in der laufenden Europäischen Bürgerinitiative Grundeinkommen. Denn wenn die Idee eines gemeinsamen Europas attraktiv sein soll, müssen die Menschen Europa als ein sicheres Haus für alle erleben können. Ein Haus, in dem die Wirtschaft demokratisch organisiert ist und den Bedürfnissen der Menschen dient. Und in dem »jedem bedingungslos eine angemessene Lebenshaltung ermöglicht (wird), könne er nun arbeiten oder nicht«. Damit »niemand mehr aus Elend dazu verleitet werden (könne), halsabschneiderische Arbeitsverträge einzugehen«. Diese Voraussetzungen für eine Emanzipation der Arbeiter*innenklasse aus nationalistischer Umklammerung formulierte ein Gründungsvater der EU, der Antifaschist und Kommunist Altiero Spinelli im Manifest von Ventotene. Seine Ziele waren ein demokratischer, europäischer Bundesstaat und die Überwindung nationaler und nationalistischer Egoismen, die die Arbeiter*innen vor den Karren des Kapitals spannen und in gegenseitiger Konkurrenz um Arbeitsplätze halten. Stellen wir uns nun vor, dass jedes Land in Europa sich solidarisch mit allen anderen Ländern Europas (und auf der Welt) zeigen würde – indem sie sich gegenseitig bei der Demokratisierung der Wirtschaft und Gesellschaft, der sozialökologischen Transformation und dem Ausbau universeller Sozialsysteme unterstützten. Was für einen Schub für den Zusammenhalt der Länder Europas würde das bedeuten. Wie würde da die Attraktivität des Kontinentes steigen. Spinelli hätte dies als einen sozialistischen Weg zu einem gemeinsamen Haus Europa bezeichnet.
Das wäre ein anderer, besserer Weg als derjenige, denn die nationalen Regierungen der EU in den vergangenen Jahrzehnten beschritten haben. Eine EU, die nicht mal in der Lage ist, Armut und Prekarität in ihren Ländern zu beseitigen, die auf den drohenden Klimawandel nicht angemessen reagiert. Eine EU, die von billigen Arbeitskräften und der Vernichtung der Natur- und Lebensressourcen anderer Länder lebt, die Geflüchtete rassistisch sortiert. Eine EU, die Patente für »ihre« Konzerne und Arbeitsplätze schützt, damit anderen Menschen das Recht auf ein gesundes Leben verwehrt wird. Eine EU, die aufrüstet statt Vorbild in Sachen Friedensstiftung, Demokratie, Nachhaltigkeit und sozialer Sicherheit zu sein. Noch dieses Jahr will die Europäische Kommission einen Vorschlag für die Ausgestaltung von Mindesteinkommen in der Europäischen Union vorlegen. Wie dieser aussehen wird, wissen wir nicht. Zu befürchten ist allerdings, dass der Vorschlag die bekannten Kritiken an selektiven und bedürftigkeitsgeprüften, also nicht universellen Sozialsystemen ignoriert und damit einer weiteren sozialen Spaltung in den Ländern der EU Vorschub leistet. Die Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen will da gegenhalten – für ein attraktives Europa der Solidarität.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.